High-Tech Reparatur verletzungsbedingter oder Arthroditischer Knorpelschäden im Knie

Bei Gelenkverletzungen infolge eines Traumas oder einer schicksalhaften Auslösung von Knorpel-Knochen-Segmenten (Osteochondrosis dissecans) liegen in der Regel umschriebene Oberflächendefekte bei ansonsten intakter Knorpelumgebung vor. Ähnliches gilt für lokalisiert degenerative Knorpelschäden. Meist sind jüngere, sportlich aktive Menschen davon betroffen.

Sind die Knorpelschäden groß, steigt das Arthroserisiko unabhängig vom Patientenalter um ein Vielfaches an. Durch eine begleitende Meniskus- oder Bandverletzung wird die Entstehung einer Arthrose nochmals zusätzlich begünstigt. Klinische Studien und eine aktuelle experimentelle Untersuchung am Großtier konnten zeigen, dass die zeitnahe biologische Rekonstruktion vollschichtiger Knorpelschäden der konservativen Therapie oder auch der verzögert durchgeführten biologischen Rekonstruktion überlegen ist. In der einschlägigen Fachliteratur wird daher von den meisten Autoren mittlerweile die frühzeitige biologische Rekonstruktion klinisch symptomatischer Knorpeldefekte empfohlen.

Ergebnisse verschiedener Methoden zur biologischen Knorpelrekonstruktion
Die immer noch häufig durchgeführte Gelenkspülung oder die arthroskopische Knorpelglättung sind nicht in der Lage, zerstörten Gelenkknorpel wieder aufzubauen. Aus einer prospektiv randomisierten Studie wurden für beide Methoden ernüchternde Resultate berichtet. Die reine Transplantation von Periost oder Perichondrium kann nicht mehr empfohlen werden, da bereits die kurz- bis mittelfristigen Ergebnisse beim Menschen überwiegend schlecht sind. Die Anwendung von allogenen Knorpel-Knochen-Transplantaten (Fremdspender) sollte wegen des Risikos einer Infektion oder Abstoßung auf Fälle beschränkt bleiben, bei denen alternative Verfahren vor allem aufgrund der knöchernen Defekttiefe nicht mehr möglich sind.

Mit Hilfe knochenmarkstimulierender Techniken wird die unter dem Knorpel liegende Knochenplatte mit kleinen Meißeln oder Bohrern perforiert. Durch Einblutung entsteht ein fibröses Narbengewebe, das nicht die biomechanische Belastbarkeit des gesunden Gelenkknorpels erreicht und daher meist frühzeitig wieder degeneriert.

Bei der sogenannten Mosaikplastik werden aus einem wenig belasteten Areal des betroffenen Gelenks Knorpel-Knochen-Stanzzylinder entnommen und in den Defekt der lasttragenden Zone eingebolzt. Vor allem wegen der begrenzten Spenderfläche ist die Anwendung dieser Methode limitiert. Im Rahmen einer autologen Knorpelzelltransplantation (ACT) wird zuerst ein kleines Stückchen Knorpel arthroskopisch entnommen, um nach 2 bis 3 Wochen die daraus angezüchteten Knorpelzellen in einer diesmal offenen Gelenkoperation (Arthrotomie) unter einen zuvor über den Defekt aufgenähten Knochenhautlappen zu injizieren. Im weiteren Verlauf entsteht ein Knorpelgewebe, das dem gesunden Gelenkknorpel in seinen Eigenschaften sehr nahe kommt. Erste Langzeitresultate und die 2- bis 5-Jahresergebnisse prospektiv randomisierter Studien deuten darauf hin, dass die ACT spätestens bei Knorpelschäden über 4 cm2 Defektfläche den anderen Methoden signifikant überlegen ist.

Aber auch für lokalisiert arthrotische Knorpeldefekte im Kniegelenk wurden kürzlich aus einer klinischen Studie mit einem durchschnittlichen Patientenalter von 39.5 Jahren vielversprechende Ergebnisse nach ACT und längerem Follow-up berichtet. Alle 71 Patienten der Studie waren mehrfach voroperiert. In 60% der Fälle war zuvor erfolglos ein konventionelles biologisches Rekonstruktionsverfahren durchgeführt worden. Die Patienten standen aufgrund der nicht mehr tolerierbaren Beschwerdesymptomatik zwischen der Entscheidung eines letzten Versuchs zur biologischen Rekonstruktion oder eines künstlichen Gelenkersatzes.

