Beziehungsmedizin im Akutkrankenhaus aus der Sicht des internistischen Onkologen


Orientiert sich die Beziehungsgestaltung in der Medizin an Bordellbetrieben?

Fällt das Wort „Beziehungsmedizin“, so bemerken nicht selten Ärzte, sie setzten sich auch gelegentlich auf das Bett ihrer Patienten und sprächen ihnen Mut zu. Die häufigere Reaktion ist jedoch ein süffisantes Lächeln, als bezeichne Beziehung im Medizinsystem etwas Anrüchiges. In der Tat haben sich die Beziehungsregeln im Gesundheitswesen neuerdings sehr verändert: Patienten werden als Kunden betrachtet. Ärzte haben sich zu Leistungserbringern gewandelt, die mit attraktiven, am „Markt“ orientierten Leistungsangeboten um lukrative Kunden werben sollen. Die Dokumentation der in Minutenkontingenten verrechneten ärztlichen und pflegerischen Einzelleistungen – „Nummern“ oder „Ziffern“ – wird mit Qualitätssicherung gleichgesetzt. Extras (z.B. IGEL-Liste) müssen extra bezahlt werden. Gefühle sind jenseits der kundengewinnenden Freundlichkeit nicht erlösrelevant und haben damit keine Bedeutung. Einem Großteil der direkten Leistungserbringer werden von Vorgesetzten oder den Institutionen, in die sie eingebunden sind, patientenmissachtende Vorgaben diktiert. Gerade junge Ärztinnen und Ärzte werden im großen Stil schlicht ausgebeutet [4,7], es würden im Konfliktfall ja genügend andere „auf der Straße auf die Stelle warten“. Eine derartige Beziehungsgestaltung und Beziehungskonzeption im Gesundheitswesen nähert sich tatsächlich erschreckend der eines Bordellbetriebes und erklärt süffisante Assoziationen mit der Bezeichnung „Beziehungsmedizin“. Im Wellness-Sektor des Gesundheitsmarktes mag eine derartige Beziehungsgestaltung vielleicht angehen. Für bedrohlich Kranke, beispielsweise Patienten mit Krebserkrankungen, die sich ihren „Kundenstatus“ nicht gewünscht haben, ist sie jedoch sehr problematisch und unterläuft ihren therapeutischen Anspruch – eben im Sinne einer therapeutischen Beziehung.

Die zentrale Angst Krebskranker ist eine Angst vor Desintegration

Meine Ausführungen beziehen sich auf mehr als 20 Jahre Arbeit an der Medizinischen Klinik 5, einer internistischen Abteilung mit onkologisch-hämatologischem Schwerpunkt (Vorstand: Prof. Dr. W. M. Gallmeier) am Klinikum Nürnberg. Sie umfasst 127 Betten, die sich auf drei Allgemeinstationen, und zwei hämatologisch-onkologische Intensivpflegestationen, einschließlich einer Knochenmarktransplantationseinheit, aufteilen. Angegliedert an die Klinik sind eine große onkologische Ambulanz und eine Ambulanz für die Nachsorge von knochenmarktransplantierten Patienten. Mein beruflicher Hintergrund als internistischer Onkologe und gleichzeitig Facharzt für Psychotherapeutische Medizin ist sowohl Ausdruck als auch Folge des Bemühens der Akutklinik um eine fundierte Beziehungsmedizin in mehr als 20 Jahren fruchtbarer Zusammenarbeit mit der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin (Vorstand: Prof. W. Pontzen) [16].

Nun besteht in der Medizin ein großes Missverständnis in der Beziehung zu Patienten oft darin, dass von einer Parallelität von somatischem Befund und psychischer Befindlichkeit ausgegangen wird. Wenn jedoch bei einem Patienten, z.B. durch eine Feinnadelpunktion Tumorzellen entdeckt werden und eine Krebsdiagnose gestellt wird, so ist diese Krankheit für viele dieser Menschen nicht körperlich sinnlich erfahrbar. Ihre Krankheitsauseinandersetzung spielt sich somit notwendigerweise in ihrer Vorstellungswelt ab. Sie erleben die Diagnose oft als Sturz in eine andere Wirklichkeit, fühlen sich plötzlich von der Welt der Gesunden getrennt. Erschüttert ist durch die Diagnose gleichzeitig ihr bisheriges Vertrauen in ihren Körper. Hat er doch zugelassen, dass in ihm etwas gewachsen ist , das das Weiterleben bedroht. Unabhängig von medizinischen Staging-Untersuchungen führen die Patienten ein „inneres Staging“ durch: Sie fragen sich, was an ihrem Körper noch verlässlich ist und was in und an ihm bösartig geworden ist. Ihre innere Aufspaltung eines bisher mehr oder weniger verlässlichen Selbstbildes projiziert sich auch nach außen. Wünsche nach einer wieder ersehnten verlässlichen Ganzheitlichkeit kontrastieren mit Misstrauen gegen eine kämpferische „Schulmedizin“ [12,13]. Diese versteht ja Krankheiten vorwiegend als in Organen oder Organsystemen lokalisierbare Störungen und organisiert sich somit in ihrer erfolgreichen Spezialisierung nach Körpersegmenten, und nach Methoden, um diese Körpersegmente zu behandeln, damit auch meist nach Zeitsegmenten der Behandlung: Gastroenterologie, Kardiologie, Pulmonologie, Hämatologie oder Chirurgie, Strahlentherapie, Anaesthesiologie, Palliativmedizin.

