Interstitielle Brachytherapie: Vorläufiges Ergebnis der Nutzenbewertung liegt vor

Bislang ist kein Urteil möglich, wie die interstitielle Brachytherapie zur Behandlung eines lokal begrenzten Prostatakarzinoms im Vergleich zu den beiden wichtigsten alternativen Behandlungsmethoden zu bewerten ist: Aus den vorliegenden Daten lässt sich weder Über- noch Unterlegenheit ableiten, aber auch keine Gleichwertigkeit. Zu diesem vorläufigen Ergebnis kommt der Vorbericht, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) am 26. September publiziert und zur Diskussion gestellt hat.

Bis zum 24. Oktober 2006 nimmt das IQWiG Stellungnahmen entgegen, die bei Bedarf in einer mündlichen Erörterung diskutiert werden sollen. Substanzielle Einwände und Ergänzungen aus den Stellungnahmen werden in den Abschlussbericht einfließen. Dieser wird an den Auftraggeber, den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) weitergeleitet, der die Expertise des IQWiG für seine Entscheidungen nutzt.

Prostatakrebs gilt als potenziell heilbar, solange der Tumor auf das Innere des Organs begrenzt ist. Für die Behandlung solch eines lokal begrenzten Tumors stehen vor allem drei Möglichkeiten zur Verfügung: Neben der kompletten operativen Entfernung der Prostata – der Prostatektomie – und der konventionellen Strahlentherapie („perkutane Strahlentherapie“) ist das die so genannte permanente interstitielle LDR-Brachytherapie (LDR = Low Dose Rate). Bei dieser Behandlung werden über spezielle Nadeln kleine radioaktive Partikel dauerhaft in das Innere der Prostata eingebracht, die den Tumor vor Ort mit einer relativ niedrigen Dosis bestrahlen sollen.

Der G-BA hatte das IQWiG beauftragt, die zunehmend häufiger eingesetzte interstitielle Brachytherapie hinsichtlich patientenrelevanter Therapieziele zu bewerten und dabei mit der operativen Entfernung der Prostata und der konventionellen Strahlentherapie zu vergleichen. Ursprünglich war geplant, auch das so genannte kontrollierte Zuwarten (watchful waiting) als weitere Behandlungsoption in die Bewertung mit einzubeziehen, was mangels adäquater Studien aber nicht möglich war.

Keine belastbaren Aussagen zum Überleben möglich

Generell schätzen die Kölner Forscher die Studienlage als unzureichend ein: Weil randomisierte kontrollierte Studien (RCT) für die Fragestellung des Auftrags gänzlich fehlen, mussten sie sich auf nicht randomisierte Interventions- und Beobachtungsstudien stützen. Voraussetzung war, dass diese Studien eine zeitlich parallele Kontrollgruppe in die Betrachtung mit eingeschlossen haben. Alle vom IQWiG in die Bewertung einbezogenen Studien wiesen jedoch methodische Mängel auf, die die Aussagekraft ihrer Ergebnisse schwächen.

Wie die systematische Übersichtsarbeit des IQWiG zeigt, gibt es Hinweise, dass die Brachytherapie die Sexualität weniger beeinträchtigt und seltener zu Harninkontinenz führt als eine operative Entfernung der Prostata. Im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie könnte sich die Brachytherapie weniger nachteilig auf die Enddarmfunktion auswirken. Diese Hinweise reichen aber nach Ansicht der Kölner Wissenschaftler nicht für einen Nutzenbeleg aus, weil bislang nicht dokumentiert ist, dass diese Therapie im Hinblick auf das (krankheitsfreie) Überleben der Patienten zumindest gleichwertige Ergebnisse verspricht wie die alternativen Behandlungsmöglichkeiten. Es ist also nicht sicher auszuschließen, dass bei einer Brachytherapie die Überlebenszeit oder das krankheitsfreie Überleben geringer ausfallen und den Patienten damit ein Schaden entstehen könnte. Auch zu krankheitsbedingten Beschwerden lassen die verfügbaren Studien keine belastbaren Aussagen zu.

