Tausende von Herzinfarkten vermeidbar

Wissenschaftler in Münster haben nach 25 Jahren Forschung einen entscheidenden Fortschritt bei der Berechnung des Herzinfarkt-Risikos erzielt: Durch einfache Addition von Risikopunkten kann jetzt jeder sein individuelles Risiko schätzen, in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt zu erleiden. Werden dann gezielt die Risikofaktoren behandelt, die das persönliche Herzinfarktrisiko besonders erhöhen, kann das neue Modell nach Angaben der Wissenschaftler dazu beitragen, Tausenden von Menschen das Leben zu retten.

Der Herzinfarkt ist die häufigste Todesursache in Europa; allein in Deutschland sterben jährlich zirka 175.000 Personen an Erkrankungen der Herzkranzgefäße einschließlich akuter Herzinfarkt, etwa ein Viertel davon vor dem 70. Lebensjahr. Auch bei jüngeren Patienten kündigt sich der Herzinfarkt oft nicht durch Warnsymptome, wie zum Beispiel Herzschmerzen oder andere Herzbeschwerden an.

Um genauere Erkenntnisse über den Einfluss von bekannten und vermuteten Risikofaktoren auf die Entstehung eines Herzinfarktes zu gewinnen, wurde vor 25 Jahren die PROCAM-Studie initiiert. Insgesamt wurden in Westfalen und im nördlichen Ruhrgebiet bei über 30.000 Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen umfassende Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt und seither alle Teilnehmer im Abstand von zwei Jahren nachbefragt. Basierend auf dieser Langzeitbeobachtung haben die Forscher am Institut für Arterioskleroseforschung in Münster jetzt in der angesehenen US-amerikanischen Fachzeitschrift „Circulation“ ein Modell zur Erkennung von Patienten mit einem erhöhten Herzinfarktrisiko vorgestellt. Wie Prof. Dr. Gerd Assmann, Leiter der münsterschen Forschungsgruppe erläutert, berücksichtigt das Punktesystem die komplexen Einflüsse von LDL-Cholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyzeriden (Neutralfette), Blutdruck, Lebensalter, Diabetes mellitus, Zigarettenrauchen sowie eines Herzinfarkts bei Familienangehörigen. Dabei wird jedem dieser Risikofaktoren ein Punktwert zugeordnet. Für die Summe der Risikopunkte kann dann in einer Tabelle das entsprechende Zehn-Jahres-Risiko für einen Herzinfarkt abgelesen werden. Laut Assmann lassen sich über 80 Prozent aller Herzinfarkte durch die Kombination der in dem Rechenmodell berücksichtigten klassischen Risikofaktoren, dem so genannten Globalrisiko, erklären.

Als Hochrisikopatient gilt, wer ein geschätztes Herzinfarktrisiko von über 20 Prozent hat, das heißt mindestens jeder Fünfte mit einem solchen Globalrisiko erleidet ohne Intervention tatsächlich innerhalb von nur zehn Jahren einen Herzinfarkt. Hochrisikopatienten benötigen eine gezielte Behandlung. Das neue Punkte-System erlaubt es Ärzten und Patienten, direkt abzulesen, welcher der Risikofaktoren für das individuelle Risiko besonders entscheidend ist. Auch den Erfolg etwa einer LDL-Cholesterin-Senkung kann der Betroffene direkt an dem nun gesenkten Risiko für einen Herzinfarkt ablesen.

Aber auch wer ein Globalrisiko zwischen zehn und 20 Prozent hat, ist gefährdeter als die meisten Gleichaltrigen, bald einen Herzinfarkt zu erleiden. Bei den Befragten der PROCAM-Studie hatten zu Beginn der Studien etwa 15 Prozent der Probanden eine solche Risikofaktorkonstellation. Immerhin jeder Siebte von ihnen erlitt in den nächsten zehn Jahren tatsächlich einen Herzinfarkt. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind für Patienten mit einem solchen erhöhten Herzinfarkt-Risiko daher äußerst wichtig, wie Assmann betont. Gegebenenfalls sollte der Patient gemeinsam mit seinem Arzt überlegen, ob die Behandlung eines Risikofaktors nötig ist. In jedem Fall kann er von den positiven Einflüssen einer günstigen Ernährung und eines herzgesunden Lebensstils auf Blutfettwerte und Blutdruck profitieren.

Ab sofort wird auch ein Computerprogramm zur Ermittlung des Herzinfarktrisikos auf der Internet-Seite http://www.chd-taskforce.de angeboten und kann von Ärzten und anderen Interessierten kostenlos genutzt werden. Darüber hinaus gibt die Seite wissenschaftliche Informationen und Tipps für eine herzgesunde Ernährung sowie Hinweise zur Raucherentwöhnung.

Laut Assmann stellen die vorliegenden Daten den praktischen Nutzen der Begriffe Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention in Frage, da das Herzinfarktrisiko von zunächst beschwerdefreien Hochrisiko-Personen nicht selten höher ist als bei Patienten mit bestehender koronarer Herzkrankheit. Untersuchungen mittels Computertomographie bei solchen Hochrisiko-Personen zeigen, dass bei über 80 Prozent der Fälle trotz völliger Beschwerdefreiheit verkalkte und nicht-verkalkte Veränderungen der Herzkranzgefäße vorliegen. Wegen dieser neuen Zusammenhänge sollten nach Worten Assmanns die Gedanken des Globalrisikos und einer „risikoabhängigen Prävention“ bei den zur Zeit von der Bundesregierung geplanten Krankheits-Management-Programmen berücksichtigt werden. Fettstoffwechselkrankheiten, Bluthochdruck und Diabetes überlappen sich in der Praxis zum Teil erheblich und sind die wichtigsten Komponenten eines hohen Globalrisikos. Im Regelfall liegen bei Herzinfarkt-gefährdeten Personen laut Assmann nicht einzelne, sondern verschiedene Kombinationen dieser Risikofaktoren vor, die zumeist durch Übergewicht begünstigt werden. „Eine Verringerung der erheblichen, durch koronare Herzkrankheit verursachten Gesundheitsausgaben ließe sich wohl eher durch Programme erreichen, die das Globalrisiko berücksichtigen und eine gezielte risikoabhängige Prävention der im Einzelfall relevanten Risikofaktoren in den Vordergrund stellen. Solchermaßen erzielbare Behandlungserfolge lassen sich durch das neue Punktesystem hervorragend quantifizieren und sind durch qualitätsgesicherte Leitlinien unterstützbar“, betont der geschäftsführende Direktor des Instituts für Arterioskleroseforschung an der Universität Münster.

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Jutta Reising idw

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