Ein Wespenstich muss nicht harmlos bleiben

An der Universität Leipzig wird nach neuen Wegen der Hyposensibilisierung gesucht


Schnell ist es passiert: Eine Wespe oder eine Biene sticht zu. Im Normalfall ergibt sich eine Rötung, brennend und juckend zwar, aber letztlich harmlos. Bei knapp ein bis fünf von 100 Menschen verursacht dieser Stich jedoch allergische Reaktionen, die dramatisch oder gar tödlich sein können. An der Hautklinik der Universität Leipzig forscht man zur Hyposensibilisierung der Allergiker.

Bundesweit 40 Todesfälle pro Jahr nach Bienen- oder Wespenstichen

„Eine allergische Reaktion auf einen Insektenangriff zeigt sich in der Regel schon nach einer halben Stunde, manchmal binnen Minuten“, erläutert Prof. Jan C. Simon, Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Uniklinikum Leipzig, die Gefahr. „Symptome treten dabei nicht nur an der Einstichstelle auf, sondern auch in anderen Regionen des Körpers. Handflächen und Fußsohlen können anfangen zu jucken und zu brennen, an der Haut bildet sich eine Nesselsucht, Schleimhäute jucken und schwellen an, das Atmen fällt schwer, Übelkeit und Erbrechen quälen den Gestochenen, der Kreislauf bricht zusammen.

Kurzum, immer wenn mehr passiert, als dass sich um den Stich eine Rötung von zehn, maximal 15 Zentimeter ausdehnt, ist es angemessen, schnellstens ärztliche Hilfe zu suchen. Immerhin haben wir bundesweit pro Jahr etwa 40 Todesfälle nach Bienen- oder Wespenstichen. Die Dunkelziffer liegt vermutlich wesentlich darüber.“ Den Allergologen oder Notfallmedizinern obliegt es dann, die allergischen Reaktionen zu dämpfen und den Kreislauf zu stabilisieren.

Bei heftige Reaktion auf Insektenstich ist Allergietest angeraten

Keiner, der einmal ungewöhnlich heftig auf einen Insektenstich reagiert hat, sollte das mehr oder weniger gut überstandene Problem auf sich beruhen lassen. „Ich rate in jedem Fall zu einem entsprechenden Allergietest“, betont der Experte. „Dabei werden winzige Mengen des Insektengiftes unter die Haut gebracht; wenn sich eine Quaddel bildet, deutet alles auf eine erhöhte Sensibilität hin. Außerdem untersuchen wir das Blut, ob spezifische Immunglobuline der Klasse E vorhanden sind. Diese Eiweiße vermitteln die Allergie auf die Insektengifte. Außerdem bestimmen wir im Blut die Konzentraition des Enzyms Mastzell-Tryptase, die verantwortlich ist für die Heftigkeit der Reaktion auf Insektengifte. Bei Menschen, die neben einer Sensibilisierung auf Insektengift eine erhöhte Mastzell-Tryptase im Blut haben, müssen wir mit besonderen Problemen rechnen.“

Wer durch diese Tests über seine Allergie Bescheid weiß, muss einem Insektenstich nicht hilflos gegenüberstehen. Den von der Universität Leipzig betreuten Allergikern wird eine kleine Notfallapotheke rezeptiert, deren Medikamente die Zeit bis zum Eintreffen ärztlicher Hilfe überbrücken. Dieses Notfallset enthält Präparate mit Kortison und einem Antihistaminikum, die nicht als Tablette geschluckt werden müssen, sondern die zu trinken sind, sowie das Notfallmedikament Adrenalin, als Spray zum Einatmen oder zur Selbstinjektion in den Muskel.

