Gewebetransplantation – ein wirkungsvolles Therapieverfahren stößt auf Hindernisse

Zentrum der Rechtsmedizin veranstaltet 3. Frankfurter Symposium Gewebetransplantation

Durch die Transplantation von Gewebe – etwa der Augenhornhaut oder der Herzklappen – können viele Menschen, die an schwereren Krankheiten leiden, geheilt werden. Denn die moderne Transplantationsmedizin hat sich längst von einem experimentellen Verfahren zu einer sehr wirkungsvollen therapeutischen Routinemethode entwickelt. „Die klinische Erfahrung zeigt, dass der Einsatz von menschlichem Gewebe im Gegensatz zu synthetischem oder tierischem die besten Ergebnisse erzielt“, erklärt Professor Dr. med. Hansjürgen Bratzke, Direktor des Instituts für Forensische Medizin im Klinikum der J.W. Goethe-Universität, anlässlich der Pressekonferenz des 3. Frankfurter Symposiums Gewebetransplantation. Dank des medizinischen Fortschritts können heute prinzipiell jegliche Formen des menschlichen Gewebes transplantiert werden. Dabei sind die Einsatzbereiche vielfältig. So ist es z.B. möglich, die Bewegungsfähigkeit von Gehbehinderten durch die Verpflanzung von Knorpeln wiederherzustellen, offene Rücken von Neugeborenen zu heilen, durch die Transplantation von Augenhornhaut Menschen vor der Erblindung zu bewahren oder durch die Verpflanzung von Gehörknöcheln eine vollständige Ertaubung zu verhindern.

Mangel an Transplantaten und problematische Gesetzeslage erschweren die Durchführung von hilfreichen Gewebe-Transplantationen

Wie Professor Bratzke erklärt, stehen der Durchführung von Transplantationen mit menschlichem Gewebe zum Leidwesen vieler Ärzte und Patienten nicht selten Hindernisse im Weg. Die größten Hemmnisse in Deutschland werden zum einen durch den notorischen Mangel an Transplantaten und zum anderen durch eine problematische Gesetzeslage verursacht, so Bratzke. Obwohl Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Quelle: BzgA, Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Band 13) zeigen, dass die Einstellung zu Organ- und Gewebespenden in der Bevölkerung überwiegend positiv ist, verfügen nur wenige Menschen über einen Organspendeausweis (10-14 Prozent) oder teilen ihre Spendenbereitschaft ihren Angehörigen mit.

Dadurch sind den Ärzten die Hände gebunden. Denn in Deutschland wird die Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben seit dem 1. Dezember 1997 durch das so genannte Transplantationsgesetz (TPG) geregelt. Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, in denen die Entnahme von Organen und Geweben von Verstorbenen grundsätzlich erlaubt ist, sofern kein schriftlicher Widerspruch vorliegt (Widerspruchslösung), schreibt das deutsche TPG die so genannte erweiterte Zustimmungslösung fest. Das heißt: Um Organe oder Gewebe entnehmen zu dürfen, muss eine Einwilligung des Verstorbenen vorliegen. Sollte das nicht der Fall sein, stehen die Angehörigen in der Pflicht, im Sinne des Verstorbenen zu entscheiden. Wie Professor Bratzke erklärt, erweist sich dieses gesetzlich geregelte Verfahren in der Praxis als problematisch. Denn da Gewebe innerhalb von 24 Stunden nach Eintritt des Todes entnommen werden müssen, um überhaupt transplantiert werden zu können, muss innerhalb dieser Frist festgestellt werden, ob eine Einwilligung des Verstorbenen vorliegt. Das sei in Anbetracht der Kürze der Zeit sehr schwer. „Oft wird der Spendenausweis nicht mitgeführt oder Angehörige sind nicht zu erreichen“, so der Direktor des Instituts für Forensische Medizin. Hinzu komme, dass der durch den Transplantationsausweis zum Ausdruck gebrachte Wille von Angehörigen häufig nicht umgesetzt werde. Dies sei nach Ansicht von Professor Bratzke zwar emotional verständlich, stelle aber einen Eingriff in das nach dem Tode fortwirkende Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen dar.

Psychologische Faktoren hemmen Spendenbereitschaft – Vorbehalte durch systematische Aufklärung abbauen

Als eine Ursache für den herrschenden Mangel an menschlichen Transplantaten in Deutschland macht Dr. Markus Parzeller vom Zentrum für Rechtsmedizin an der Universitätsklinik Frankfurt am Main die zurückhaltende Spendenbereitschaft verantwortlich. „In erster Linie spielen hierbei auch psychologische Aspekte wie die gesamtgesellschaftliche Tabuisierung des Themas Tod oder auch die Angst, als eingetragener Spender im Falle einer intensivmedizinischen Behandlung nur im Dienste der Organ- und Gewebespende behandelt zu werden, eine Rolle“, so Parzeller.

