Kopfschmerzpatienten unzureichend versorgt

(Berlin) Kopfschmerzpatienten sind in Deutschland immer noch nicht angemessen versorgt. Therapie-Empfehlungen werden nur ungenügend umgesetzt, kritisieren Experten auf dem Deutschen Schmerzkongress in Berlin.

Kopfschmerzen führen seit den 90er Jahren die Liste der „häufigsten Beschwerden“ in der Bevölkerung an. 1975 rangierten sie noch auf Rang 3 – nach „Müdigkeit“ und „Rücken-schmerzen“. Mittlerweile geben 67,3 Prozent der Bevölkerung an, dass sie Kopfschmerzen haben, jeder Zehnte berichtet, dass er unter „erheblichen“ oder „starken“ Schmerzen leidet. Die Häufigkeit von Rückenschmerzen ist hingegen mit 61,9 Prozent nahezu unverändert.

„Diese Ergebnisse zeigen“, erklärt Professor Gunther Haag, Präsident der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, „dass Kopfschmerzen ein großes gesundheits-politisches und vor allem auch volkswirtschaftliches Problem darstellen. Die Kosten durch Fehltage am Arbeitsplatz und eingeschränkte Produktivität betragen zusammen über acht Milliarden Mark. „Ein erheblicher Teil dieser indirekten Kosten wird durch unzureichende und falsche Therapien verursacht“, so Haag weiter. Kopfschmerzen würden von vielen Ärzten, aber auch in der Öffentlichkeit nicht ernst genommen.

So stimmen etwa drei Viertel der ärztlichen Verordnungen nicht mit den Therapie-Empfehlungen der Experten überein. Dies belegt eine Untersuchung der DMKG im Jahr 1999.

Dass sich daran nur wenig geändert hat, bestätigen aktuelle Daten aus diesem Jahr: Die Hälfte der Migränepatienten, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, erhalten freiver-käufliche Analgetika, die allerdings nur bei leichten Attacken wirksam sind. Nur 14 Prozent bekommen Triptane verordnet.

Demgegenüber nehmen 36 Prozent der Betroffenen nach wie vor so genannte Ergotamine, ältere Migräne-Mittel, die aufgrund ihres Wirkungs- und Nebenwirkungsprofils von der DMKG nur noch in bestimmten Fällen empfohlen werden. Damit sind Migräne-Patienten in Deutschland deutlich schlechter versorgt als ihre Leidensgenossen in anderen EU-Ländern. Skandinavische Ärzte verordnen sechs mal mehr Triptane als ihre deutschen Kollegen.

Da ohnehin nur die Hälfte der Migräne-Patienten zum Arzt geht, bedeutet dies, bezogen auf die Gesamtzahl aller Betroffenen, dass schätzungsweise 75 Prozent freiverkäufliche Analgetika nehmen, 18 Prozent werden mit Ergotaminen und nur sieben Prozent mit Triptanen behandelt. Die DMKG geht jedoch davon aus, dass mindestens zehn Prozent aller Migränepatienten, also rund eine Million in Deutschland, aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung zwingend mit Triptanen behandelt werden müssten. „Leider werden unsere Therapie-Empfehlungen von den Ärzten jedoch nur ungenügend umgesetzt“, klagt Haag.

Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Gesundheitspolitik. Zwar wurde der Kollektivregress für Ärzte bei Überschreitung des Arzneimittelbudgets abgeschafft. Erhalten blieben jedoch die individuellen Budgets, die sich an „Richtgrößen“ für einzelne Fachgruppen orientieren. „Darum dürfte sich an der Zurückhaltung der Ärzte bei der Triptan-Verordnung auch kaum etwas ändern“, fürchtet Haag. Seine Prognose: „Auch weiterhin werden Patienten vermutlich an Stelle einer Therapie mit innovativen, hochwirksamen Präparaten weniger wirksame und zum Teil auch stärker mit Nebenwirkungen behaftete Präparate verodnet bekommen.

Für den Kopfschmerzbereich sieht Haag auch keine Einsparungen durch die Bestrebungen des Gesundheitsministeriums, dass Apotheker künftig das jeweils preisgünstigste Präparat eines Wirkstoffes aushändigen sollen. Bei den Triptanen werden ohnehin erst in drei bis vier Jahren Generika zur Verfügung stehen. Und wenn es um einfache Analgetika und andere Migränemittel geht, verordnen die Ärzte bereits heute schon billigere Nachahmerpräparate.

Hinzu kommt, dass sich zahlreiche neue Migränemedikamente in der „Forschungspipeline“ befinden. „Neue Erkenntnisse über die grundlegenden Mechanismen dieser komplizierten Kopfschmerzart“, so Haag, „eröffnen neue Ansatzpunkte für die Behandlung.“ So gäbe es zur Zeit neun mögliche Angriffspunkte zur Beeinflussung der Attacken, an denen Forscher intensiv arbeiten. Dazu gehören beispielsweise Versuche, bestimmte „Tore“ zu Nervenzellen, so genannte Ionenkanäle, zu beeinflussen. Erforscht wird auch, ob es möglich ist, über eine Modulation von Bindungsstellen für verschiedene Hirnbotenstoffe auf Neuronen, die Stärke und Frequenz der Attacken zu beeinflussen.

Pressestelle Deutscher Schmerzkongress
bis 7.10.
Barbara Ritzert
Tel. 030/314-22800 
ritzert@proscientia.de

Rückfragen an:
Prof. Dr. Gunther Haag
Chefarzt der Elztal Klinik GmbH
Pfauenstraße 6, 79215 Elzach-Oberprechtal
Tel.: 07682-805-113
Handy: 0172-8484817
Fax: 07682-805-135
E-Mail: haagelztalklinik@t-online.de

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