Gehirnoperation bei Bewusstsein stresst nicht mehr als unter Vollnarkose

Weniger schlimm als Besuch beim Zahnarzt

Eine Operation am Gehirn bei vollem Bewusstsein bedeutet offenbar sogar weniger Stress für den Patienten, als eine Gehirn-OP unter Vollnarkose. Dies zeigen aktuelle Studien zur sogenannten Wachkraniotomie.

Lange war umstritten, ob dieser Eingriff bei den Patienten nicht zu viel Stress verursacht. Chirurgen wenden das Verfahren beispielsweise bei Hirntumoren an, die aufgrund ihrer Lage als nicht operierbar gelten. Welche Aufgaben der Anästhesist dabei übernimmt, diskutieren Experten auf dem Hauptstadtkongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) vom 16. bis 18. September 2010 in Berlin.

Eine Operation am Gehirn bei zeitweise vollem Bewusstsein ist für bestimmte Patienten die einzige Hoffnung auf Heilung. Denn nur so kann der Neurochirurg sicherstellen, wichtige Hirnareale nicht zu verletzen. Um deren Lage zu identifizieren, führt der Psychologe in den Wachphasen mit dem Patienten Sprach- und Bewegungstests durch. Da das Gehirn selbst nicht über Schmerzrezeptoren verfügt, bereitet die Methode dem Patienten keine Schmerzen.

Eine entscheidende Rolle kommt dabei dem Narkosearzt zu: „Denn ein maßgeblicher Aspekt einer solchen Operation ist es, den Patienten während des mehrstündigen Eingriffs unter Kontrolle zu haben“, erklärt Dr. med. Markus Klimek, stellvertretender Direktor der Kliniken für Anästhesiologie und Notfallmedizin, Universitätsklinikum Rotterdam, Niederlande. Der Anästhesist gewährleistet den schmalen Grad zwischen einfachem Schlaf während der Schädel geöffnet wird und Wachphasen, in denen der Patient schmerz-, angstfrei und kooperativ die Tests durchläuft. Er verhindert aber auch Zwischenfälle wie etwa Husten oder Niesen. Denn diese scheinbar harmlosen Ereignisse kämen für den Neurochirurgen unter dem Operationsmikroskop einem Erdbeben gleich.

Dass die Wachkraniotomie keinen zusätzlichen Stress für die Betroffenen bedeutet, konnte Klimeks Team jetzt nachweisen. Dafür untersuchten sie bei 40 Patienten vor, während und nach der Operation die Level verschiedener Interleukine – Botenstoffe, die das Abwehrsystem des Körpers bei Stress vermehrt ausschüttet. Die Interleukin-Level im Blut waren bei beiden Gruppen vergleichbar. Patienten, die teilweise wach operiert wurden, gaben zudem an, zwölf Stunden nach dem Eingriff deutlich weniger Schmerzen zu haben als die Vollnarkose-Gruppe. „Und auch die Liegezeiten in der Klinik nach der OP bei Bewusstsein sprechen für die Methode“, so Klimek. Im Mittel kehren diese Patienten drei bis vier Tage nach dem Eingriff nach Hause zurück. Damit liegen sie etwa einen Tag weniger im Krankenhaus als diejenigen mit einer Vollnarkose.

Inzwischen hat Dr. Klimek bereits mehr als 200 Patienten mit Gehirntumoren durch eine Wachkraniotomie begleitet. Darunter sei keiner, der sich nicht auch ein zweites Mal für diese Methode entscheiden würde, so der Anästhesist. Einige berichten sogar, dass der Eingriff angenehmer verlaufen sei, als ihr letzter Zahnarztbesuch. Wie der Anästhesist seinen Patienten mit Gesprächen und Vertrauen durch eine solche Operation führt und warum vor allem junge Männer Schwierigkeiten haben, wenn ihr Bewusstsein ausgeschaltet wird, ist Thema auf dem Hauptstadtkongress der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivtherapie (DGAI) vom 16. bis 18. September 2010 in Berlin.

Quelle: Klimek et al.: „Inflammatory profile of awake function-controlled craniotomy and craniotomy under general anesthesia“ Mediators of Inflammation, Volume 2009, Article ID 670480, doi:10.1155/2009/670480

Hauptsitzung auf dem Kongress:

Narkose auf dem Rückzug?
Wachkraniotomie in der Tumor-Neurochirurgie – was macht der Anästhesist?
Termin: 17. September 2010, 08.00 bis 09.40 Uhr
Ort: Saal 8, ICC Berlin
Kongress-Pressekonferenz:
Ort: ICC Berlin, Raum 43, Messedamm 22, 14055 Berlin
Termin: Donnerstag, den 16. September 2010, 13.00 bis 14.00 Uhr
Kongress-Pressekonferenz:
Ort: ICC Berlin, Saal 10, Messedamm 22, 14055 Berlin
Termin: Freitag, den 17. September 2010, 12.45 bis 13.30 Uhr
Pressekontakt für Rückfragen:
Kathrin Gießelmann
DGAI Pressestelle
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel. 0711 8931-981
Fax: 0711 89 31-167
E-Mail: giesselmann@medizinkommunikation.org

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idw

Weitere Informationen:

http://www.dgai.de http://www.hai2010.de

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