Wer darf wieder fahren – und wer nicht?

Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin erarbeitet neue Beurteilungskriterien für die Fahreignungsprüfung / Einzige akkreditierte Begutachtungsstelle an einem deutschen Universitätsklinikum


Jedes Jahr trifft es rund 120.000 Verkehrteilnehmer in Deutschland: Um ihren Führerschein zurück zu bekommen, müssen sie sich auf Anordnung der Führerscheinstelle einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) unterziehen. Alkohol oder Drogenkonsum am Steuer, häufige Verkehrsverstöße oder Erkrankungen, die das Fahrvermögen beeinträchtigen können, sind die häufigsten Gründe. Für eine MPU (im Volksmund fälschlich auch „Idiotentest“ genannt) wenden sie sich an eine der 17 akkreditierten Begutachtungsstellen im gesamten Bundesgebiet.

Das Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg ist die einzige Begutachtungsstelle an einem Universitätsklinikum in Deutschland – und in Heidelberg die einzige Stelle überhaupt. Vor wenigen Monaten wurde das Institut, das seit den siebziger Jahren bereits Begutachtungen durchführt, von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch-Gladbach, offiziell als Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF) akkreditiert. Ein Forschungsschwerpunkt des Instituts ist die Erarbeitung wissenschaftlich fundierter, neuer Kriterien für die Fahreignungsprüfung.

„Nur von der BASt akkreditierte Stellen dürfen Untersuchungen zur Fahreignung anbieten, unter denen Betroffene auswählen können“, erklärt Professor Dr. Rainer Mattern, Ärztlicher Direktor des Instituts für Rechts- und Verkehrsmedizin und Leiter der Heidelberg BfF. Die Akkreditierung war durch die Europäische Gesetzgebung, die höhere Anforderungen an die Qualität der Begutachtungsstellen stellt, erforderlich geworden. Deshalb dürfen inzwischen nur noch akkreditierte Stellen Untersuchungen zur Fahreignung anbieten, unter denen Betroffene auswählen können.

Wissenschaftlich fundierte Leitlinien für die Gutachter

Warum befasst sich ein Universitätsklinikum mit Untersuchungen, die sonst von TÜV, DEKRA und anderen privaten Anbietern vorgenommen werden? „Wir brauchen wissenschaftlich fundierte Leitlinien, an denen sich die Gutachter orientieren. Sonst kann es passieren, dass verschiedene Stellen bei der Begutachtung desselben Falles zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen“, erklärt Professor Dr. Rainer Mattern, derzeit auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin.

„Um wissenschaftliche Leitlinien entwickeln zu können, brauchen wir den Kontakt zur Praxis, d.h. wir müssen betroffene Personen untersuchen, unsere Gutachten erstellen und diese danach auch überprüfen.“ War die Prognose richtig? Ist ein positiv bewerteter Proband doch wieder rückfällig geworden? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen? „Nur durch diese Auswertungen über mehrere Jahre hinweg können wir an Kriterien und Leitlinien arbeiten und sie verbessern“, sagt Professor Mattern.

Alkohol, Rauschmittel, Erkrankungen und Medikamente beeinflussen die Fahreignung

Ins Visier genommen haben die Heidelberger Experten u. a. Beurteilungskriterien für Verkehrsteilnehmer, die wegen Rauschmittel- oder Alkoholkonsum aufgefallen sind oder bei Personen, die an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) leiden. Meistens handelt es sich um Verkehrsteilnehmer, die mit Drogen oder mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut bzw. wiederholt mit geringeren Promillewerten am Steuer erwischt wurden. Eine Überbrüfung der Fahreignung ist ebenfalls Pflicht, wenn die Einnahme von Rauschmitteln wie Heroin, Kokain, Ecstasy oder der regelmäßige Konsum von Cannabis nachgewiesen wurde.

Professor Mattern weist außerdem auf bestimmte Erkrankungen, z.B. Diabetes, Epilepsie oder Psychosen, und Medikamente z.B. Psychopharmaka oder Schmerzmittel hin, die die Fahreignung ungünstig beeinflussen können. „Hier ist es die Pflicht des betreuenden Arztes, die betroffenen Patienten darüber aufzuklären. Vor allem, wenn solche Medikamente zum ersten Mal eingenommen werden, kann in den ersten Tagen die Reaktionsfähigkeit des Patienten stark beeinträchtigt sein.“

Mediziner und Psychologen arbeiten zusammen

Die Untersuchungen und Begutachtungen am Universitätsklinikum erfolgen interdisziplinär: Mediziner untersuchen die Probanden auf Krankheiten, die ihre Fahreignung beeinträchtigen können. Die Ärzte beziehen klinisch-chemische und toxikologische Messwerte ein, z.B. bestimmte Leberenzyme für die Kontrolle von Alkoholkonsum oder Rauschmittel-Analysen in Serum, Urin und Haaren zur Überprüfung der Abstinenz. Psychologen führen zusätzlich Befragungen und psychophysische Leistungstests durch. Dazu gehören etwa die Überprüfung der Aufmerksamkeitsleistung und des Reaktionsvermögens.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Personen, die mit mehr als 1,6 Promille Auto gefahren sind, rückfällig werden, beträgt etwa 40 Prozent. „Das heißt aber auch, dass 60 Prozent nicht rückfällig werden und ihren Führerschein wieder bekommen sollten“, sagt Professor Mattern. „Die Kunst des Gutachters liegt darin, die Untersuchten der richtigen Gruppe zuzuordnen. Wenn es uns gelingt, dafür allgemein gültige Beurteilungskriterien einzuführen, wäre das ein großer Fortschritt.“ Diese könnte die Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit im Begutachtungsverfahren entscheidend verbessern.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rainer Mattern
Ärztlicher Direktor des Instituts für Rechtsmedizin und Verkehrssicherheit
Des Universitätsklinikums Heidelberg
Leiter der Begutachtungsstelle für Fahreignung
Tel.: 06221 / 56 89 10
E-Mail: rainer_mattern@med.uni-heidelberg.de

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