Entzündungsvorgänge treiben die Entwicklung neurodegenerativer Hirnerkrankungen voran und sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich in den Nervenzellen sogenannte Tau-Proteine anhäufen. Zu diesem Schluss kommt ein internationales Forschungsteam unter der Federführung des DZNE und der Universität Bonn im Fachjournal „Nature“. Die Befunde beruhen auf Studien an menschlichem Hirngewebe und weiteren Laboruntersuchungen. Im speziellen Fall von Alzheimer offenbaren die Ergebnisse eine bislang unbekannte Verbindung zwischen Abeta- und Tau-Pathologie. Sie weisen außerdem darauf hin, dass Entzündungsprozesse ein Ansatzpunkt für künftige Therapien sein könnten.
Tau-Proteine stabilisieren für gewöhnlich das Gerüst der Nervenzelle. Doch bei der Alzheimer-Erkrankung, der Frontotemporalen Demenz (FTD) und anderen „Tauopathien“ werden diese Proteine chemisch verändert, sie lösen sich vom Zellskelett und verkleben miteinander.
Die mechanische Stabilität kann dadurch soweit beeinträchtigt werden, dass die Zelle abstirbt. Die „Tau-Pathologie“ versetzt der Nervenzelle gewissermaßen den Todesstoß. Die aktuelle Studie eines Teams um Prof. Michael Heneka, Direktor der Klinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie der Universität Bonn und Arbeitsgruppenleiter am DZNE, liefert nun neue Erkenntnisse darüber, warum sich die Tau-Proteine verwandeln. Eine treibende Kraft sind demnach Entzündungsprozesse, die vom Immunsystem des Gehirns ausgelöst werden.
Molekularer Schalter
Eine zentrale Rolle spielt dabei das „NLRP3 Inflammasom“, berichten Heneka und Kollegen im Fachjournal „Nature“. Mit diesem Proteinkomplex, der in den Immunzellen des Gehirns angesiedelt ist, haben sich die Forscher schon in vorherigen Studien befasst. Es handelt sich um einen molekularen Schalter, der die Freisetzung entzündungsfördernder Substanzen auslösen kann.
Für die aktuelle Studie untersuchten sie nun Gewebeproben aus den Gehirnen verstorbener FTD-Patienten, Zellkulturen von Hirnzellen und Mäuse mit Krankheitsmerkmalen, die für Alzheimer und FTD typisch sind.
„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Inflammasom und die vom ihm ausgelösten Entzündungsreaktionen für die Tau-Pathologie eine wichtige Rolle spielen“, sagt Heneka. Das Inflammasom beeinflusst insbesondere Enzyme, die eine sogenannte Hyperphosphorylierung der Tau-Proteine herbeiführen, stellten die Forschenden fest. Diese chemische Veränderung bewirkt letztlich, dass sich die Proteine vom Zellgerüst abtrennen und verklumpen. „Offenbar sind vom Inflammasom vermittelte Entzündungsvorgänge für die meisten, wenn nicht für alle neurodegenerative Erkrankungen mit Tau-Pathologie von zentraler Bedeutung“, so Heneka.
Bindeglied zwischen Abeta und Tau
Das gilt speziell für die Alzheimer-Erkrankung. Ein weiterer Akteur kommt dabei ins Spiel: „Amyloid-Beta“ (Abeta). Auch dieser Eiweißstoff sammelt sich bei Alzheimer im Gehirn an. Anders als bei den Tau-Proteinen geschieht dies jedoch nicht innerhalb, sondern zwischen den Nervenzellen. Außerdem beginnt die Ablagerung von Abeta schon in einer frühen Phase der Erkrankung, während die Aggregate aus Tau-Proteinen erst im späteren Verlauf auftreten.
In vorherigen Studien konnten Heneka und Kollegen nachweisen, dass das Inflammasom die Aggregation von Abeta fördern kann. Hier schließt sich nun der Kreis zu den jüngsten Befunden. „Unsere Ergebnisse stützen die Amyloid-Kaskaden-Hypothese für die Entwicklung der Alzheimer-Erkrankung. Demnach führen die Ablagerungen von Abeta letztlich zur Entstehung der Tau-Pathologie und damit zum Zelltod“, sagt Heneka. „Unsere aktuelle Studie zeigt, dass das Inflammasom das entscheidende und bislang fehlende Bindeglied in dieser Reaktionskette ist, denn es vermittelt die Entwicklung von der Abeta- zur Tau-Pathologie. Es reicht gewissermaßen den Staffelstab weiter“. Demzufolge aktivieren Ablagerungen von Abeta das Inflammasom. Infolgedessen wird einerseits die Entstehung weiterer Abeta-Ablagerungen gefördert. Anderseits kommt es zu chemischen Veränderungen an den Tau-Proteinen und zu deren Verklumpung.
Möglicher Ansatzpunkt für Therapien
„Entzündungsprozesse befördern die Entwicklung der Abeta-Pathologie, und wie wir nun zeigen konnten, auch der Tau-Pathologie. Insofern hat das Inflammasom bei Alzheimer und anderen Hirnerkrankungen eine Schlüsselstellung“, so Heneka der am Bonner Exzellenzcluster „ImmunoSensation“ beteiligt ist und auch an der University of Massachusetts Medical School lehrt. Der Neurowissenschaftler sieht hier Chancen für neue Behandlungsmethoden. „Die Idee, auf die Tau-Pathologie einzuwirken, ist naheliegend. Künftige Medikamente könnten genau hier ansetzen, indem sie die Immunantwort beeinflussen. Mit der Entwicklung der Tau-Pathologie lassen die geistigen Fähigkeiten immer stärker nach. Sollte es gelingen, die Tau-Pathologie einzudämmen, wäre das ein wichtiger Schritt zu einer besseren Therapie.“
NLRP3 inflammasome activation drives tau pathology
Christina Ising et al., Nature (2019), DOI: 10.1038/s41586-019-1769-z
URL: https://www.nature.com/articles/s41586-019-1769-z
https://www.dzne.de/en/news/public-relations/press-releases/press/inflammatory-p... Englische Fassung
Dr. Marcus Neitzert | idw - Informationsdienst Wissenschaft
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