Eins, zwei, viele: Wie gut können Affen rechnen?

Exaktes Rechnen, das Addieren oder Subtrahieren von Zahlen, die Anwendung komplexer mathematischer Formen sind kulturelle Leistungen und kommt nicht ohne Sprache aus. Ein Gespür für „mehr“ oder „weniger“ oder die Fähigkeit, die Größe einer Menge zu schätzen, sind hingegen nicht an Sprache gekoppelt. Über diese „numerische Grundkompetenz“ verfügen nicht nur menschliche Säuglinge, sondern auch viele Tiere. „Tiere können Reize aufgrund numerischer Informationen, etwa eine unterschiedliche Anzahl von Punkten, unterscheiden“, sagt Dr. Andreas Nieder vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung an der Universität Tübingen. Sein Team untersucht diese nicht-sprachlichen Vorformen numerischer Kompetenz mit äffischen „Rechenkünstlern“.

„Wir glauben“, sagt Nieder, „dass mathematische Fähigkeiten eine Pyramide zunehmend abstrakter mentaler Repräsentationen darstellen. Diese basieren zumindest teilweise auf unserer nicht-sprachlichen Fähigkeit, numerische Quantitäten oder Mengen einzuschätzen. Letztendlich wollen wir verstehen, wie das Gehirn abstrakte Kategorien und Konzepte am Beispiel von Quantitäten kodiert und Verhalten danach steuert.“

„Unsere Einzelzelluntersuchungen an verhaltenstrainierten Affen zeigen, dass das Gehirn dieser Tiere tatsächlich numerische Quantität verarbeitet“, fasst der Wissenschaftler seine Forschungsergebnisse auf der Tagung der europäischen Hirnforscher in Wien zusammen. Das Team trainierte zwei Affen darauf, bestimmte Mengen von Punkten, die ihnen auf dem Computerbildschirm präsentiert wurden, zu unterscheiden. Die Forscher präsentierten den Tieren beispielsweise einen Kreis mit vier Punkten. Nach einer Pause folgte ein anderer Kreis, in dem sich entweder dieselbe Anzahl von Punkten befand oder eine jeweils eine um einen Punkt vermehrte oder reduzierte Zahl. Wenn die Menge identisch war, ließ der Affe einen Hebel los – und bekam eine Belohnung. War die Punktzahl unterschiedlich, hielt der Affe den Hebel weiter gedrückt und wartete, bis ihm wieder die identische Punktzahl präsentiert wurde.

Während dieses Tests registrierten die Forscher mit Hilfe implantierter Mikroelektroden die Aktivität einzelner Nervenzellen in bestimmten Gehirnbereichen der Affen, wo numerische Informationen verarbeitet werden. (Dabei handelt es sich um den so genannten intraparietalen Sulcus, einen Bereich im Scheitellappen der Großhirnrinde sowie um den Präfrontalcortex, einen Bereich des Stirnlappens.)

Wie Nieders Team herausfand, werden numerische Informationen zunächst im intraparietalen Sulcus verarbeitet. „Von dort wird die Informationen vermutlich zum Präfrontalkortex weitergeleitet, wo sie verstärkt und im Kurzzeitgedächtnis behalten wird, um für die Kontrolle des Verhaltens bereitzustehen“, erklärt Nieder.

Ebenso fanden die Wissenschaftler heraus, dass einzelne Nervenzellen auf die Verarbeitung bestimmter Mengen „geeicht“ sind: Sie feuern dann besonders intensiv, wenn dem Tier „ihre“ Zahl präsentiert wird. So hat quasi jedes Neuron eine „Lieblingszahl“.

Zusammen bilden diese Zellen die jeweiligen Mengen entsprechend ihrer Größe räumlich-geordnet ab. „Auf diese Weise wird die Beziehung der Anzahlen untereinander bereits repräsentiert, denn Anzahlen sind keine isolierten Kategorien sondern beziehen sich aufeinander“, erklärt Nieder. „So ist etwa 3 größer als 2 und kleiner als 4. Entsprechend sind die Mengen auf dem so genannten mentalen Zahlenstrahl repräsentiert.“ Dabei handelt es sich um die „quasi-räumliche, systematische Repräsentation von Mengen entlang einer mentalen Skala“.

Die Forschungsergebnisse der Tübinger Wissenschaftler erklären auch zwei Effekte, die bei der Beurteilung von Mengen auftreten: den Distanz- und den Größeneffekt. Der numerische Distanzeffekt besagt, dass Menschen und Affen Mengen, die weit voneinander entfernt sind, leichter unterscheiden können als näher zusammenliegende. Nieder: „Wir können etwa 5 und 9 leichter voneinander unterscheiden als 5 und 6.“ Der Grund dafür ist, dass die Neuronen auf jene Mengen, die unmittelbar neben ihrer „Lieblingszahl“ liegen (also um eins kleiner oder größer sind), auch noch besonders stark antworten, und dadurch ihre Lieblingszahl leicht „verwechseln“. Der numerische Größeneffekt besagt, dass es Menschen und Affen leichter fällt, Mengenpaare gleicher numerischer Distanz zu unterscheiden, wenn die Mengen klein sind. Nieder: „Wir können 3 von 4 Punkten leichter unterscheiden als 8 von 9.“

Ihre Forschungsarbeiten, so hoffen die Wissenschaftler, könnte dazu beitragen, neue Wege für einen besseren Mathematikunterricht aufzuzeigen. Sie wollen beispielsweise herausfinden, wie es dem Gehirn gelingt, abstrakte Quantitäten mit Symbolen zu verknüpfen, was dann beim Menschen zu echtem Zählen führt. Nieder: „Wir untersuchen deshalb an Affen den ersten Schritt, der zum Symbolgebrauch führen kann, nämlich die Assoziation von Quantitäten mit visuellen Formen, also Ziffern.“

ABSTRAKT Nr. S19.1

Notes to Editors
Das Forum 2006 der Federation of European Neuroscience Societies (FENS) wird veranstaltet von der Österreichischen Gesellschaft für Neurowissenschaften und der Deutschen Neurowissenschaftlichen Gesellschaft. An der Tagung nehmen über 5000 Neurowissenschaftler teil. Die FENS wurde 1998 gegründet mit dem Ziel, Forschung und Ausbildung in den Neurowissenschaften zu fördern sowie die Neurowissenschaften gegenüber der Europäischen Kommission und anderen Drittmittelgebern zu vertreten. FENS ist der Europäische Partner der Amerikanischen Gesellschaft für Neurowissenschaften (American Society for Neuroscience). Die FENS vertritt eine große Zahl europäischer neurowissenschaftlicher Gesellschaften und hat rund 16 000 Mitglieder.
Pressestelle während der Tagung:
Austria Center Wien
Raum U 557
Tel.: ++43-(0)1-26069-2025
8. – 12. Juli 2006
Nach der Tagung:
Österreich, Schweiz, Deutschland
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