Fetale Programmierung: Ist die Mutter an allem Schuld?

„Wir müssen aus den aktuellen Forschungsergebnissen Konsequenzen ziehen. Mit Empfehlungen zu Screeninguntersuchungen und Ernährungsempfehlungen beeinflussen Gynäkologinnen und Gynäkologen die Gesundheit der nächsten Generationen“, so Schleußner, Direktor der Abteilung für Geburtshilfe an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

Drei Faktoren prägen einen Menschen: seine Gene, Umwelteinflüsse und – darüber war lange sehr wenig bekannt – Einflüsse, die während der Schwangerschaft und nach der Geburt auf ihn einwirken. Ein Kind wird bereits vor der Geburt geprägt, weil es den Lebensumständen der Mutter passiv ausgesetzt ist. Die Ernährung und der Hormonhaushalt der Mutter und die Leistung des Mutterkuchens haben Einfluss auf die künftige Funktion der sich gerade entwickelnden Organe und damit auf das gesamte spätere Leben des ungeborenen Kindes: Chronische Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes und Bluthochdruck können so vorprogrammiert sein – auch wenn keine genetische Veranlagung dafür besteht. Das erläuterte Professor Ekkehard Schleußner auf dem DGGG-Kongress (5. bis 8. Oktober 2010, München).

„Wir müssen aus den aktuellen Forschungsergebnissen Konsequenzen ziehen. Mit Empfehlungen zu Screeninguntersuchungen und Ernährungsempfehlungen beeinflussen Gynäkologinnen und Gynäkologen die Gesundheit der nächsten Generationen“, so Schleußner, Direktor der Abteilung für Geburtshilfe an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

Die „Fetale Programmierung“ rückt erst seit wenigen Jahren in den Fokus der internationalen Forschung. Die neue entwicklungsmedizinische Fachrichtung untersucht die Prozesse, die in kritischen Entwicklungsphasen auf das ungeborene oder neugeborene Kind einwirken. Dazu gehören Faktoren, die während der Fetalentwicklung indirekt über die Plazenta auf das Kind wirken, aber auch mütterlicher und fetaler Stress vor der Geburt und als Neugeborenes sowie dessen Ernährung.

Die fetale Programmierung ist eine bisher wenig bekannte – angeborene, aber nicht ererbte – Ursache für Volkskrankheiten wie Adipositas (krankhaftes Übergewicht), Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), Bluthochdruck, Schlaganfall und Herzinfarkt, die sich als Spätfolgen von Mangel- oder Überernährung des Fetus erst im Erwachsenenalter manifestieren.

Schwangerschaftsdiabetes kann mehrere Generationen krank machen

Zu viel Insulin während der frühkindlichen Entwicklung kann zu einer lebenslang krankhaften Stoffwechselregulation führen. Das ist der Fall bei einem nicht behan-delten Schwangerschaftsdiabetes der Mutter. Die Überproduktion von Insulin als Folge der zu hohen Glukoseversorgung des Fetus durch die Mutter kann dann im Jugend- und Erwachsenenalter Diabetes und Adipositas zur Folge haben.

Mädchen, deren Mütter in der Schwangerschaft an Schwangerschaftsdiabetes leiden, haben ein um das Zehnfache erhöhtes Risiko, später selbst daran zu erkranken – ein Teufelskreislauf, denn diese Mädchen können die Erkrankung an nachfolgende Generationen weitergeben.

Ein Ausdruck für ungünstige Lebensumstände des Ungeborenen ist das Geburtsgewicht. Ein sehr hohes wie auch ein sehr niedriges Geburtsgewicht erhöhen die Gefahr, dass der Mensch später an Stoffwechselerkrankungen leidet. Ein niedriges Geburtsgewicht ist zudem mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Arteriosklerose und Bluthochdruck, für mentale Erkrankungen oder Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit von Mädchen verbunden. Es erhöht außerdem das spätere Brustkrebsrisiko.

Primärprävention gegen Spätfolgen der fetalen Programmierung

„Die Ergebnisse der entwicklungsmedizinischen Forschung müssen in präventionsmedizinische Konzepte einbezogen werden, denn sie eröffnen Ärztinnen und Ärzten völlig neue Möglichkeiten, Volkskrankheiten wie Diabetes, Adipositas, Schlaganfall und Herzinfarkt vorzubeugen – bereits beim ungeborenen Kind“, sagte Schleußner auf dem DGGG-Kongress. Er fordert beispielsweise für schwangere Frauen ein Diabetes-Screening, denn von einem Schwangerschaftsdiabetes mit Spätfolgen für das Kind ist etwa jede zwanzigste Frau betroffen. Bei rechtzeitiger Diagnose ist die Erkrankung gut behandelbar und schützt Generationen vor einer gestörten Glukosetoleranz.

Frauenärzte und Kinderärzte tragen eine große Verantwortung: „Wir können die spätere Gesundheit von Kindern mit vorgeburtlichen Risikofaktoren beeinflussen und sind die Weichensteller für die Gesundheit weiterer Generationen. Primärprävention kann außerdem dazu beitragen, die Kosten für das Gesundheitssystem in den nächsten Jahrzehnten zu senken“, so Schleußner.

Media Contact

Petra von der Lage idw

Weitere Informationen:

http://www.dggg-kongress.de

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