Doch das eigentliche Ziel der Mediziner ist die Hyposensibilisierung der Allergiker, das heißt deren systematisch Gewöhnung an die allergieauslösenden Substanzen. Dabei wird den Betroffenen zuerst eine winzige Menge des Insektengiftes injiziert und dessen Dosis bis auf die bei einem natürlichen Stich zu verkraftende gesteigert. Diese Methode wird schon seit rund 80 Jahren praktiziert. „Aber an der Leipziger Hautklinik verwenden wir ein neues Therapieregime „, so Simon, „mit dem der bislang fünf- bis neuntägigen stationären Aufenthalt der ja eigentlich kerngesunden Patienten auf zweieinhalb Tage zu verkürzen. Unsere Studien haben nämlich erbracht, dass sich der Körper – unter stationärer ärztlicher Überwachung natürlich – wesentlich schneller als vermutet auf die Insektengifte einstellen kann und die Heftigkeit seiner Reaktionen reduziert. In dieser kürzeren Zeit geschieht die Umstimmung des Immunsystems bei vielen Patienten sogar mit geringeren Nebenwirkungen.“ Wichtig ist jedoch, dass nach der stationären Einleitung die Behandlung für mindestens drei bis fünf Jahre durch niedergelassene allergologisch erfahrene Ärzte fortgesetzt wird. Patienten bei denen die Mastzell-Tryptase im Blut erhöht ist, müssen sogar lebenslang hyposensibilisiert werden“. Prof. Simon hat diese Therapie bereits bei rund 1000 Patienten erfolgreich angewendet.

Doch den Allergologen an der Leipziger Hautklinik geht es nicht nur um eine Optimierung der bisherigen Therapie. „Wir wollen wissen, wie die Hyposensibilisierung funktioniert, um gänzlich neue Wege gehen zu können“, erläutert Prof. Simon. „So haben wir beispielsweise Menschen untersucht, die trotz Sensibilisierung auf einen Bienen- oder Wespenstich nicht allergisch reagieren. Warum nicht? Im Gegensatz zu Allergikern tragen diese Patienten, eine spezielle Art von Immunzellen, sogenannte regulatorische T-Lymphozyten in sich. Diese weißen Blutkörperchen dämpfen überschießende Immunreaktionen. Bislang haben wir die regulatorischen T-Lymphozyten vor allem in der Schwangerschaft beobachtet, wo sie zum Beispiel das Abstoßen des Föten verhindern. Die Erkenntnisse unseres Leipziger Forschungsteam bieten nun einen neuen Denkansatz auch für die Behandlung von Allergien. Wir wissen, dass diese regulatorischen T-Lymphozyten während unserer Hyposensibiliserung auch von Allergikern gebildet werden. Die Hyposensibilisierung ist sozusagen „Hilfe zur Selbsthilfe“ für das Immunsystem des Allergikers. Nun kann man diese T-Lymphozyten bislang nicht künstlich herstellen oder aus einem Körper in den anderen verpflanzen. Aber möglicherweise spielt das Nabelschnurblut unter diesem Aspekt einmal eine wichtige Rolle.“

Es gibt übrigens einen ganz simplen Test, mit dem die Mediziner ermitteln können, inwieweit eine Hyposensibilisierung erfolgreich war. Sie kühlen Insekten bis zur Schläfrigkeit herab, bringen die mit einem Ex-Allergiker in Kontakt, wärmen das Tierchen wieder auf, ärgern es ein bisschen und warten auf den alles entscheidenden Stich. Wenn die Hyposensibilisierung gelungen ist – und die Wahrscheinlichkeit beträgt über 90 Prozent – wird der Gestochene nur die gewöhnliche Reaktion zeigen. „Aber es ist schon ganz verständlich, dass nicht viele unserer Patienten nach ihren traumatischen Erlebnissen mit Bienen und Wespen diesen Test imachen wollen“, zeigt sich Prof. Simon verständnisvoll. „Wir hoffen daher durch unsere Forschungsarbeiten auch einfache Bluttests entwickeln zu können, mit denen sicher vorhersagbar ist, ob die Hyposensiblisierung zu einem Schutz vor Wespen- oder Bienenstichen geführt hat“.

Marlis Heinz

weitere Informationen:
Prof. Dr. Jan C. Simon
Telefon: 0341 97-18600
E-Mail: jan.simon@medizin.uni-leipzig.de

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Dr. Bärbel Adams idw

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