Gegen Infektionen ist ein Kraut gewachsen

Auf Beutezug: Makrophagen (lila) greifen Tuberkelbakterien (grün) an. <br>Bild: MPI für Infektionsbiologie/Brinkmann

Investitionen in die Impfstoffentwicklung zahlen sich aus / Neue MaxPlanckForschung mit Fokus „Mikroben“ erschienen

Alle zwei Sekunden stirbt irgendwo auf der Erde ein Mensch an einer Infektionskrankheit. Und Seuchen wie Grippe oder jüngst SARS erinnern uns immer wieder daran, dass wir die Welt mit mikroskopisch kleinen Erregern teilen, die uns ständig belauern. Wie sehr sind wir von alten oder auch neuen Seuchen bedroht? Vor welchen Herausforderungen stehen Medizin, Grundlagenforschung und Politik? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Prof. Stefan H. E. Kaufmann, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, in einem Essay, erschienen in der neuesten Ausgabe der MaxPlanckForschung (3/2003).

SARS – dieses Kürzel schreckte um die Jahreswende die Weltöffentlichkeit auf: Das Schwere Akute Respiratorische Syndrom, eine infektiöse Erkrankung der Lunge, breitete sich weltweit aus. Ihren Ausgang hatte die Krankheit Ende 2002 von Guandong in Südchina genommen, wahrscheinlich von Fleischmärkten. Seitdem sind weltweit in rund 30 Ländern mehr als 8000 Menschen an SARS erkrankt und mehr als 800 gestorben, davon die meisten in China. So leidvoll diese Bilanz ist: Sie markiert nur die Spitze eines Eisbergs. Den 8000 an SARS Erkrankten in der ersten Hälfte des Jahres 2003 stehen mehr als 30.000 Menschen gegenüber, die täglich an TBC und AIDS erkranken. Allein in Deutschland gibt es mehr als 40 000 HIV-Infizierte, und 2002 waren mehr als 1800 Neuinfektionen mit HIV und 600 Todesfälle durch AIDS zu verzeichnen. Ganz ähnlich liegen die Dinge bei der TBC: An ihr waren im vergangenen Jahr in Deutschland nahezu 8000 Menschen erkrankt und etwa 500 gestorben – allerdings in der Mehrzahl so genannte sozial Schwache und Ausländer: Wohl deshalb dringt dieses Problem nicht ins allgemeine Bewusstsein …

Von 56 Millionen vorzeitigen Todesfällen, die jährlich auf der Welt zu beklagen sind, gehen rund 17 Millionen auf das Konto von Infektionskrankheiten – die damit alle zwei Sekunden ein Opfer fordern: Fast so viele, wie durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, und mehr als durch Krebs und alle anderen Krankheitsgruppen zu Tode kommen. Die Zahl der Todesfälle infolge AIDS oder TBC allein übersteigt die Summe aller durch Kriege (einschließlich des Irak-Kriegs) sowie an Diabetes, Alzheimer, Parkinson, Multipler Sklerose, Brustkrebs und rheumatischen Erkrankungen getöteten Menschen.

Ende des Jahres 2001 wurde die Welt mit einer neuen Dimension der Bedrohung durch Krankheitserreger konfrontiert: mit dem bewussten Missbrauch von Erregern für bioterroristische Zwecke. Doch das natürliche Arsenal an Krankheitserregern reicht voll aus, um die Welt in Angst und Schrecken zu versetzen. Das lehren uns die Seuchenausbrüche der jüngsten Zeit: Die Natur ist der schlimmste Bioterrorist. AIDS und SARS, aber auch BSE und die alle Jahre neu auftretenden Grippeviren zeigen, dass Erreger vom Tier auf den Menschen überspringen und neue Seuchenzüge auslösen können. Die meisten dieser Erreger sind in ihren Überlebensstrategien auf den tierischen Wirt ausgerichtet. Nur wenige sind dafür gerüstet, sich in einem neuen Wirt zurecht zu finden. Dass sie dann manchmal auch noch bedrohliche Krankheiten hervorrufen, ist eine mögliche, aber keine zwingende Konsequenz. Wir können also noch froh sein, dass die meisten Erreger beim Artensprung versagen und nur wenige Erfolg haben.

Im globalen Dorf ist niemand vor Seuchen gefeit. Krankheitserreger scheren sich nicht um politische Grenzen: Mehr als 1,5 Milliarden Flugpassagiere und mehr als 500 Millionen Grenzüberschreitungen jährlich machen jede Abschottung unmöglich. Daher müssen wir auf Abwehr setzen – und dabei in erster Linie auf Impfungen. Weltweit werden jährlich 8 Millionen Menschen durch Impfung gerettet, also alle 5 Sekunden ein Menschenleben. Und das zu einem äußerst günstigen Preis, denn Impfungen sind ohne Zweifel das kostengünstigste Instrument der Medizin. Leider wird ihr Nutzen noch nicht vollständig ausgeschöpft: Schon heute ließen sich in jedem Jahr weitere 2 bis 3 Millionen Menschen retten, in der Mehrzahl Kinder, wenn sie die Chance hätten, geimpft zu werden. Wo immer Vakzinierungsprogramme konsequent durchgezogen werden, zeitigen sie frappierende Erfolge – und senken etwa bei Masern, Kinderlähmung, Röteln, Mumps, Keuchhusten und Diphtherie die Erkrankungsziffern fast gegen Null. Die wenigen, noch auftretenden Fälle gehen gewöhnlich auf eine nicht völlig deckende Durchimpfung, nicht aber auf Impfversager zurück.

