Welt-Aids-Tag am 1. Dezember – Forschungsstudie in der Sozialpsychologie untersucht HIV-Risikoverhalten

Am 1. Dezember ist wie jedes Jahr „World AIDS day“

Die Berichterstattung in den Medien zum Thema HIV konzentriert sich dabei vor allem auf die desolate Lage in weit entfernten Ländern und Gebieten wie etwa in Afrika. Doch auch in Deutschland ist die Lage besorgniserregend, wie die vor kurzem vom Robert-Koch-Institut vorgelegten Zahlen zur Entwicklung der HIV-Neuinfektionen zeigen. „Der seit Mitte 2001 zu beobachtende Anstieg ist im ersten Halbjahr 2005 mit fast 20 Prozent im Vergleich zu letztem Jahr drastisch ausgefallen“, meint Dr. Phil C. Langer vom Lehrstuhl Sozialpsychologie am Department Psychologie. „Dies betrifft vor allem homosexuell lebende Männer, die bundesweit über die Hälfte, in Großstädten wie München oder Berlin mehr als drei Viertel der mit dem HI-Virus Infizierten ausmachen.“ Er leitet die „Arbeitsgruppe HIV“, der mehrere Mitarbeiter des Lehrstuhls Sozialpsychologie sowie externe Wissenschaftler angehören. „Positives Begehren“ heißt die erste größere Studie, die das Team in Angriff genommen hat, um die Ursachen des Anstiegs der HIV-Infektionen in Deutschland zu untersuchen.

Herkömmliche Erklärungsversuche verweisen etwa auf mangelndes Wissen über die Infektionswege und den Leichtsinn mancher Risikogruppen, die übertriebenes Vertrauen in die Wirksamkeit der antiretroviralen Therapien haben. „Diese Ansätze greifen aber sicher zu kurz“, meint Langer. „Vorliegende Studien legen vielmehr nahe, dass sich die Entwicklung der Infektionsrate vor allem auf die Zunahme von oft bewusstem sexuellen Risikoverhalten zurückführen lässt. So ist bereits bekannt, dass in manchen homosexuellen Subkulturen ungeschützter Sex wieder zum Verhaltenscode gehört.“ Das wiederum lässt die Forderung laut werden nach sozialwissenschaftlicher Ursachenforschung, auch um die Präventionsarbeit effektiver zu machen. Erst wenn die psychosozialen Ursachen des Risikoverhaltens feststehen und durch empirische Daten belegt sind, können wirksame und angemessene Gegenstrategien entwickelt werden.

Im Rahmen von „Positives Begehren“ sollen deshalb im Lauf von zwei Jahren in München und Berlin als Zentren der Neuinfektionen in Deutschland etwa 80 qualitative Interviews geführt werden. Dabei handelt es sich um vergleichsweise unstrukturierte Gespräche, die aber anhand eines so genannten Leitfadens durchgeführt werden, der einen Ablaufplan mit im Vorfeld aufgestellten Fragen oder Themen und Themenkomplexen vorlegt. „Das soll eher ein Anhaltspunkt als ein fixer Rahmen sein“, berichtet Langer. „Es geht uns darum, Erkenntnisse zu generieren anstatt – wie etwa bei standardisierten Interviews mit vorgegebenen Fragen – bereits in der Forschungsliteratur bestehende Thesen zu testen. Qualitative Interviews dauern oft mehrere Stunden und sind flexible und kommunikative Prozesse, in denen der Gesprächspartner als gleichberechtigt akzeptiert wird.“

Weil sich viele Fragen aus den Antworten des Interviewpartners ergeben, können die Forscher eher dessen Lebenswelt gerecht werden. Aus dieser Befragung ergibt sich zudem die Möglichkeit, latente Sinngehalte sowie unbewusste Wahrnehmungs- und Denkstrukturen zu entdecken – gewissermaßen „zwischen den Zeilen zu lesen“. Das ist gerade jetzt nötig, weil die Sozialwissenschaft im Bereich HIV und AIDS mit der bisherigen Arbeit an eine Grenze stößt. „Ein Großteil der Untersuchungen auf diesem Gebiet waren bislang quantitativ ausgelegt, arbeiteten also mit vorgegebenen Fragebögen“, so Langer. „So konnte man zwar feststellen, dass es eine Zunahme des Risikoverhaltens gibt, man weiß aber nicht, warum, welche Motive also dahinter stecken.“

Insgesamt sollen 60 Interviews mit HIV-positiven oder ungetesteten Personen mit häufigem Risikosex sowie 20 Kontrollgruppeninterviews mit HIV-negativen Gesprächspartnern, die ausgeprägtes Schutzverhalten zeigen, geführt werden. „Wir sind damit sehr praxisorientiert“, meint Langer. „Wir wollen anhand der empirischen Daten zu den Ursachen des HIV-Risikoverhaltens Ansatzpunkte und Koordinaten bestimmen. Nur so können gruppenspezifische Präventionsarbeit besser konzipiert und effektivere Strategien entwickelt werden. Damit einher geht die Definition von schützenden Faktoren zum Ausbau gesundheitsfördernder Arbeit mit HIV-Positiven.“ Die ersten Interviews wurden bereits im Oktober und November geführt.

Die Studie „Positives Begehren“ ist die erste größere qualitative Untersuchung seit dem Anstieg der Neuinfektionen in Deutschland. Sie wird in Kooperation mit der Münchner, Berliner und Deutschen Aids-Hilfe, mehreren HIV-Schwerpunktpraxen und anderen Einrichtungen durchgeführt. Ein Fachbeirat, dem LMU-Forscher und andere Wissenschaftler angehören, soll die Studie in allen Phasen kritisch begleiten. Schwule Medien sind ebenfalls eingebunden, vor allem auch um Interviewpartner erreichen zu können. „Für uns ist die enge Anbindung an die schwule Community Voraussetzung für den Erfolg der Untersuchung“, so Langer.

Ansprechpartner:
Dr. Phil C. Langer
Abteilung Sozialpsychologie, Department Psychologie der LMU
Tel.: 089 / 2180-5183 oder 0176/23621104
E-Mail: info@hivforschung.de

Media Contact

Luise Dirscherl idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-muenchen.de

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