Zweites Gen der Spinalen Muskelatrophie charakterisiert

Tödlich verlaufende Muskelerkrankung bei Säuglingen hat mehrere genetische Ursachen

Die Ursachen vieler, auch seltener Erbkrankheiten können heute dank gentechnischer Verfahren aufgeklärt werden. Dazu gehört die Spinale Muskel-Atrophie, SMA, eine erbliche Erkrankung des Kindes. Sie ist selten, steht aber nach der „Mukoviszidose“ zusammen mit der Stoffwechselkrankheit „Phenylketonurie“ an zweiter Stelle der sog. autosomal rezessiven Erbkrankheiten. Das heißt, sie tritt nur auf, wenn beide Elternteile das selbe Gen defekt an die Nachkommen weitergeben.
Von der Spinalen Muskelatrophie betroffene Kinder leiden an zunehmender Schwäche der Muskulatur des Rumpfes und der Gliedmaßen, bedingt durch den Untergang von Nervenzellen in einem Teil des Rückenmarks (den sogenannten Vorderhornzellen): Je mehr Nervenzellen versagen, desto weniger Nervenreize kommen in der Muskulatur an. Die Kinder sterben nach wenigen Wochen und ihr Tod wird mitunter als „plötzlicher Kindstod“ fehldiagnostiziert. Die Spinale Muskelatrophie tritt in mehreren Varianten auf. Als Ursache einer Variante wurden vor Jahren Mutationen im sogenannten SMN-1 (=survival Motor Neuron 1) Gen auf dem Chromosom 5 entdeckt.
Eine weitere Variante konnte 1999 von Dr. Katja Grohmann aus der Arbeitsgruppe um Professor Christoph Hübner von der „Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Neurologie“ der Charité entdeckt werden. Bei dieser Form, SMARD-1
[= spinale Muskelatrophie mit schwerer Atemnot (respiratory distress)], leiden die Patienten nicht nur am Versagen der Muskulatur der Gliedmaßen, sondern auch an einer lebensbedrohlichen Atemnot, bedingt durch zunehmende Lähmung des Zwerchfells (das ja ebenfalls ein Muskel ist). Auch diese Form der Erkrankung beruht auf genetischen Schäden. Die Forschergruppe der Charité konnte schon 1999 das verantwortliche Gen auf dem Chromosom 11, genauer in der Region 11 q13 – q21, orten und ihre Erkenntnis in der renommierten Fachzeitschrift „American Journal of Human Genetics“ publizieren (65 [1999] 1459 – 1462).
Jetzt ist es der Gruppe gelungen, am Genort auch das Gen zu charakterisieren. Dies wurde möglich, nachdem sechs Familien aus vier verschiedene Staaten in drei Kontinenten mit 20 Kindern untersucht werden konnten. Bei den 11 erkrankten Kindern fanden sich im entscheidenden Gen, dem sogenannten IGHMBP-2 Gen (=Immunoglobulin-mu- binding protein-2-gene), verschiedene Mutationen, die alle zum gleichen Krankheitsbild (und zum Tode) führten.
Die Forscher werden nun ihre Befunde im September im angesehenen Fachblatt „Nature Gentics“ (29 [2001]) veröffentlichen. Aber bereits am 13. August hat die Zeitschrift die Ergebnisse der Berliner Arbeitsgruppe im Internet (http://www.nature.com/ng/journal/vaop/ncurrent/) publiziert. Dies als Zeichen der Bedeutung, die dieser Arbeit zugemessen wird. Denn auffällig ist, dass beide bisher gefundenen, mutierten Gene (SMN-1 und IGHMBP-2), die zur Spinalen Muskelatrophie (SMA-1 bzw. SMARD-1) führen, im intakten Zustand in jeder Zelle des Körpers anzutreffen sind, und noch dazu an zahlreichen lebensnotwendigen Prozessen in der Zelle beteiligt sind, also unentbehrlich zu sein scheinen. Warum solche „Haushalts“-Gene, im Fall einer Mutation, ausgerechnet und ganz gezielt zu einer Schädigung der Vorderhornzellen des Rückenmarks führen, ist noch rätselhaft.

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Dr. med. Silvia Schattenfroh idw

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