Die zentrale Angst Krebskranker ist jedoch eine Angst vor Desintegration. Eine Angst vor Beziehungsverlust, die bei der Krankenhausaufnahme mit der räumlichen Trennung vom sozialen Umfeld beginnt, sich auf stigmatisierende Körperveränderungen, z.B. Haarverlust bezieht und in Todesangst ihre stärkste Ausprägung findet: der Angst bald nicht mehr zu den (Über-)Lebenden zu gehören.

Diese zentrale Angst Krebskranker vor Desintegration wird durch die segmentierende Organisation der modernen Medizin verstärkt. Denn für einen Patienten bleibt in ihr weniger unklar, wer für sein jeweiliges Organsystem oder Zeitsegment zuständig ist, als wer sein Spezialist für ihn als kranken Menschen ist [15]. 


DRG´s und der vorauseilende Wettstreit um die meisten Diagnosen pro Patient

Derzeit weitet sich dieses Dilemma für Kranke aus. Richtet sich doch an deutschen Krankenhäusern im vorauseilenden Einüben der DRG-Ökonomie die medizinische Aufmerksamkeit bei der Betreuung von Patienten auf die höchst mögliche Anzahl ihrer vergütungsrelevanten Diagnosen und Normabweichungen. Gleichzeitig soll die therapeutische Begleitung dieser Patienten verkürzt werden, kosteneffizient für das eigene Zuständigkeitssegment. Wird in diesem System die psychische Befindlichkeit des Patienten überhaupt als medizinische Aufgabe gesehen, so oft allein darin, ob nicht noch eine psychische Störung die Schwere der Erkrankung „bereichere“.

In der Tat impliziert in einem segmentierten Medizinsystem die Vorstellung bei einem Spezialisten die Mutmaßung, dass in dem Organsystem, für das er besondere Kompetenz aufweist, eine Störung vorliegt. Wird Krebskranken ein Gespräch mit einem „Spezialisten für die Psyche“ vorgeschlagen, so befürchten viele, die Ärzte gingen neben der Krebserkrankung noch von einer Störung ihrer Psyche aus. Die wird dann von vielen Kranken als besonders bedrohlich erlebt. Denn von ihnen wird Psyche weitgehend mit Autonomie und Kontrolle gleichgesetzt und Krebs mit Kontrollverlust – über Zellvermehrung – assoziiert. Empirisch lehnt tatsächlich ein Großteil von Krebspatienten, bei denen eine behandlungsbedürftige psychische oder psychosoziale Belastung erkannt wird, eine entsprechende psychotherapeutische oder andere psychoonkologische Hilfe ab. Diese Reserviertheit gegenüber einer psychoonkologischen Hilfe schwindet jedoch beträchtlich., wenn sie in die somatische Behandlung integriert angeboten und erlebt wird [23]. 

Nun ist das Gefühl von Kontrolle – unabhängig von der Möglichkeit realer Einflussnahme – entscheidend für eine gute Krankheitsadaptation, also für die Fähigkeit Kranker, mit oder trotz der Krankheit ein positives Lebensgefühl zu erlangen. In der therapeutischen Beziehung nimmt deshalb die Achtung und Stärkung der Patientenautonomie eine wichtige Rolle ein. Soziale Unterstützung und Information stellen weitere Säulen dar, die eine Krankheitsbewältigung stützen [24]. Da es nicht möglich ist, nicht zu kommunizieren, fällt der kommunikativen Kompetenz der Ärzte eine große Bedeutung zu [2,5,17,18]. Ebensowenig gibt es eine Behandlung außerhalb einer Beziehung zwischen Patient und Behandlersystem. Deshalb muss Medizin als Beziehungsmedizin verstanden und konzipiert werden [28,29,33]. Das Verständnis der medizinischen Helfer von menschlicher Würde und Kommunikation prägen wiederum jede therapeutische Beziehung. Bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 8,6 Stunden – also bereits Überstunden – machte die ärztliche Kommunikation nach einer aktuellen Erhebung in fünf saarländischen allgemeininternistischen Abteilungen pro Patient etwa vier Minuten und mit deren Angehörigen etwa eine Minute aus [8]. Genügt diese Zeit für eine Beziehungsmedizin in der internistisch-onkologischen Akutklinik?