Das therapeutische Hauptziel war das Erreichen von relativer Beschwerdefreiheit im normalen Alltags- und Berufsleben sowie aufgrund des Patientenalters die Vermeidung der Prothesenimplantation. Im Nachbeobachtungszeitraum von bis zu 7 Jahren lag die Patientenzufriedenheit nach ACT über 90%. Bis auf zwei Fälle konnte der künstliche Gelenkersatz im Beobachtungsintervall erfolgreich verhindert werden.

Navigationsgestützte Herstellung trägergekoppelter Knorpelzellimplantate

Trotz klinisch meist guter Resultate weist die herkömmliche ACT noch einige Schwächen auf. Die hierfür erforderliche oft langstreckige Arthrotomie ist mit entsprechenden postoperativen Beschwerden verbunden und es wird manchmal eine revisionsbedürftige Transplantathypertrophie beobachtet, die durch den aufgenähten Knochenhautlappen verursacht wird.

Zur Lösung dieser Probleme wurde von einem interdisziplinär besetzten Wissenschaftsteam in Tübingen unter Leitung von Professor Dr. Kuno Weise von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik ein neuartiges biphasisches Biomaterial für die trägergekoppelte ACT entwickelt (NOVOCARTÒ3D). Im Tierversuch konnte mit der neuen Methode die Regeneration eines qualitativ hochwertigen Knorpels nachgewiesen werden.

Bei der jetzt beginnenden klinischen Anwendung wird den Patienten zunächst im Rahmen einer Gelenkspiegelung etwas Knorpel aus einem wenig belasteten Bereich desselben Gelenks entnommen. Mit Hilfe eines Navigationssystems von B.Braun/Aesculap wird zuvor das Ausmaß des Schadens genau vermessen. Die neue Anwendung des in der Knie- und Hüftendoprothetik bewährten Navigationssystems wurde eigens für diesen Zweck entwickelt. Die so ermittelte Defektgröße und -tiefe hat entscheidenden Einfluss auf die Optimierung der Transplantatherstellung, da hierdurch zum einen die für die biologische Rekonstruktion benötigte Zellzahl genau berechnet werden kann und zum anderen die Herstellung exakt größenkonfektionierter Vitalimplantate möglich ist.

Nach kontrollierter Vermehrung der entnommenen Knorpelzellen in einem speziellen Biotechnologielabor erfolgt eine validierte zell- und molekularbiologische Qualitätsprüfung der angezüchteten Zellen. Anschließend werden die Zellen in das Trägermaterial eingesät, das in seiner zelltragenden Phase einem feinporigen Schwamm ähnelt. In dieser eigens für humane Knorpelzellen entwickelten Struktur wird eine homogen dreidimensionale Zellverteilung erreicht. Nach nur zwei Wochen erhält der Arzt das für seinen Patienten individuell angefertigte Transplantat.

Minimalinvasive Transplantation von NOVOCARTÒ3D

Im Rahmen einer zweiten Operation findet nun die eigentliche trägergekoppelte Zelltransplantation statt. Das Biomaterial mit den körpereigenen Knorpelzellen wird mit Hilfe spezieller Operationsinstrumente minimalinvasiv unter größtmöglicher Schonung der Weichteile und des Halteapparats passgenau in den Knorpelschaden transplantiert.

Im Vergleich zur herkömmlichen ACT ist die Operationszeit mit diesem Verfahren wesentlich verkürzt und es können jetzt problemlos auch großflächige Defekte ohne erhaltene Knorpelschulter versorgt werden, da zur Zellfixierung kein Knochenhautlappen mehr über den Defekt genäht werden muss.

Durch den wesentlich kleineren operativen Zugang und den kürzeren Ausheilungsprozess kann der Patient schnell in den aktiven Alltag zurückkehren, was sich in den ersten klinischen Anwendungen bereits deutlich gezeigt hat.

BGU Tübingen
Meike Ott
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