Kehrt die Malaria nach Mitteleuropa zurück?

Zwei Krankheitsfälle im Ruhrgebiet sorgen für Aufregung Europa war bis vor wenigen Jahrzehnten ein eigentliches Malariagebiet. Die Geschichte zweier Malariafälle in Deutschland, die sich kürzlich ereigneten, zeigt, dass der anpassungsfähige Erreger – bei entsprechenden Umweltbedingungen – in unseren Breitengraden durchaus wieder Fuß fassen könnte.

Am Anfang sah alles aus wie Routine. Ein sechsjähriges Mädchen aus Angola war in die Kinderabteilung des städtischen Krankenhauses in Duisburg eingeliefert worden. Es hatte eine Eiteransammlung im Unterkiefer, die operativ entfernt werden musste. Da der Abszess ungewöhnlich gross war, dauerte die Operation mehrere Stunden. Vier Wochen, so schätzten die Ärzte, würde der Heilungsprozess dauern. Es war Mitte Juli und ausgesprochen heiss, weshalb die kleine Patientin in ihrem Zimmer bei offenem Fenster schlief.

Importierte Malaria-Parasiten

Was die Ärzte nicht wussten: Das angolanische Mädchen hatte nicht nur Bakterien im Unterkiefer, sondern auch Malariaparasiten im Blut. Und zwar jene Plasmodien, welche die Malaria tropica hervorrufen. Allerdings äusserte sich die Malaria in diesem Fall (was, da der Körper bei ständigen Neu-Infekten eine gewisse Immunität gegen die Einzeller aufbaut, bei Bewohnern der Tropen nicht ungewöhnlich ist) nur in gelegentlichem leichtem Fieber. Dies erklärten sich die Ärzte mit der bakteriellen Entzündung im Unterkiefer. Erst fünf Wochen nach dem Eingriff wurden die Malariaerreger bei einer routinemässigen Untersuchung des Blutes entdeckt. Bis die Parasiten durch Medikamente beseitigt waren, vergingen nochmals einige Tage. Insgesamt rund sechs Wochen hatte das Kind also auf der Kinderstation gelegen, ohne dass jemand die im Blut zirkulierenden Plasmodien entdeckt hatte.

Ein paar Zimmer weiter wurde gleichzeitig ein vierjähriges Kind wegen einer Nierenbeckenentzündung behandelt. Kaum als geheilt entlassen, wurde es mit hohem Fieber erneut in die Klinik eingewiesen. Der behandelnde Kinderarzt vermutete eine Blutvergiftung. Rein zufällig entdeckte eine medizinisch-technische Assistentin die wirkliche Ursache der schweren Erkrankung: zahlreiche rote Blutkörperchen waren mit Plasmodium falciparum befallen, dem Erreger der gefährlichen Malaria tropica. Als einige Tage später bei einem weiteren Patienten der Kinderstation unerklärliche Fieberschübe auftraten, reagierten die Ärzte sofort. Und tatsächlich waren auch hier Malariaparasiten der Grund für das Fieber.

Da es immer wieder einmal Fälle gibt, wo aus den Tropen eingeschleppte Anopheles-Mücken in Europa die Malaria auf hier ansässige Menschen übertragen (typischerweise handelt es sich um Personen, die auf internationalen Flugplätzen arbeiten oder in deren Nähe wohnen), lag auch in Duisburg die Vermutung einer sogenannten Reisegepäck-Malaria nahe. Allerdings war das angolanische Kind zuvor bereits drei Wochen in einem anderen Krankenhaus behandelt worden, was eine Malaria durch eine im Gepäck mitgeschleppte Mücke praktisch ausschloss. Auch ist der nächste Flughafen mit Verbindungen nach Afrika in Düsseldorf viel zu weit entfernt, als dass ein tropischer Moskito als Ursache der Malaria hätte in Erwägung gezogen werden können. Weder hatte einer der beiden deutschen Patienten je ein Malariagebiet besucht, noch hatten sie eine Bluttransfusion erhalten – zwei weitere Möglichkeiten, die eine Malaria tropica hätten erklären können.

Übrig bleibt also nur der – zumindest in den Tropen – übliche Weg der Malaria-Übertragung: Eine Mücke saugt Blut bei einer infizierten Person, die Parasiten entwickeln sich in diesem Insekt zu einer neuen Generation infektionsfähiger Erreger, die dann bei einem weiteren Stich auf eine andere Person übertragen werden.

Plasmodien lieben die Wärme

Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses nimmt mit steigender Aussentemperatur zu. In dem betreffenden Sommer war die mittlere Temperatur in Duisburg nicht unter 21 Grad gesunken und erreichte an einigen Tagen 34 Grad. Unter diesen Verhältnissen benötigt Plasmodium falciparum für seine Entwicklungsphase in der Mücke höchstens 14 Tage. Allerdings gibt es in Deutschland nur wenige Anophelesarten, die den Erreger der Malaria tropica übertragen können. Die am häufigsten vorkommenden Anophelinen gehören zum sogenannten Maculipennis-Komplex. Sie sind zwar geeignete Zwischenwirte für Plasmodium vivax, den Erreger der Malaria tertiana, für Plasmodium falciparum hingegen sind sie aus genetischen Gründen nicht empfänglich.

