Der Heilung von Schlaganfällen einen Schritt näher

Die Ergebnisse der Untersuchungen des Zebrafisches lassen sich auf das menschliche Gehirn übertragen (Grafik: ITG, KIT)<br>

Forscher des Instituts für Toxikologie und Genetik (ITG) am KIT haben die für die Entwicklung dieser Neuronen verantwortlichen genetischen Faktoren Lhx2 und Lhx9 identifiziert. Die Ergebnisse tragen wesentlich zum Verständnis der Entwicklung des Thalamus bei. Langfristig sollen sie dabei helfen, nach Schlaganfällen eine Heilung zu ermöglichen.

Mit 100 Milliarden Nervenzellen ist das Gehirn ein sehr komplexes System. „Wir wollen das entwicklungsbiologische Programm dahinter verstehen“, sagt Dr. Steffen Scholpp vom ITG. „Uns geht es darum herauszufinden, wie sich einzelne Gehirnteile entwickeln, das heißt was Vorläuferzellen dazu bringt, sich zu einem spezialisierten Verbund zusammenzuschließen.“ Scholpps Gruppe am ITG untersucht die Entwicklung des Thalamus. „Er ist das zentrale Umspannwerk im Gehirn: Alles, was wir über Augen, Ohren oder Tastsinn von der Außenwelt wahrnehmen, muss hier hindurch und wird erst dann in die Großhirnrinde geschaltet, die es weiter verarbeitet.“

Langfristig wollen die Wissenschaftler in der Lage sein, geschädigte Hirnteile mit einer Gewebsersatztherapie zu heilen. Ist beispielsweise Gewebe nach einem Schlaganfall geschädigt, gibt es bislang keine Möglichkeit, dieses neu aufzubauen. „Der Schlaganfall ist heute die häufigste Ursache für im Erwachsenenalter erworbene Behinderungen, wegen seiner zentralen Rolle sind Schädigungen im Thalamus besonders schwerwiegend“, so Steffen Scholpp.

„Wir müssen deshalb eine Strategie finden, mit der wir Stammzellen so aktivieren können, dass das geschädigte Gewebe wieder ersetzt werden kann.“ Einen wesentlichen Schritt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun gemacht: Mit Lhx2 und Lhx9 haben sie in Untersuchungen an Zebrafischen die beiden Faktoren identifiziert, welche die Entwicklung der Neuronen im Thalamus steuern. „Ohne diese Faktoren entsteht ein Thalamus, der nur undifferenzierte Nervenzellen beherbergt – das heißt, den Vorläuferzellen fehlt die für die Spezialisierung notwendige Information“, erläutert der Biologe. Die Analyse der Gehirnentwicklung im Zebrafisch erlaubt Rückschlüsse auf die Entwicklung in allen Wirbeltieren einschließlich des Menschen. Ihre Ergebnisse hat die Gruppe in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „PLoS Biology“ veröffentlicht.

In der gleichen Studie haben Scholpp und sein Team einen weiteren Faktor identifiziert, der als „Kleber“ im Thalamus fungiert: Das Zelladhäsionsmolekül Pcdh10b sorgt dafür, dass sich der Thalamus entwickelt, ohne sich dabei mit den umliegenden Gehirnteilen zu vermischen. Fehlt dieser Faktor, bilden sich die Neuronen zwar richtig aus, finden ihren Zielbereich aber nicht mehr.

Ziel der Forscherinnen und Forscher ist es nun, diese Faktoren – zunächst in der Kulturschale (in vitro) in undifferenzierten Zellen zu aktivieren, damit sich neues Thalamusgewebe bildet. In enger Kooperation mit Ingenieuren entwickelten die Biologen bereits zweidimensionale Zellkultur-Systeme, im Januar beginnen sie mit einem 3-D-Zellkulturprojekt. „Das KIT bietet uns hier sehr gute Möglichkeiten: Parallel zu unserer Forschung arbeiten Materialwissenschaftler an der Entwicklung verschiedenster Biowerkstoffe (Biopolymere), die wir in Experimenten in der Kulturschale testen“, so Scholpp.

Für die Zukunft hält Dr. Steffen Scholpp eine Heilung von Schlaganfallpatienten für möglich. „Das wird sicher noch nicht in den nächsten Jahren so weit sein. Ziel ganz am Ende ist es aber, schlafende Stammzellen eines Schlaganfallpatienten entnehmen zu können, dann – außerhalb des Körpers – in diesen Zellen das spezifische entwicklungsbiologische Programm anzuschalten und sie schließlich wieder zurück an die Position des geschädigten Gewebes zu bringen. Das wäre dann eine echte Heilung.“

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert Dr. Steffen Scholpp im Emmy-Noether-Programm für fünf Jahre mit 1,3 Millionen Euro. Mit diesem Programm unterstützt sie junge Wissenschaftler beim Aufbau einer eigenen Arbeitsgruppe. In Dr. Steffen Scholpps Team forschen derzeit drei Doktoranden, ein Postdoktorand, eine technische Angestellte sowie zwei Masterstudierende.

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts nach den Gesetzen des Landes Baden-Württemberg. Es nimmt sowohl die Mission einer Universität als auch die Mission eines nationalen Forschungszentrums in der Helmholtz-Gemeinschaft wahr. Das KIT verfolgt seine Aufgaben im Wissensdreieck Forschung – Lehre – Innovation.

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