Hoffnung für Kinder mit seltenem Gendefekt

Mithilfe einer innovativen Mikroskopietechnik gelingt es, Proteine in der Zelle durch sequenzielle Färbung sichtbar zu machen. Im Vergleich zu den gesunden Zellen des Wildtyps (links) wirken die Zellen von JNCL-kranken Mäusen (rechts) kleiner und die Verteilung der Proteine erscheint &quot;unordentlich&quot;. Strukturen sind teils verloren gegangen, teils wirken sie krankhaft aufgebläht, wie an den grün gefärbten Strukturen zu sehen. Während es in den Zellen des Wildtyps eine regelmäßige Färbung aufweist, sind in den Mutanten große runde Einlagerungen zu sehen.<br>Anton Petcherski, Goethe-Uni<br>

Es ist eine seltene Krankheit mit verheerenden Folgen: Etwa zur Zeit der Einschulung tritt eine Sehschwäche auf, die innerhalb von zwei bis drei Jahren zur vollständigen Erblindung führt. Dies ist das erste Symptom einer fortschreitenden Zerstörung der Gehirnzellen.

Im weiteren Verlauf kommt es zu Halluzinationen, epileptischen Anfällen, Demenz und schließlich zum Versagen sämtlicher motorischer Fähigkeiten. In diesem letzten Stadium müssen die bewegungsunfähigen Patienten künstlich beatmet werden. Bisher gibt es keine Therapie für die Juvenile Neuronale Ceroid-Lipofuszinose (JNCL), so dass die Betroffenen im zweiten bis dritten Lebensjahrzehnt sterben.

Die Arbeitsgruppe um Dr. Mika Ruonala erforscht seit vier Jahren im Center for Membrane Proteomics der Goethe-Universität, welche Folgen der zugrunde liegende Gendefekt auf der zellulären Ebene hat. Inzwischen haben die Forscher genügend Angriffspunkte für Medikamente gefunden, so dass sie nun in Kooperation mit der Harvard Medical School in Boston, USA, ein Screening für Wirkstoffe beginnen können.

„Die Voraussetzung für eine großflächige Suche nach Wirkstoffen ist, dass man versteht, welche Auswirkung der Gendefekt auf das komplexe Netzwerk der Proteine in der Zelle hat“, erklärt Dr. Mika Ruonala seinen Forschungsansatz. „Ein Wirkstoff, der an einer Stelle ein Problem behebt, kann im Netzwerk an anderen Stellen unerwünschte Nebenwirkungen haben. Deshalb ist es wichtig, die Auswirkungen einer Medikation an so vielen Angriffspunkten wie möglich zu überprüfen“.

Möglich ist das mithilfe der Multi-Epitop-Ligand-Kartographie (MELK), einer innovativen Mikroskopietechnik, die es erlaubt, dreidimensionale „Momentaufnahmen“ von der Anordnung dutzender Proteine in der Zelle zu machen. „Inzwischen wissen wir beispielsweise, dass Proteine, die sich in einer gesunden Nervenzelle niemals treffen würden, bei der JNCL Kontakt haben, aber auch, dass krankheitsbedingt Kontakte verloren gehen“, so Anton Petcherski. Während seiner Diplomarbeit in der Arbeitsgruppe von Dr. Ruonala verwendete er MELK und fand mehrere Auffälligkeiten in der Proteinkonstellation von Zellen aus dem Gehirn von Mäusen mit JNCL. Im Folgenden arbeitete er die besonders signifikanten Abweichungen heraus. Diese Abweichungen, auch „Biomarker“ genannt, dienen nun als Grundlage für das Screening.

An der Harvard Medical School in Boston erforscht die Gruppe von Dr. Susan Cotman ebenfalls seit mehreren Jahren die NCL. Dr. Cotman ist die „Mutter“ des JNCL Mausmodells, das die Frankfurter Gruppe verwendet. Die Arbeitsgruppe um Dr. Cotman hat auch bereits ein Hochdurchsatz-Screening für Wirkstoffe zur Behandlung der Krankheit gemacht – allerdings waren damals nur wenige Biomarker bekannt. „Da es bei der JNCL viele Anomalien im Zusammenspiel der Proteine gibt, muss sich das Krankheitsbild nicht bessern, wenn es uns gelingt, an einer Stelle korrigierend einzugreifen“, so Ruonala. „Es ist auch eine Frage der Hierarchie im Protein-Netzwerk. Einige Proteine sind wichtiger für den Zusammenhalt des Netzwerks als andere.“

Nun werden die beiden Arbeitsgruppen ihre Kräfte bündeln: als Bestandteil seiner Doktorarbeit geht Anton Petcherski für ein Jahr nach Boston, um in den dortigen Sammlungen von Wirkstoffen nach einem geeigneten Medikament für die JNCL zu suchen. Die Forscher beschränken ihre Suche auf bereits zugelassene Medikamente, weil dies die Zeit bis zur klinischen Versuchsphase erheblich abkürzt. Einen Wirkstoff, der den Krankheitsfortschritt in Mäusen aufhält, hat die Frankfurter Gruppe bereits im eigenen Labor gefunden. Dieser Wirkstoff wird seit langem bei der Behandlung anderer Krankheiten verwendet, darf aber erst genannt werden, wenn die zugehörige Publikation veröffentlicht ist. Dr. Ruonala verrät nur, dass in Finnland und den Niederlanden demnächst klinische Studien beginnen.

Seit 2004 wird die Arbeit von Dr. Ruonala mit bisher 1,3 Millionen Euro von der finnischen NCL-Stiftung (Foundation for JNCL Research) gefördert. Beide Kinder des Stiftungsgründers sind an JNCL erkrankt. Der Forschungsaufenthalt von Anton Petcherski an der Harvard Medical School wird durch die Förderung der R+W-Stiftung ermöglicht, die Dank der deutschen NCL-Stiftung für das Projekt gewonnen werden konnte. Die R+W Antriebselemente GmbH aus Klingenberg in der Nähe von Frankfurt ist Hersteller von Kupplungen für Servo- und Schrittmotoren. Die Erlöse der R+W Stiftung fließen in Hilfsprojekte für Kinder und unterstützen die Forschung an Hochschulen in Deutschland. Die gemeinnützige Stiftung National Contest for Life (NCL-Stiftung) wurde 2002 von Dr. Frank Husemann gegründet, dessen Sohn von NCL betroffen ist. Da mit der Erforschung der seltenen Krankheit kein Gewinn erwirtschaftet werden kann und die Pharmaindustrie deshalb nicht investiert, mobilisiert die NCL-Stiftung Forschungsgelder, leistet gezielte Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit und bildet ein Netzwerk zur Koordination der Wissenschaftler und Mediziner.

Informationen: Dr. Mika Ruonala, Center for Membrane Proteomics, Campus Riedberg, Tel: (069) 798 – 29463; Ruonala@em.uni-frankfurt.de.

Dr. Frank Stehr, NCL-Stiftung, Holstenwall 10, 20355 Hamburg, Tel: (040) 696 66 74 – 0; frank.stehr@ncl-stiftung.de

Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn drittmittelstärksten und größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Parallel dazu erhält die Universität auch baulich ein neues Gesicht. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht ein neuer Campus, der ästhetische und funktionale Maßstäbe setzt. Die „Science City“ auf dem Riedberg vereint die naturwissenschaftlichen Fachbereiche in unmittelbarer Nachbarschaft zu zwei Max-Planck-Instituten. Mit über 55 Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität laut Stifterverband eine Führungsrolle ein.

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