Gehirnforschung: Dem "Neglect" auf der Spur


Um zu erforschen, wie das menschliche Gehirn Information über Bewegung im Raum und über räumliche Zusammenhänge verarbeitet, haben Wissenschaftler der RUB und des Jülicher Kernforschungszentrums das menschliche Gehirn mit dem von Rhesusaffen verglichen – und fanden dabei deutliche Parallelen in der Informationsverarbeitung. Die Ergebnisse können helfen, Schlaganfalltherapien zu verbessern.

Gehirnforschung: Menschen und Makaken …
… verarbeiten Bewegungsreize an der gleichen Stelle im Gehirn
Ergebnisse Bochum-Jülicher Studie in NEURON erschienen


Warum ist es eigentlich Patienten mit einem Schlaganfall in einem bestimmten Bereich des Gehirns unmöglich, beim morgendlichen Kaffeetrinken gezielt zur Kaffeetasse zu greifen? Um zu erforschen, wie das menschliche Gehirn Information über Bewegung im Raum und über räumliche Zusammenhänge verarbeitet, haben Wissenschaftler der RUB (PD Dr. Frank Bremmer, Dipl.-Biol. Anja Schlack, Dipl.-Biol. Michael Kubischik, Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann, Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie, Fakultät für Biologie) und des Jülicher Kernforschungszentrums das menschliche Gehirn mit dem von Rhesusaffen (Makaken) verglichen. Sie fanden dabei deutliche Parallelen in der Informationsverarbeitung zwischen Menschen und nicht-menschlichen Primaten. Die Ergebnisse dieser Studie sind vergangene Woche in der Fachzeitschrift NEURON (Nr. 29: 287-296, 2001) erschienen.

Dem Neglect auf der Spur

Frühere Studien wiesen bereits darauf hin, welche zentrale Bedeutung ein bestimmter Bereich des Großhirns (Cortex) hat – ein als hinterer, oberer Scheitellappen oder Parietalcortex bezeichnetes Gebiet. So führen Schädigungen dieses posterioren Parietalcortex (PPC) bei Menschen zu massiven, meist permanenten Störungen der Wahrnehmung: nach einem rechtsseitigen Schlaganfall können die Patienten links von der Körpermitte, im so genannten contralateralen extrapersonalen Halbraum, wenig oder sogar nichts wahrnehmen. Diese Schädigung wird als „Neglect“ bezeichnet. Menschen können Hindernissen in diesem Raumbereich nicht ausweichen, können nicht gezielt zu Objekten (wie der Kaffeetasse) in diesem Bereich greifen oder essen z. B. nur von der rechten Hälfte des Tellers. Genauere Untersuchungen an Patienten konnten zeigen, dass die Verarbeitung sensorischer Information verschiedener Sinneswahrnehmungen (Sehen, Hören, Fühlen) in Bezug auf ein so genanntes kopf- oder körperzentriertes, internes Koordinatensystem gestört ist.

Bedeutende Vorarbeit mit Bochumer Beteiligung

Ziel des Bochum-Jülicher Projektes war, das Verständnis dafür zu verbessern, wie der PPC von Primaten funktioniert, und herauszufinden, inwiefern die neurowissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse von Makaken auf den Menschen übertragbar sind. In einer wegweisenden Vorarbeit konnte eine französich-deutsche Gruppe (unter ihnen PD Dr. Frank Bremmer, der auch an der jetzt veröffentlichten Studie beteiligt war) nachweisen, dass es im Gehirn von Rhesusaffen ein Gebiet gibt, dessen funktionelle Eigenschaften denen entsprechen, die im Verhaltensbild des Neglects gestört sind – nämlich das „ventrale intraparietale Areal“ (VIP).

Parallelen der Funktionen des PPC im Menschen und Makaken

Die Bochumer und Jülicher Wissenschaftler stellten sich die Frage, ob dieses Areal auch im menschlichen Parietalcortex existiert und womöglich bei Neglectpatienten geschädigt sein könnte. Mithilfe einer funktionellen Kernspinuntersuchung konnten sie nachweisen, dass es eine deutliche Parallele der beiden Hirnregionen (PPC im Menschen und Makaken) gibt. In ihrer Studie verwendeten die Neurowissenschaftler so genannte polymodale (visuelle, taktile, auditorische) Bewegungsreize und testeten, welche Hirnareale bei den Versuchspersonen jeweils aktivierbar waren. Dabei entdeckten sie drei Hirngebiete, die durch jeden Stimulus aktiviert wurden. Eines dieser Hirngebiete liegt anatomisch an genau der Position, an der es auch im Makakencortex zu finden ist. Die Informationsverarbeitung von Bewegungsreizen bei Menschen und nicht-menschlichen Primaten stimmt also zu einem gewissen Grad überein. Damit ist den Forschern ein weiterer Schritt gelungen, die Funktionsweise des Gehirns zu erfassen und zu verstehen. Langfristig können die Ergebnisse der Studie dazu beitragen, Diagnosen des Neglect weiterzuentwickeln und Therapien von Parietalcortex-Patienten zu verbessern.

Weitere Informationen

PD Dr. Frank Bremmer, Lehrstuhl für Allgemeine Zoologie und Neurobiologie, Fakultät für Biologie der RUB, ND 7/30, Tel.: 0234/32-24369, Fax: 0234/32-14278, E-Mail: bremmer@neurobiologie.ruhr-uni-bochum.de

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Dr. Josef König idw

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