Neue Ärzteschulung für eine bessere Beratung zur Pränataldiagnostik

Ein von Ethikern, Psychologen und Medizinern entwickelter Leitfaden kombiniert mit einer Schulung der Ärztinnen und Ärzte verbessert die Beratung von Paaren, die ein Kind erwarten. Dies hat eine Evaluation im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Integration und Ausschluss» (NFP 51) ergeben. Die Fachgesellschaft «gynécologie suisse» hat nun die Herausgeberschaft des Leitfadens übernommen und die Ärzteschulung in ihr Weiterbildungsangebot aufgenommen.

Schwangere Frauen und ihre Partner sind heute mit verschiedenen Methoden der pränatalen Diagnostik konfrontiert. Dazu gehören Ultraschall-Untersuchungen und verschiedene biochemische und genetische Tests. Innert kurzer Zeit müssen die Frauen und ihre Partner entscheiden, welche dieser Verfahren sie in Anspruch nehmen wollen. Die ärztliche Beratung soll ihnen dabei helfen, eine gut informierte Entscheidung zu treffen – eine schwierige Aufgabe.

Aus diesem Grund hat ein interdisziplinäres Gremium aus Ärzten und Psychologen unter der Leitung von Ruth Baumann-Hölzle vom Institut Dialog Ethik ein Beratungskonzept mit Leitfaden und Schulungsprogramm für Ärzte erarbeitet. Beteiligt waren die Universitätsspitäler Basel und Zürich sowie Teilnehmerinnen und Teilnehmer mehrerer Ärztetagungen. Die Grundlage bildeten frühere Arbeiten des Instituts Dialog Ethik und des Vereins für ganzheitliche Beratung und kritische Information zu pränataler Diagnostik.

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Integration und Ausschluss» (NFP 51) wurde dieses Beratungskonzept von der Psychologin Denise C. Hürlimann evaluiert. An der Studie haben fast 200 Schwangere und 31 Allgemeinmediziner und Gynäkologen teilgenommen. Die Forscherin hat Beratungsgespräche vor und nach der Einführung der Schulung und des Leitfadens auf Tonband aufgenommen und ausgewertet. Zusätzlich hat sie Ärzte und Schwangere befragt.

Ihre Untersuchung ergab, dass die Konsultationen, in denen die Pränataldiagnostik thematisiert wurde, nach der Schulung und mit dem Gesprächsleitfaden insgesamt nur wenig länger dauerten als vorher. Das Gespräch aber war strukturierter und der Argumentationsstil hat sich verbessert: Die Ärztinnen und Ärzte gingen vermehrt auf die spezifische Lebenssituation der zu beratenden Schwangeren ein, sie brachten ihre persönliche Meinung seltener zum Ausdruck, stellten Sachverhalte vermehrt graphisch dar und berieten junge und ältere Frauen nun ähnlicher. Sie bestellten die Schwangeren auch tendenziell früher zur ersten Konsultation, so dass diesen mehr Zeit für die Entscheidfindung zur Verfügung stand. „Schwangere werden besser bei ihrem Entscheid unterstützt, welche Tests sie vornehmen lassen und welche Konsequenzen sie aus dem Resultat ziehen wollen,“ resümiert Denise Hürlimann.

Ethisches Dilemma wird ernst genommen

Wenn die werdenden Mütter von Ärztinnen und Ärzten beraten wurden, die geschult waren und den Leitfaden benutzten, äusserten sie sich differenzierter zu ihrer Entscheidfindungssituation. Aber: Weder bei den Schwangeren noch bei den Ärzten erhöhte sich die Sicherheit, sich richtig entschieden zu haben. Die intensive Beschäftigung mit dem Thema machte die Ärztinnen und Ärzte zwar fachlich sicherer, emotional aber fühlten sie sich eher verunsichert. „In der Schulung wurde vielen Medizinern bewusster, wie komplex die Problematik pränataler Untersuchungen ist“, sagt die Psychologin Denise Hürlimann. So gesehen sei die emotionale Unsicherheit der Ärzte nicht negativ zu bewerten: „Das ethische Dilemma, in dem sich die werdenden Eltern befinden, erhält nun im Beratungsgespräch das ihm zustehende Gewicht.“

„Angesichts einer Schwangerschaft und des Angebots an vorgeburtlichen Tests sehen sich Frauen und ihre Partner plötzlich mit schwierigen Fragen konfrontiert,“ sagt Ruth Baumann-Hölzle vom Zürcher Institut Dialog Ethik. Die Risikoerhebung durch Methoden der Pränataldiagnostik wie Ultraschall, Bluttest oder Fruchtwasseruntersuchung verlange ein Nachdenken darüber, ob die werdenden Eltern ein allfällig behindertes Kind bekommen oder einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen wollen. Rechnung getragen werden müsse dem begrenzten Zeitfenster, dem Risiko des Eingriffs, der Möglichkeit falsch negativer und falsch positiver Resultate, der Unmöglichkeit, den Entscheid rückgängig zu machen, sowie dem Recht auf Nichtwissen. „Wenn Ärzte diese Themen reflektieren, kann das helfen, ein neues Bewusstsein zu schaffen: hin zu einem informierten, autonomen Entscheid der Schwangeren und ihres Partners“, sagt die Ethikerin.

Die zwei Tage dauernde Ärzteschulung befasst sich daher nicht nur mit pränatalen Testverfahren sondern auch mit Rechtsfragen, mit der Arzt-Patienten-Kommunikation und mit ethischen Fragen der Entscheidungsfindung. Und sie stellt auch eine Einführung in den Leitfaden für das Gespräch mit der Schwangeren dar. Dieser enthält auf 30 Seiten Kommunikationstipps und erläutert sieben konkrete Schritte der Beratung: vom Ausdruck der Freude über die Schwangerschaft bei der ersten Konsultation bis zum Entscheid der Frau und ihres Partners für ein Austragen des Kindes oder für einen Schwangerschaftsabbruch.

«Gynécologie suisse» übernimmt Herausgeberschaft

„Eine grosse Verbreitung im Lande und die verdiente Bewährung in der Praxis“, wünscht Wolfgang Holzgreve, der Präsident von «gynécologie suisse» (Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) dem Gesprächskonzept. Es könne helfen, die Beratungskompetenz der Ärztinnen und Ärzte weiter zu verbessern. «Gynécologie suisse» hat deshalb kürzlich die Herausgeberschaft des überarbeiteten Leitfadens übernommen und sich zu einer landesweiten Streuung entschlossen. Bald sollen neben der deutschen auch eine französische, eine italienische und eine englische Fassung vorliegen. Ausserdem hat die Fachgesellschaft die Ärzteschulung in ihr Weiterbildungsangebot aufgenommen. Über 100 Ärztinnen und Ärzte haben den Kurs bereits besucht.

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