In seiner Grundaussage bestätigt der IQWiG-Vorbericht die Ergebnisse anderer aktueller systematischer Übersichten und HTA-Berichte: In allen wird ein Mangel an interpretierbaren Studien beklagt, so dass die offenbar rasche und unkontrollierte Ausbreitung dieser Methode in der Versorgung bedenklich erscheint. Die IQWiG-Wissenschaftler empfehlen dringend, aussagekräftige klinische Studien durchzuführen, um die Brachytherapie mit konventionellen Behandlungsoptionen zu vergleichen.

Hintergrund interstitielle Brachytherapie

Das Prostatakarzinom ist eine bösartige Veränderung der Vorsteherdrüse, die sich, wenn die Erkrankung voranschreitet, auf benachbartes Gewebe (z.B. Harnblase oder Dickdarm) ausbreiten und auch Absiedelungen (Metastasen) in weit entfernten Körperregionen ausbilden kann. Aus Autopsiestudien ist bekannt, dass eine Vielzahl der über 70-jährigen Männer ein zu Lebzeiten nicht bekanntes Prostatakarzinom hat, das auch ohne Behandlung offensichtlich keinen nachteiligen Einfluss auf die Lebensqualität und auf die Lebenserwartung der Betroffenen hat. Neben solchen unbemerkt bleibenden Verlaufsformen werden aber auch aggressive, schnell wachsende und Tochter-geschwülste bildende Formen beschrieben. In der Rangfolge der am häufigsten durch Krebs bedingten Todesursachen unter Männern steht diese Form des Prostatakrebs mit einem Anteil von 10,4% derzeit an dritter Stelle hinter bösartigen Neubildungen der Lunge und des Darms.

Als Therapieoptionen stehen derzeit die chirurgische Entfernung der Prostata und verschiedene Bestrahlungsformen zur Verfügung. Die operative Entfernung des gesamten Organs inklusive Samenbläschen (radikale Prostatektomie) gilt heute als das einzige Therapieverfahren für diese Indikation, dessen Nutzen in einer aussagekräftigen randomisierten Studie belegt wurde.

Bei der interstitiellen Brachytherapie, genauer als permanente interstitielle LDR-Brachytherapie (Low Dose Rate) bezeichnet, handelt es sich um eine Bestrahlung mit radioaktivem Material. Im Unterschied zur externen perkutanen Bestrahlung („perkutan“, durch die Haut) wird hier die Strahlenquelle in Form reiskorngroßer Körnchen, so genannter Seeds mit speziellen Nadeln in das Organ eingebracht. Durch gezielte Verteilung der in der Prostata verbleibenden Seeds, die in der Regel radioaktives Jod oder Palladium enthalten, soll ein größtmöglicher Bestrahlungseffekt im Tumorgewebe bei gleichzeitiger größtmöglicher Schonung der umgebenden Organe (insbesondere Enddarm und Harnblase) erreicht werden. Der erforderliche operative Eingriff erfolgt meistens in Vollnarkose oder Spinalanästhesie und kann stationär oder ambulant durchgeführt werden.

Die interstitielle Brachytherapie wird zunehmend häufig angewendet. Zum einen werden durch Früherkennungsmaßnahmen, insbesondere durch die Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA-Test), vermehrt Erkrankungen in einem frühen Stadium bei zunehmend jüngeren Patienten entdeckt, in dem das Karzinom begrenzt ist und sich für diese Therapieform zu eignen scheint. Zum anderen gilt die Brachytherapie wegen der geringeren Invasivität im Vergleich zur operativen Entfernung der Prostata als das „schonendere Verfahren“.

Media Contact

Dr. Anna-Sabine Ernst idw

Weitere Informationen:

http://www.iqwig.de

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