Beziehungsmedizin im Akutkrankenhaus erfordert ein gemeinsames Therapieziel

Fast paradoxerweise wirken sich gerade die Erfolge der modernen Onkologie auch problematisch auf die Arzt-Patient-Beziehung aus. Denn die medizinischen Fortschritte führen bei Patienten viel häufiger als früher zu einer Inkongruenz von Krankheit und Krankheitsgefühl. Komplexere, intensivere und langwierige Behandlungen erfordern zudem eine größere Adaptationsleistung der Patienten und ihrer Angehörigen. Diese größere psychosoziale Belastung der Kranken und ihres Umfeldes verlangt heute von Ärzten eine viel größere psychosoziale Kompetenz, als zu Zeiten der idealisierten „guten alten Hausärzte“.

Wenn beispielsweise bei einer Frau im Rahmen einer routinemäßigen Krebsvorsorgeuntersuchung ein mammografisch suspekter Brustknoten auffällt und in einer Feinnadelbiopsie Karzinom-Zellen festgestellt werden, so ist die hiermit diagnostizierte Krebserkrankung für diese Frau noch nicht sinnlich erfahrbar. Es besteht für sie eine Krankheit ohne Krankheitsgefühl mit der häufigen Verunsicherung: „Ich fühle mich doch gesund! Ist vielleicht die Probe verwechselt worden?“. Eine mögliche brusterhaltende Tumoroperation zieht bei dieser Frau eine Strahlentherapie der Restbrust nach sich und bei entsprechenden Risikokriterien auch eine adjuvante Chemotherapie, um erwiesenermaßen die Heilungschance zu verbessern. Die Aus- und Nebenwirkungen dieser Therapie gehen nun mit einem körperlichen Krankheitsgefühl einher, d.h. körperlich wird erst die Behandlung als Krankheit erlebt. Dementsprechend klagen viele Patienten: „Die Behandlung hat mich erst krank gemacht.“ Wenn die obige Patientin nach plangemäßem Abschluss der Behandlung erfährt, sie sei mit der derzeit bestmöglichen Sicherheit geheilt, jetzt seien lediglich noch Nachsorgeuntersuchungen notwendig, so erlebt sie nicht selten erneut eine Diskrepanz von Krankheit und Krankheitsgefühl: „Die Ärzte sagen, ich sei geheilt, aber ich fühle mich noch krank.“ 

Die Tatsache, dass die meisten Patienten trotz Inkongruenz von Krankheit und Krankheitsgefühl einer ärztlich empfohlenen Behandlung zustimmen, zeugt von einem sehr großen Vertrauen in die moderne Medizin. Andererseits wird verständlich, dass Menschen, die in ihrer Biografie und in bisherigen Beziehungen mit Vertrauen schlechte Erfahrungen gemacht haben, nur schwerlich ein Vertrauensvorschuss in einer therapeutischen Beziehung möglich ist. Diesen Patienten dann eine „schlechte Compliance“ zuzuschreiben, wird der vorliegenden Beziehungsdynamik kaum gerecht. 

Erkennbar wird eine gerade in der hämato-onkologischen Intensivtherapie immanente Ambivalenz im Patientenerleben: Eine Knochenmarktransplantation stellt einerseits für manche Leukämiekranke eine reale Heilungschance bei einer bisher unheilbaren Krankheit dar. Andererseits geht die mit Heilungserwartungen besetzte intensive Behandlungsprozedur mit einem substantiellen Morbiditäts- und auch Mortalitätsrisiko einher. Onkologen sind damit im Erleben der Patienten und ihres sozialen Umfeldes stets „Retter“ und „Täter“ – gleichzeitig oder abwechselnd. Dieses Faktum lässt sich an jedem Zeitschriftenkiosk nachprüfen: Nicht selten finden sich in der gleichen Zeitschrift Berichte über hoffnungsbesetzte „Durchbrüche“ in der Heilkunst und andererseits verallgemeinernde Darstellungen von Ärzten als fahrlässige Kunstfehlerproduzenten, Beutelschneider und Abrechnungsbetrüger, gegen die sich Kranke in „Patientenschutzbünden“ organisieren müssen. Weitgehend vom Bewusstsein abgespalten wird der verbreitete Missbrauch und die Selbstausbeutung von ärztlichem und pflegerischem Idealismus im Gesundheitswesen [3,33]. Was bedeutet diese Ambivalenz im Patientenerleben für die therapeutische Beziehung?

