Erinnerungen haben zwei Gesichter

Viele von uns kennen das Phänomen: Wenn man mit einer Freundin oder einem Freund über ein gemeinsames Erlebnis diskutiert, das schon längere Zeit zurückliegt, so stößt ein erster Gedanke im Rahmen des Gesprächs häufig eine ganze Kette von Erinnerungsprozessen an.

Auf dieser Grundlage kann das Geschehene dann scheinbar nach und nach rekonstruiert werden. Diese subjektive Erfahrung steht allerdings im Widerspruch zu jüngeren wissenschaftlichen Untersuchungen, die zeigen konnten, dass bruchstückhaftes bzw. selektives Erinnern normalerweise die Rekonstruktion der mit einer solchen Erinnerung verbundenen Ereignisse behindert.

Beeinflusst nun also der Gedächtnisabruf einer einzelnen Erfahrung unsere Erinnerung an das gesamte Geschehen zum Positiven oder eher zum Negativen? Hat bruchstückhaftes Erinnern an Teile eines traumatischen Erlebnisses oder eines zufälligerweise beobachteten Verbrechens einen Effekt darauf, wie wir die weiteren Geschehnisse erinnern, die damit in Verbindung stehen?

Wissenschaftler der Universität Regensburg konnten in diesem Zusammenhang nachweisen, dass selektives Erinnern die damit verbundenen Erinnerungsprozesse sowohl behindern als auch fördern kann. Selektive Erinnerungen haben somit zwei Gesichter. Die subjektiv erfahrenen Verbesserungen der Erinnerungsleistung scheinen vor allen Dingen mit veralteten Geschehnissen verbunden zu sein, während die bisher wissenschaftlich beobachteten, blockierenden Effekte zumeist mit „aktuelleren“ Geschehnissen zusammenhängen.

Die Regensburger Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Karl-Heinz Bäuml vom Institut für Psychologie der Universität Regensburg konnte dies mit einem Experiment deutlich machen. Einer Gruppe von 80 Versuchspersonen wurden zwei Listen mit Wörtern vorgelegt, die die Probanden nacheinander lernen sollten. Die Versuchspersonen erhielten dabei nach dem Lernen der ersten Liste die Aufgabe, sich diese Liste – die aus vier „Zielwörtern“ (target words) und zwölf „Beiwörtern“ (nontarget words) bestand – entweder zu merken oder aber sie gleich wieder zu vergessen. Im zweiten Fall wurde den Probanden gesagt, dass die Liste nur zu Übungszwecken gezeigt worden wäre und später nicht abgefragt würde. Danach sollten die Probanden die zweite Liste lernen und wurden schließlich (doch) zur ersten Liste „geprüft“. Die „Zielwörter“ (target words) wurden entweder zuerst oder nach einem gestützten Erinnern der „Beiwörter“ (nontarget words) abgefragt.

Das Experiment zeigte, dass die Erinnerungsleistung der Probanden im Falle der Aufgabe „Liste merken“ besser war, sofern die „Zielwörter“

(target words) als erstes abgefragt wurden. Wurden hingegen die „Zielwörter“ als zweites abgefragt – also nach den „Beiwörtern“ – so konnten sich die Probanden eher an die Wörter erinnern, die sie eigentlich vergessen sollten. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Erinnerungsleistung von dem „Speicherzustand“ (memory status) einer bestimmten Information abhängt. Im Falle von veralteten, scheinbar irrelevanten Erinnerungen verbessert der vorangehende selektive Abruf von Gedächtnisinhalten das Erinnern verwandten Materials. Im Falle von aktuellen, scheinbar relevanten Erinnerungen blockiert selektiver Abruf das Erinnern verwandter Informationen.

Die Ergebnisse der Regensburger Wissenschaftler wurden vor kurzem in der renommierten Zeitschrift „Psychological Science“ (Online) veröffentlicht (DOI: 10.1177/0956797610370162). Sie dürften für die Arbeit mit traumatisierten Personen (Gewaltopfern, Kriegsveteranen etc.) sowie für die allgemeine Kriminalistik von großem Interesse sein.

Media Contact

Alexander Schlaak idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-regensburg.de/

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