Um die Versorgungslage von dringend benötigten Transplantaten in Deutschland zu verbessern und dem kriminellen Handel mit menschlichen Organen und Geweben entgegenzuwirken, nennt Dr. Parzeller eine Reihe von möglichen Maßnahmen. Zum einen sei es seiner Ansicht nach dringend geboten, die Bevölkerung noch intensiver über die Vorteile der Transplantationsmedizin und der Organ- und Gewebespende zu informieren. „Ziel einer solchen Aufklärungskampagne sollte es sein, die immer noch weit verbreiteten psychologischen Barrieren und Vorbehalte gegen Organ- und Gewebespenden zu überwinden, den Menschen Ängste zu nehmen, das Thema Tod zu enttabuisieren und die Spendebereitschaft in der Bevölkerung zum Wohl der Patienten und einer besseren medizinischen Versorgung zu erhöhen.“

Gesetzgebung dringend reformbedürftig

Darüber hinaus sollte über die rechtlichen Rahmenbedingungen neu nachgedacht und notwendige Anpassungen vorgenommen werden. „Das derzeit gültige Transplantationsgesetz hat sich teilweise nicht bewährt und ist in vielen Teilen reformbedürftig“, erklärt der Medizinrechtler. So sei z.B. im Gegensatz zu soliden Organen die Todesfeststellung vor der Gewebespende umständlich geregelt. Hier müsse Klarheit geschaffen werden. Auch sei es dringend notwendig, so Parzeller weiter, Organ- und Gewebespenden, die sich von ihrem medizinischen Prozedere und den organisatorischen Abläufen grundlegend unterscheiden, in getrennten Gesetzen praktikabler zu regeln.

Widerspruchs- statt Zustimmungslösung – Einführung eines staatlich kontrollierten Gewebehandels?

Nach Ansicht Parzellers sollte die in Deutschland gültige erweiterte Zustimmungslösung durch die wesentlich pragmatischere Widerspruchslösung ersetzt werden. Diese Verfahrensweise, die in vielen europäischen Ländern wie z.B. auch in Österreich gültig ist, sieht vor, dass Organe und Gewebe nur dann nicht entnommen werden dürfen, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten Widerspruch eingelegt hat. Eine weitere Möglichkeit, dem Mangel an dringend benötigten Organ- und Gewebe-Transplantaten entgegenzuwirken, könnte nach Einschätzung Parzellers in der staatlich kontrollierten Kommerzialisierung von Transplantatspenden bestehen. In der Praxis könnte das zum Beispiel heißen, dass die Angehörigen eines Verstorbenen, der einer Entnahme von Organen und Geweben zu Lebzeiten zugestimmt hat, eine Art Sterbegeld bekommen. „Auch wenn es gegen solche Verfahrensweisen noch starke ethisch-moralische Vorbehalte gibt, sollten sie als mögliche Lösungsansätze in Betracht gezogen werden“, so Parzeller.

3. Frankfurter Symposium Gewebetransplantation

Über die verschiedenen Aspekte der Gewebetransplantation informiert das 3. Frankfurter Symposium Gewebetransplantation, das vom Institut für Forensische Medizin am 17. Juni 2005 von 13.00 Uhr bis 18.30 Uhr im Klinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität veranstaltet wird. Im Mittelpunkt der hochkarätig besetzen Veranstaltung stehen die Themenfelder Recht, Ethik, Forschung und Klinik. Dabei werden u.a. aktuelle Forschungsergebnisse im gesetzlichen Umfeld humaner Gewebe präsentiert, klinische Studien zur Verwendbarkeit von Gewebetransplantaten vorgestellt und über neuere Verfahren zur Deckung von Gehirnhautdefekten referiert. Zudem werden auch medizinrechtliche Aspekte, ethische Fragestellungen und neuere chirurgische Methoden der Gewebetransplantation behandelt.

Für weitere Informationen:

Professor Dr. med. Hansjürgen Bratzke
Institut für Forensische Medizin
Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/ Main
Fon (069) 6301-7553 / oder -7551
Fax (069) 6301-5882
E-Mail: bratzke@em.uni-frankfurt.de

Ricarda Wessinghage
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/ Main
Fon (0 69) 63 01 – 77 64
Fax (0 69) 63 01 – 8 32 22
E-Mail ricarda.wessinghage@kgu.de

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