Genetische Schalter im Fokus der Alzheimer-Forschung

Neue Erkenntnisse von PD Dr. Barbara Kaltschmidt, Biowissenschaftlerin am Institut für Neurobiochemie der Universität Witten/Herdecke, führen zu einer differenzierten Betrachtung der Wirkungsweise des Genschalters NF-kB im Gehirn.

Schätzungen zufolge leiden allein in Deutschland 1,4 Millionen, meist ältere Menschen, an der tückischen Gehirnerkrankung Alzheimer, die mit dem schleichenden Verlust der Persönlichkeit einher geht. Durch Proteinablagerungen im Gehirn, sog. Plaques, können die Neuronen Informationen nicht mehr weitergeben. Die Folge: Ganze Regionen des menschlichen Denkorgans sterben ab. Bisher sind die Auslöser, die diese Prozesse in Gang bringen, noch wenig erforscht. Eine wirksame Alzheimer-Therapie würde dem Gesundheits- und Pflegewesen jährlich Milliardenausgaben ersparen, die Lebensqualität alter Menschen erhöhen und Menschenleben retten.

Nachdem es der Biochemikerin Barbara Kaltschmidt vor zwei Jahren erstmals gelungen war, isolierte Nervenzellen des Gehirns (Neuronen) wirksam vor jenen toxischen Reizen zu schützen, die Alzheimer auslösen, hat sie nun einen weiteren, für die Wirksamkeit zukünftiger Therapien möglicherweise entscheidenden Forschungsschritt, gemacht. Bei der Frage, ob die Alzheimersche Krankheit ausbricht oder nicht spielt ein so genannter „genetischer Schalter“ eine entscheidende Rolle, der bei gesunden Menschen den natürlichen Zellschutz aktivieren kann und der bei Alzheimererkrankten zunehmend versagt. Der „Schalter“ ist ein Protein Namens NF-kB, das bei rechtzeitiger Aktivierung den neuronalen Zelltod verhindern kann und somit Alzheimer entgegenwirkt.

Nach genauer Analyse von transgenen Mäusen hat Barbara Kaltschmidt nun herausgefunden, dass die Aktivierung von NF-kB nicht in jedem Fall positive Auswirkungen auf die Alzheimerschen Krankheit hat. Vielmehr hängt die Wirkung davon ab, in welcher Gehirnsubstanz NF-kB aktiviert wird. Je nach Zelltyp hat das Protein mal verhindernde, mal zerstörende Wirkung.

Dazu muss man wissen, dass das menschliche und auch das tierische Gehirn im Wesentlichen aus zwei verschiedenen Zelltypen besteht:

  • Neuronen, die für die Weiterleitung der Signale zuständig sind sowie
  • Gliazellen, die als Stützgewebe fungieren.

Letztere bilden den weitaus größten Teil der Hirnsubstanz. Versuche an Hirnschnitten von transgenen Mäusen brachten nun an den Tag, dass NF-kB-Aktivierung in den Gliazellen zu schwerwiegenden Entzündungen führen. Anders gesagt: Mögliche Therapien sind nur dann Erfolg versprechend, wenn es gelingt, die NF-kB-Aktivitäten so gezielt zu stimulieren, dass das Protein ausschließlich in den Neuronen wirksam wird. Durch undifferenzierte NF-kB-Aktivierung käme es zu einer globalen Entzündung im Gehirn, wodurch, so Kaltschmidt, ein verhängnisvoller „Teufelskreis“ einsetzen würde. Entzündungen könnten den Hypocampus und Cortex (Sitz der höheren geistigen Vermögen des Menschen) derartig in Mitleidenschaft ziehen, dass der therapeutische Vorteil einer verstärkten NF-kB-Aktivierung in den Neuronen dadurch wieder zunichte gemacht wird.

„Offenbar hat NF-kB je nach Zelltyp unterschiedliche Funktionen“, erklärt Kaltschmidt. Mit Blick auf mögliche Therapien ist diese Erkenntnis von großer Bedeutung. Der Biowissenschaftlerin der Universität Witten/Herdecke ist es nun erstmals gelungen, eine solch differenzierte Aktivierung nachzuweisen und auszulösen.

Hintergrund: Wie wirkt die Alzheimersche Krankheit?

Bei Alzheimererkrankten ist die Aktivierung des NF-kB-Proteins gestört. Den Neuronen gelingt es nicht mehr, ihren eigenen inneren Zellschutz über NF-kB zu aktivieren. Die Folge: Die Neuronen des menschlichen Gehirns werden zunehmend mit toxischen Substanzen, so genannten b-Amyloid-Peptiden überschwemmt und büßen ihre Funktionsfähigkeit ein. Der neuronale Zelltod beginnt, die Plaque-Bildung wird forciert und das neuronale Netzwerk zerfällt – das Gehirn wird immer mehr zur zellulären Mülldeponie. Mögliche Therapien müssten daher in einer frühen Phase der Krankheit die Fähigkeit der Neuronen stärken, weiterhin NF-kB zu aktivieren. Dies macht sie, so Erkenntnisse der Forschungsgruppe um PD Dr. Barbara Kaltschmidt, zu einem späteren Zeitpunkt resistent gegen hohe neurotoxische Aß-Konzentrationen, die aus den benachbarten Plaques heraus diffundieren, sowie Cytokinen der Gliazellen. Die Folge: Die Neuronen bleiben trotz Alzheimer-Disposition weiterhin funktionsfähig.

Weitere Infos: PD Dr. Barbara Kaltschmidt, Tel.: 02302/669-129

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Dr. Olaf Kaltenborn Universität Witten/Herdecke

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