Gliazellen schützen vor ischämischem Zelltod

Wissenschaftler aus Paris, Haifa und Leipzig haben herausgefunden, dass Gliazellen die Netzhaut des Auges vor Folgen mangelnder Blutzufuhr schützen. Sie kamen dem Mechanismus auf die Spur, wie die dafür notwendigen Membran-Proteine an der richtigen Stelle platziert werden. Die Ergebnisse ihrer Arbeit wurden jetzt im „Human Molecular Genetics“ publiziert.

Einer der Forschungsschwerpunkte der Arbeitsgruppe um Prof. Andreas Reichenbach vom Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung sind die Müllerzellen, die Gliazellen des Auges. Mit Unterstützung des Interdisziplinären Zentrums für Klinische Forschung der Universität Leipzig (IZKF) beschäftigte er sich gemeinsam mit Wissenschaftlern des Institut national de la santé et de la recherche medicale in Paris und mit dem Weizmann-Insitut in Haifa/Israel mit der Rolle dieser Zellen bei Sauerstoffmangel der Netzhaut.

Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen war der hohe Sauerstoffverbrauch der Netzhaut, der gemessen am Gewicht der größte aller Organe im Körper ist. „Selbst unter normalen Bedingungen befindet sich die Netzhaut immer am Rande des Überlebens, da die Anzahl der Blutgefäße in der Netzhaut begrenzt ist.“, erläutert Prof. Reichenbach. „Aber schon wenn ich mir z.B. die Augen reibe, wird die Blutzufuhr vorübergehend unterbrochen und die Netzhaut nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt.“ Warum es trotzdem normalerweise nicht zum neuronalen Zelltod kommt, beschäftigte die Wissenschaftler seit langem. Mit ihren neuesten Arbeiten sind sie der Lösung des Rätsels einen Schritt näher gekommen.

Die Gliazellen vermitteln Stoffwechsel-Interaktionen mit Synapsen und Blutgefäßen; Voraussetzung dafür ist, dass bestimmte Membran-Proteine wie Ionen- und Wasserkanäle in genau definierte Orte der Gliazellmembran eingebettet sind. In diesem Zusammenhang waren die Pariser Wissenschaftler schon des längeren einer Protein-Familie der Muskelfasermembran namens Dystrophin auf der Spur. Ein Defekt des Dystrophin-Gens führt zur Duchenne-Krankheit, auch bekannt unter Muskelschwund. Eine Splice-Variante eines Dystrophin-Genproduktes, Dp71’, kommt nur in den Endfüßen der Müller-Zellen vor, wo wichtige Wasser- und Kalium-Ionenkanäle angebunden sind. Das veranlasste die israelischen Wissenschaftler, Knockout-Mäuse zu generieren, denen genau das Dp71’ fehlt. Zusammen wollten die drei Arbeitsgruppen prüfen, ob dieses Protein für die Lokalisierung bestimmter Membran-Proteine verantwortlich ist.

Der Nachweis dafür konnte schließlich in Leipzig mit Hilfe eines confokalen Laser-Scanning-Mikroskopes erbracht werden. Mit diesem Gerät ließen sich die Wasser- und Ionenkanäle immunzytochemisch lokalisieren. Bei den Knockout-Mäusen hatten diese Kanäle ihre charakteristische Lokalisation in der glaskörperwärtigen Endfußmembran der Müllerzellen verloren. Das führte dazu, dass in der Netzhaut dieser Tiere bedeutend mehr Nervenzellen abstarben, wenn sie einer Unterversorgung mit Sauerstoff (Ischämie) ausgesetzt wurde. Die Müller-Zellen (mit ihren Dp71’-gebundenen Wasser- und Ionenkanälen) haben also eine protektive Funktion gegen ischämischen neuronalen Zelltod.

Die Leipziger Wissenschaftler wollen nun gemeinsam mit ihren Kollegen der Universitätsaugenklinik klären, welche Bedeutung diese Erkenntnis für Diagnose und Behandlung bestimmter Augenerkrankungen hat.

Weitere Informationen: Prof. Dr. Andreas Reichenbach, Tel: 0341 – 9725-730

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Dr. Bärbel Adams idw

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