Im Akutkrankenhaus haben wir es nicht einfach mit der Balintschen Dreierbeziehung Arzt, Patient und seine Krankheit zu tun. Das jeweilige Krankheitsverständnis medizinischer Helfer unterschiedlicher Hierarchie und Berufsgruppen und die dementsprechende Beziehungsgestaltung zum Patienten decken sich selten. 

Ein Stationsarzt spricht beispielsweise von einer Patientin als „Mammakarzinom“, während der bisher betreuende Ambulanzarzt eine „verheiratete 50-jährige Frau mit Luftnot bei Verdacht auf Metastasierung sieht, bei der vor einem Jahr ein Mamma-Karzinom operiert und wegen hohen Disseminationsrisiko adjuvant chemotherapiert worden sei. Der Partner der Patientin interpretiert die jetzige Situation anders: „Sie denkt zuviel an die Krankheit, wo sie doch geheilt ist. Mich belastet das, ich bin selbst krank.“ Eine Krankenschwester beschreibt die Patientin als „anspruchsvoll, korrigierend‚ ‚typisch Lehrerin’“, während die Schwester einer anderen Schicht eine andere Beobachtung mitteilt: „Sie ist durch die Untersuchungen zu belastet. Bei der Körperpflege zeigt sie starke Scham. Sie mag Blumen“. Die Sozialarbeiterin der Station sieht einen „Erschöpfungszustand. Die Patientin möchte eine Reha-Maßnahme, um sich richtig zu erholen“. Die Diagnose eines Liaison-Psychotherapeuten ist „Depression, große Rezidivangst“ und ihr fällt auf der Ressourcen-Seite eine „große Kreativität“ auf. Der Seelsorger sieht eine „spirituelle Krise mit vorherrschenden Schuldgefühlen“. 

Wie kann in einem derartigen therapeutischen Team, in dem einzelne Mitglieder jeweils unterschiedliche Facetten der Patientenwirklichkeit wahrnehmen, ein gemeinsames Krankheitsverständnis und ein gemeinsames Therapieziel entwickelt werden?


Beziehungsmedizin zielt ab auf eine Kompetenz- und Strukturentwicklung

An der Medizinischen Klinik 5 besteht seit über 15 Jahren in enger Zusammenarbeit mit der Nürnberger Klinik für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin eine interprofessionelle Arbeitsgruppe Psychoonkologie (Abb. 1). Diese ist primär durch eine Vernetzung vorhandener und entwickelter Kompetenz (Liaison-Oberärztin der Klinik für Psychosomatik und psychotherapeutische Medizin, Internistischer Onkologe mit psychotherapeutischer Weiterbildung, Krankenschwester mit psychoonkologischer Weiterbildung (derzeit nicht vertreten, da diese Qualifikation zum Aufstieg in pflegerische Leitungspositionen disponiert), Sozialpädagogin des Kliniksozialdienstes, Krankenhausseelsorger) entstanden, und konnte später durch Drittmittel-geförderte Stellen (Psychologin, Musiktherapeutin) erweitert werden.

Diese psychoonkologische Arbeitsgruppe möchte die Struktur- und Kompetenzentwicklung einer Beziehungsmedizin und integrativen Medizin [1,32] an der internistisch-onkologischen Klinik katalysieren. Dies geschieht durch Liaison-Präsenz in den einzelnen Funktionseinheiten, durch Supervision von Visiten und Patienten- oder Familiengesprächen, Fortbildung in psychosomatischer Grundversorgung und besonders Gesprächsführung. Die ärztlichen und pflegerischen Mitarbeiter sollen Beziehung als valides diagnostisches und therapeutisches Instrument begreifen und dazu Emotionen auf beiden Seiten der therapeutischen Beziehung wahrnehmen und achten [16]. Übergeordnetes Ziel ist die gegenseitige Achtung von Kompetenz in der Kooperation, damit gemeinsame therapeutische Ziele möglich werden. Beziehungen zu Patienten werden kaum ihr therapeutisches Potential entwickeln können, wenn nicht auch zwischen den professionellen Helfern der verschiedenen Berufsgruppen und Hierarchiestufen achtsame und konstruktive Beziehungen gepflegt werden [20]. Die Arbeit der psychoonkologischen Arbeitsgruppe ist nur dann sinnvoll und auch akzeptiert, wenn sie nicht als imperativer Zeigefinger auf Defizite, sondern unter den gegebenen Bedingungen hoher Arbeitsanforderungen als Hilfe und Entlastung erlebt wird. 


