Warum manche Gehirnzellen bei Parkinson besonders leicht absterben

Marburger Forscher identifizieren die Öffnung spezieller Kaliumionenkanäle als einen Auslöser für das Absterben von dopaminergen Gehirnzellen – Möglicher Ansatzpunkt für therapeutische Behandlung

Die Parkinson-Krankheit ist einer der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen – allein in Deutschland sind über 200.000 Patienten betroffen. Ursache für die bei dieser Erkrankung im Mittelpunkt stehenden Bewegungsstörungen ist ein Mangel des Botenstoffs Dopamin im Gehirn, der wiederum eine Folge des Absterbens dopaminproduzierender Nervenzellen ist. Allerdings sterben im Verlauf der Krankheit nicht alle dopaminproduzierenden Nervenzellen im Gehirn ab. Unklar war bisher, warum einige gegenüber der Parkinson-Krankheit resistent, direkt benachbarte Nervenzellen dagegen aber hoch empfindlich sind und fast vollständig absterben.

Zwei Arbeitsgruppen aus dem Institut für Normale und Pathologische Physiologie der Philipps-Universität Marburg unter Leitung von Professor Dr. Birgit Liss und Professor Dr. Jochen Roeper haben, gefördert von der Gemeinnützigen Hertiestiftung, in Kooperation mit der japanischen Universität Kobe nun einen ersten Mechanismus entdeckt, der zu diesen wichtigen Unterschieden führt. Im Tiermodell konnten sie an Mäusen zeigen, dass die Öffnung von bestimmten Kaliumkanälen – „Toren“ in der Zellmembran, durch die Kaliumionen fließen können – in den hochempfindlichen dopaminproduzierenden Nervenzellen eine notwendige Voraussetzung für deren Absterben ist. Bei ihren resistenten Nachbarn bleiben diese Tore geschlossen.

Weil diese Kaliumkanäle wie Messfühler des Energiestoffwechels funktionieren, werden sie auch als ATP-sensitive Kaliumkanäle (K-ATP) bezeichnet; ATP ist die „Energiewährung“ der Zelle. Öffnen sich die Kanaltore, kann dies das Gehirn zum Beispiel bei Durchblutungsstörungen kurzfristig schützen. Nach den neuen Erkenntnissen von Liss und Roeper hat die Toröffnung aber bei chronisch neurodegenerativen Erkrankungen eine genau gegenteilige Wirkung und fördern das Absterben der besonders empfindlichen Neuronen.

So eröffnen die Ergebnisse der Marburger Forscher, die am 20. November 2005 als Advance Online Publication des renommierten Fachjournals Nature Neuroscience unter dem Titel „K-ATP channels promote the differential degeneration of dopaminergic midbrain neurons“ erschienen sind, neue Wege, wie sich bei der Parkinson-Erkrankung die besonders anfälligen Neuronen möglicherweise vor dem Zelltod schützen lassen.

Da die Membrantore für Kaliumionen, die K-ATP Kanäle, offensichtlich die Entscheidung über Leben und Tod von dopaminproduzierenden Neuronen ausschlaggebend beeinflussen können, haben die Wissenschaftler auch die Mechanismen genauer untersucht, die ihr Öffnungsverhalten steuern. Die Ursache für das unterschiedliche Öffnen der Kanäle in empfindlichen und resistenten Neuronen, so zeigen Liss und Roeper, liegt in den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien: In den resistenten Neuronen sind mehr so genannte Entkopplerproteine vorhanden. Diese Substanzen halten in den Mitochondrien die Balance zwischen Energieproduktion und Erzeugung von freien Radikalen, zwischen jenen Faktoren also, die Schließung beziehungsweise Öffnung der Kanäle bewirken. Entkopplerproteine sind bisher vor allem aus dem braunen Fettgewebe bekannt, wo sie insbesondere bei Säuglingen zur Wärmeerzeugung dienen.

Medikamente, die die Öffnung von K-ATP-Kanälen hemmen, sind in der Therapie des Altersdiabetes (Diabetes mellitus Typ II) bereits millionenfach im Einsatz. Hierbei bewirken sie durch Verschließen des Kaliumtores eine erhöhte Insulinausschüttung. Offenbar gelangen die darin enthaltenen Wirkstoffe, so genannte Sulfonylharnstoffe, aber nicht in ausreichender Konzentration ins Gehirn, um dort bei chronischen Erkrankungen Neuronen zu schützen.

„Künftige Medikamente aber, denen es gelingt, die Blut-Hirn-Schranke zu passieren und das Gehirn zu erreichen“, so Liss, „könnten die Neuronen schützen, indem sie das Öffnen der K-ATP-Kanäle in dopaminergen Nervenzellen möglichst zellspezifisch verhindern. So könnten sie das Fortschreiten des Zelltods bei der Parkinson-Erkrankung verzögern.“

Derzeit untersuchen die Marburger Forscher im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) – in Kooperation mit Professor Dr. Wolfgang Oertel, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, sowie Professor Dr. Thomas Gasser, Ärztlicher Direktor der Abteilung „Neurologie mit Schwerpunkt neurodegenerative Erkrankungen“ an der Neurologischen Universitätsklinik Tübingen -, ob Patienten, die besonders früh an Morbus Parkinson erkranken, genetische Variationen des K-ATP Kanals besitzen, die dazu führen, dass sich dieser besonders leicht öffnet.

Kontakt
Professor Dr. Birgit Liss:
Philipps-Universität Marburg,
Institut für Normale und Pathologische Physiologie,
Deutschhausstraße 1-2,
35037 Marburg,
Tel.: (06421) 28 66582,
E-Mail: birgit.liss@staff.uni-marburg.de

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Thilo Körkel idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-marburg.de

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