Starke Blase dank Stammzelltherapie

Im Klinikum rechts der Isar erhalten Patienten, die unter Harninkontinenz (Blasenschwäche) leiden, seit Juni dieses Jahres eine neue und viel versprechende Therapie. Die Mediziner entnehmen eine Muskelbiopsie aus dem Oberarm des Patienten und injizieren daraus gewonnene Stammzellen anschließend in den geschwächten Schließmuskel der Harnröhre. Die Muskelzellen bilden neue Fasern aus und stärken so den Schließmuskel. So können Inkontinenzbeschwerden in vielen Fällen dauerhaft geheilt werden.


Diese Therapie wurde von Prof. Hannes Strasser an der Urologischen Universitätsklinik in Innsbruck, Österreich entwickelt und bereits bei mehr als 170 Patienten angewendet. Die Urologische Klinik im Klinikum rechts der Isar (TU München, Direktor: Univ.-Prof. Dr. Rudolf Hartung) ist die erste Klinik in Deutschland, die diese Therapie in Zusammenarbeit mit der Innsbrucker Klinik anbietet.

Hintergrundinformationen

Weit verbreitetes Leiden

Wer unter Harninkontinenz leidet, fühlt sich häufig unsicher und redet nicht über sein Problem. Dabei betrifft das Leiden immer mehr Menschen, denn das Erkrankungsrisiko steigt mit zunehmendem Alter. „Circa 30% aller Männer und Frauen über 60 Jahre in Deutschland leben mit einer gestörten Blasenkontrolle“, berichtet Dr. Florian May, Oberarzt in der Urologischen Klinik und Poliklinik im Klinikum rechts der Isar.
Die häufigste Ursache der Harninkontinenz ist eine Schwäche der Muskulatur der Harnröhre, insbesondere ihres Schließmuskels, des sogenannten Rhabdosphinkters. Gerade nach Operationen und Geburten können diese Muskeln beeinträchtigt sein. Mit zunehmendem Alter kommt es zudem zu einem dramatischen Absterben der Schließmuskelzellen – der Verlust der Harnkontrolle wird immer wahrscheinlicher.

Revolutionäre Therapie

Aktuelle Therapieformen der Harninkontinenz sind vielfach unzureichend und weisen viele Nachteile auf. Bei Frauen werden heute in vielen Fällen künstliche Schlingen eingenäht, die den Beckenboden anheben sollen. Dabei handelt es sich jedoch um Fremdmaterial, das – wie sich zunehmend herausstellt – langfristig zu erheblichen Komplikationen führen kann. Männer sind aus anatomischen Gründen nur selten von Inkontinenzproblemen betroffen. Allerdings können auch Männer nach Beckeneingriffen wie beispielsweise Prostataoperationen betroffen sein. Den Patienten konnte bisher nur durch das Einbringen eines künstlichen Schließmuskels aus Silikon geholfen werden. Dies ist aber in vielen Fällen mit Komplikationen verbunden. Auch die Lebensdauer dieses Systems ist begrenzt, sodass diese Therapieform nur bei schwerwiegenden Formen angewendet wird.
Nun steht Männern und Frauen mit Inkontinenzproblemen eine neue und revolutionäre Methode zur Verfügung, die sich bereits in einer Reihe von Studien bewiesen hat: die Therapie mit körpereigenen Muskel- und Bindegewebszellen. Revolutionär ist die Methode deshalb, da sie das zugrunde liegende Problem – die Muskel- und Bindegewebsschwäche – ursächlich therapiert und dabei die Ergebnisse einer relativ jungen Forschungsrichtung nutzt: der Stammzelltherapie mit adulten Stammzellen.

Eigene Zellen nutzen

Die Therapie basiert auf der Tatsache, dass im menschlichen Organismus Vorläuferzellen vorhanden sind, die sich bei Bedarf zu spezifischen Zellen wie beispielsweise Haut oder Muskelzellen entwickeln. Diese Vorläufer- oder Stammzellen sorgen unter anderem dafür, dass sich nach einer Hautverletzung die Zellen wieder regenerieren. Der Mensch besitzt also eine Art „hauseigenes Ersatzteillager“. Mediziner fahnden seit Jahrzehnten nach Möglichkeiten diese Fähigkeit für die Entwicklung neuer Therapien zu nutzen. Bei schweren Tumorerkrankungen stellt die Therapie mit Stammzellen bereits eine wichtige und etablierte Behandlungsform dar. Zu den ersten erprobten Anwendungsmöglichkeiten außerhalb dieses Gebiets gehört nun die Regeneration des Muskel- und Bindegewebes der Harnröhre. Fast erstaunlich ist die Schlichtheit und Eleganz mit der diese Methode zu einer Heilung der Blasenschwäche führt.

Stammzellforschung: aus dem Labor in die Klinik

Zunächst entnimmt der Arzt in einer weitgehend schmerzlosen Prozedur unter Lokalanästhesie dem Patienten eine Muskelbiopsie aus dem Oberarm. In einem spezialisierten Hochreinraumlabor kultivieren und vermehren Wissenschaftler diese Zellen, sodass schließlich eine ausreichende Menge an Stammzellen des Muskel- und Bindegewebes, sog. Myo- und Fibroblasten zur Verfügung steht. Einige Wochen später werden in einer kurzen Narkose in einem kleinen operativen Eingriff die körpereigenen Stammzellen in den Schließmuskel eingespritzt. Die Injektion erfolgt über die Harnröhre, sodass keine Schnittoperation erforderlich ist. Per Ultraschallkontrolle wird sichergestellt, dass die Zellen am richtigen Ort landen. Dort integrieren sich die neuen Zellen in den Zellverbund und übernehmen die spezifischen Aufgaben der Muskel- und Bindegewebszellen in Harnöhre und Schließmuskel.

Neue Chance für Patienten

In Innsbruck wird diese Therapie seit drei Jahren erfolgreich angewendet. In einer Studie mit 42 Harninkontinenz-Patienten konnte Professor Strasser zeigen, dass 83 Prozent nach der Stammzelltherapie geheilt waren. Bei 17 Prozent kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Harninkontinenz. Es traten keine Nebenwirkungen oder Komplikationen auf (1). Zwischenzeitlich wurden mehr als 170 Patienten und Patientinnen mit dieser Methode therapiert. Sie ist jedoch nicht für alle Patienten mit Harninkontinenz geeignet. Vor einer Behandlung müssen noch verschiedene Untersuchungen durchgeführt werden, um die individuell beste und die am meisten Erfolg versprechende Behandlungsform herauszufinden. Nun profitieren erstmals auch Patienten in Deutschland von dieser minimal invasiven und erfolgreichen Methode. „Ich bin mit der Therapie vollauf zufrieden“, berichtet ein 72-jähriger Patienten, der im Klinikum rechts der Isar mit der Stammzelltherapie behandelt worden ist. „Meine Mobilität ist wieder hergestellt. Ich traue mich auch wieder in die Badeanstalt zu gehen – das war vorher nicht möglich.“
Professor Rudolf Hartung, Direktor der Urologischen Klinik im Klinikum rechts der Isar ist zuversichtlich: „Patienten, die bisher aus Mangel an Erfolg versprechenden Therapien nicht auf eine Heilung ihres Leidens hoffen konnten, erhalten nun eine neue und schonende Behandlungsoption.“

1: Stammzelltherapie der Harninkontinenz. Urologe (A) 2004-43: 1237-1241

Media Contact

Dr. Fabienne Hübener idw

Weitere Informationen:

http://www.med.tu-muenchen.de

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