Was macht eine Patient-Arzt-Beziehung therapeutisch?

In der Medizin wird der Begriff „therapeutische Beziehung“ fast inflationär gebraucht. Eher selten wird jedoch reflektiert, was einen Kontakt zwischen Patient und professionellem Helfer zu einer therapeutischen, also heilsamen, beschwerdemindernden Beziehung macht. Viele Patientenberichte über Untersuchungssituationen und Gespräche mit Ärzten und auch Pflegekräften im Akutkrankenhaus lassen an der therapeutischen Qualität der Begegnung zwischen Patient und medizinischen Helfern Zweifel und eher eine „toxische“ Beziehung postulieren, weil sich die Patienten durch die Beziehungsgestaltung mehr belastet fühlen. 

Häufig wird nicht erkannt: Eine Arzt-Patient oder Pflege-Patient-Beziehung ist weniger kognitiv sondern im wesentlichen emotional geleitet. Dabei ist die kommunikative Kompetenz auf der professionellen Helferseite entscheidend für die Qualität der therapeutischen Beziehung [6,21,27]. Es geht um ein emotionales Wohlbefinden des Patienten in der Begegnung, das sich in der Patientenäußerung zusammenfassen lässt: „Ich bin gehört und verstanden worden“. Ziel ist aber auch ein kognitives Wohlbefinden des Patienten im Sinne von: „Ich habe die Information erhalten, die ich brauche.“ Dieser letzte Nebensatz ist wichtig, denn sowohl mangelnde als auch ungewichtet überquellende Informationen sind kommunikations- und beziehungsstörend. 

Eine gute Patient-Arzt-Beziehung erleichtert empirisch gut belegt die Krankheitsadaptation der Patienten: Information wird besser perzipiert, das Gefühl von Kontrolle wird gestärkt, verbessert wird die Mitarbeit des Patienten bei der Behandlung, die sogenannte „Compliance“. Zudem verringert sich ihre emotionale Belastung, vor allem das Ausmaß an Angst und depressiver Krankheitsverarbeitung. Verbessert wird auch die somatische Symptomkontrolle [10,22,26,30]. 

So korrelierte in einer bereits 1983 publizierten Untersuchung von David Spiegel von der Stanford Universität/USA die Schmerzintensität bei Frauen mit metastasierendem Mammakarzinom nicht mit der Krankheitsdauer, Metastasenlokalisation und Todesnähe. Dagegen bestand eine sehr signifikante Korrelation mit ihrer Stimmungslage und der Überzeugung, dass der Schmerz auf ein Fortschreiten der Krankheit hinweise. 

Psychische Belastung, Bedeutungsgebung und Analgetikaeinnahme erklärten 50% der Schmerzvarianz. Wäre der Schmerz allein ein pharmakologisches Problem der Pharmakotherapie, so bestände eher eine inverse Beziehung zwischen Schmerzintensität und Analgetikaeinnahme [25]. 

„Personen und menschliche Beziehungen können nicht weiter reduziert werden“

Die Konzeption von Medizin als Beziehungsmedizin, in der die subjektive Wirklichkeit der Patienten Achtung und Beachtung erfährt, ist keine philantrope Schwärmerei, sondern wissenschaftliche Notwendigkeit, ohne die Würde im Akutkrankenhaus kein Wert wird. In tragfähiger Beziehung zu bleiben bis zum Tod ist ein Teil von Würde und würdevollen Sterben [9,11,14,19]. 

Beziehungsmedizin gründet sich eben auf zwei Axiome: Ludolf Krehl formulierte 1932 die Tatsache: „Krankheiten gibt es nicht, wir kennen nur kranke Menschen“. Und wenn bei vielen Ärzten ein Leuchten in die Augen kommt, wenn wieder die molekulargenetische Grundlage einer Krankheit entschlüsselt worden ist, sollte an den Ausspruch eines Pioniers psychosomatischer Forschung, des austo-amerikanischen Prof. Herbert Weiner, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an ihn durch die Universität München 1989 erinnert werden: „Personen und menschliche Beziehungen können nicht weiter reduziert werden“. 

Literatur

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