Bisher wurden Impfstoffe weitgehend empirisch entwickelt. Man nutzte dabei nur selten die rasanten Erkenntnisfortschritte der Grundlagenforschung. Diese Strategie ist inzwischen an ihren Grenzen angelangt. Denn die bislang verfügbaren Impfstoffe zielen im Prinzip auf solche Erreger, die auf direktem Weg Krankheiten verursachen Andererseits ist der Weg von der Grundlagenforschung bis zum Einsatz von Impfstoffen langwierig und geht weit über die Möglichkeiten von Forschungsinstituten hinaus. Grundlagenforschung liefert zwar die Basis für eine rationale Impfstoffentwicklung; doch schon die anschließenden vorklinischen Untersuchungen sprengen häufig den Rahmen der Grundlagenforscher.

Deshalb ist hier vor allem die Industrie gefragt – die jedoch zunächst die Amortisation der eingesetzten Investitionen im Auge hat. Die Ausrottung der Pocken- und nächstens wohl der Polioerreger zeigen das Dilemma der Impfstoff-Forschung auf: Ihr Ziel ist es, die Krankheit zu eliminieren. Doch je rascher und gründlicher dies gelingt, desto weniger lässt sich damit am Ende verdienen. Dazu kommt, dass man Impfstoffe gegen viele Seuchen am dringendsten in Ländern benötigt, die dafür das wenigste Geld zur Verfügung haben. Kein Wunder, dass die Industrie nicht sonderlich motiviert ist, die Möglichkeiten der modernen Immunologie und Molekularbiologie mit voller Kraft in die Entwicklung von Impfstoffen umzusetzen. Die Renditen sind für die Industrie zu gering. Deshalb müssten sich öffentliche und private Hand verbinden – und zwar nicht allein aus sachlichen Gründen, sondern deshalb, weil das besonders dem öffentlichen Gesundheitswesen zugute käme. Um das Interesse der Industrie zu wecken, müsste man entsprechende Anreize schaffen: Steuerermäßigungen für Impfstoffproduzenten gewähren, für sichere Absatzmärkte in Entwicklungsländern sorgen, geteilte Preise gestatten sowie zinsgünstige Darlehen – bis hin zu Schuldenerlassen – durch die Weltbank für breit angelegte Impfkampagnen bereitstellen.

Lässt sich so etwas überhaupt bezahlen? Rentiert es sich? Von den weltweiten Gesundheitsausgaben, die sich im Jahr 1996 auf knapp 6000 Milliarden US-Dollar beliefen, flossen weniger als 0,2 Prozent in Impfungen. Und von den Geldern, die im selben Jahr weltweit für Forschung und Entwicklung im Bereich Gesundheit aufgewendet wurden – knapp 60 Milliarden US-Dollar -, entfielen mit einer Milliarde US-Dollar weniger als 2 Prozent auf die Impfstoff-Forschung. Selbst wenn die Sätze heute etwas höher liegen dürften, hat sich an den Proportionen wenig geändert.

Investitionen in die Forschung bringen langfristig hohe Dividenden – was nur selten thematisiert wird. Dabei bietet gerade die Impfstoffentwicklung ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie gut sich Forschungsgelder auszahlen. Die Experten von Weltbank und Weltgesundheitsbehörde haben den Wert von Impfungen und anderen Maßnahmen ermittelt. Impfungen zählen demnach zu den preisgünstigsten Maßnahmen der Medizin: Jeder Euro, der für eine Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Keuchhusten oder Tetanus ausgegeben wird, spart 10 bis 20 Euro. Die Impfung gegen Kleinkind-Tuberkulose, Tetanus, Kinderlähmung, Masern oder Hepatitis B verlängert zum Preis von 10 bis 40 Euro pro Impfung ein Leben in Gesundheit um ein Jahr. Von der Impfung profitiert nicht nur jeder einzelne von uns – auch die Allgemeinheit spart enorme Kosten.

Die Investitionen in die Forschung für die heute verfügbaren Impfstoffe liegen allerdings Jahrzehnte zurück. Wir profitieren somit vom finanziellen Einsatz früherer Generationen. Vorausgesetzt, dass jetzt in die Entwicklung von Impfstoffen investiert wird, können wir in diesem Millennium Dividenden in ähnlicher Größenordnung erwarten – und das um so mehr, als inzwischen auch der Weg für die Entwicklung von Impfstoffen gegen Autoimmunerkrankungen, Allergien und Krebs bereitet ist.

Weitere Informationen erhalten Sie von:

Prof. Dr. Stefan H. E. Kaufmann
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
Tel.: 030 28460-500
Fax: 030 28460-501
E-Mail: kaufmann@mpiib-berlin.mpg.de

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