Also machten sich die Ärzte des Duisburger Krankenhauses zusammen mit Kollegen des tropenmedizinischen Instituts Hamburg auf die Suche nach Malariamoskitos – und wurden in einem Wäldchen nahe der Klinik tatsächlich fündig: In einem mit Wasser gefüllten Hohlraum einer alten Buche entdeckten sie Larven von Anopheles plumbeus, einer Anophelinen-Spezies, die Malaria-tropica-Erreger übertragen kann. Die offenen Fenster hatten es ermöglicht, dass die gleiche Mücke mindestens in zwei verschiedene Zimmer der Kinderstation geflogen war, um ein erstes Mal Blut mit Malariaerregern aufzunehmen und ein zweites Mal die infektiösen Formen zu übertragen.

Eine weitere Beobachtung der deutschen Forscher spricht für dieses doch eher unwahrscheinlich anmutende Ereignis: Aus Blutproben des angolanischen Kindes und des ersten deutschen Malariakranken erstellten sie einen «genetischen Fingerabdruck» des Parasiten. Die beiden Isolate waren zwar nicht identisch, doch ausgesprochen ähnlich. Da chronisch infizierte Personen häufig gleichzeitig mit mehreren Parasitenvarianten infiziert sind, kann es bei der Phase der geschlechtlichen Vermehrung in der Mücke zu einer Rekombination der DNA verschiedener Varianten kommen. Ein daraus entstehender neuer Klon von Plasmodium falciparum unterscheidet sich dann in relativ wenigen Basensequenzen von den «Eltern». Und just solche Unterschiede waren in den beiden Proben nachweisbar.[1]

Europa, ein ehemaliges Malariagebiet

Es ist noch nicht lange her, dass die Malaria in Europa eine etablierte und häufige Erkrankung war. So traten im norddeutschen Emsland bis 1946 jährlich Dutzende, manchmal gar Hunderte von Malariafällen auf. Und noch zu Ende des Zweiten Weltkriegs war Italien ein eigentliches Malarialand. Von der Triester Bucht bis nach Palermo auf Sizilien erstreckte sich das Verbreitungsgebiet der «mala aria» (wörtlich: schlechte Luft), und Anophelesmücken kamen in Höhen bis zu 1000 Metern vor. Die letzten Malariafälle in Sizilien wurden 1962 beobachtet, aber die Weltgesundheitsorganisation – wohl wissend um die Hartnäckigkeit, mit der sich die Malaria tertiana halten kann – erklärte Italien erst Ende 1970 als malariafrei.

Eine Gruppe italienischer Wissenschafter aus dem Istituto Superiori di Sanità in Rom hat kürzlich zu berechnen versucht, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die Malaria nach gerade einmal dreissig Jahren Abwesenheit wieder in Italien festsetzen könnte. Insbesondere in Zentral- und Süditalien, so die Folgerung der Italiener, gibt es mindestens drei Arten von Anophelinen, die mit Sicherheit Plasmodium vivax (den Erreger der Malaria tertiana), aber eventuell auch Malaria-tropica-Plasmodien übertragen können. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass die Malaria wieder Ausmasse annehmen könnte wie im 19. und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so lässt sich eine Rückkehr dieser Seuche nach Italien doch nicht gänzlich ausschliessen.[2]

Damit die Malaria zu einer Gesundheitsgefahr wird, müssen drei Faktoren zusammentreffen: Die Erreger müssen im Blut eines Menschen kreisen, es müssen geeignete Insektenvektoren vorhanden sein, und die Aussentemperatur muss die Vermehrung der Parasiten in den wechselwarmen Lebewesen begünstigen. In den letzten zehn Jahren haben sich in Mitteleuropa alle diese drei Faktoren zugunsten der Malaria gewandelt. Die Klimaerwärmung hat uns zunehmend höhere Jahresdurchschnittstemperaturen beschert, eine ökologisch orientierte Landwirtschaft mit einem verminderten Einsatz von Insektiziden und Renaturierungsmassnahmen (beispielsweise der Rückbau der Marschen in Norddeutschland) haben für Anophelesmücken neuen Lebensraum geschaffen. Und schließlich bringt die Mobilität der Menschen – ob Tropenreisende oder Flüchtlinge aus Drittweltländern – die Malariaerreger wieder dorthin, wo man sie längst ad acta gelegt hatte.

Wie wird eine Malaria diagnostiziert?

Die Diagnose einer Malaria wird durch den Nachweis der Parasiten im Blut des Patienten gestellt. Dazu wird ein Anreicherungsverfahren, der sogenannte Dicke Tropfen, eingesetzt. Sind relativ viele Parasiten vorhanden, lassen sie sich auch in einem normalen Blutausstrich in den roten Blutkörperchen erkennen. Solange medizinisch-technischen Assistentinnen Blutausstriche von Auge auswerteten, wurde die Diagnose Malaria spätestens dann gestellt, wenn die Siegelringförmigen Parasiten in den roten Blutkörperchen auf Grund ihrer großen Zahl nicht mehr zu übersehen waren.

Heutzutage werden Blutausstriche immer häufiger von Analyse-Automaten untersucht, die zwar in kürzester Zeit mehrere hunderttausend Zellen auf bestimmte Veränderungen hin analysieren können, auf die Erkennung von Malariaparasiten jedoch nicht «trainiert» sind. Nur so ist es zu erklären, dass bei einem schwer kranken angolanischen Kind, bei dem im Laufe von sechs Wochen sicher zahlreiche Blutausstriche angefertigt und untersucht worden waren, die seit langem bestehende Malaria erst am Ende des Spitalaufenthaltes entdeckt wurde.

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Hermann Feldmeier Neue Zürcher Zeitung

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