Der elektronische Berater AID kennt mehr als 57.000 Medikamente

Auch wer "Acetylsalicylsäure" falsch schreibt, kann die wichtigsten Informationen zu der Substanz aufrufen

Neuer Arzneimittel-Informationsdienst des Universitätsklinikums hilft den Ärzten bei der Verordnung / Infos zu Dosisanpassung und Nebenwirkungen

Wer heute aus einer Medizinischen Klinik entlassen wird, nimmt im Durchschnitt mindestens fünf Arzneimittel am Tag ein. Die Kombi-Therapie verbessert zwar die Behandlung, doch können unerwünschte Ereignisse und Wechselwirkungen zwischen den Arzneimitteln gleichzeitig zunehmen. Einen elektronischen Berater, der den Arzt sicher durch den unübersichtlichen deutschen Arzneimittelmarkt leitet, hat jetzt das Universitätsklinikum Heidelberg eingeführt. Der Arzneimittel-Informations-Dienst AID berücksichtigt sämtliche neue sowie wieder zurückgezogene Medikamente und unterstützt den Arzt zuverlässig bei der diffizilen Arzneimittel-Verordnung.

Als elektronisches Hilfsmittel im Intranet „zaubert“ der AID in wenigen Sekunden Informationen zu jedem Präparat auf einen der über 5.000 vernetzten Terminals des Klinikums. Der Dienst enthält Informationen zu über 57.000 Arzneimitteln, die in Deutschland auf dem Markt sind. Und wer sich bei der Eingabe von so komplizierten Namen wie „Acetylsalicylsäure“ verschreibt, bekommt, dank eingebauter phonetischer Erkennung, dennoch die gewünschten Informationen: Welche Präparate mit diesem Wirkstoff gibt es? Welche Nebenwirkungen sind zu erwarten? Was ist bei der Dosierung zu beachten? Und nicht zuletzt: Welches sind die kostengünstigsten Präparate?

AID wird ständig aktualisiert und ist an Wissensdatenbanken angekoppelt

„Gegenüber dem Standard-Arzneimittelbuch, der „Roten Liste“, das jeder Arzt im Regal hat, bietet der elektronische Arzneimittelinformationsdienst AID viele wichtige Vorteile,“ erklärt Prof. Dr. Walter Haefeli, dessen Abteilung Innere Medizin VI, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie an der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg gemeinsam mit der Apotheke des Klinikums das System entwickelt hat. Die wichtigsten Informationen zu Arzneimitteln können umgehend abgefragt werden. Neben der Zusammensetzung eines Präparates und einem Auszug aus der Fachinformation werden z.B. Angaben über den Hersteller, die verfügbaren Packungsgrößen oder den öffentlichen Apothekenpreis angezeigt. Im Gegensatz zu Nachschlagewerken in Buchform reagiert der AID auf Fluktuationen im Markt zeitnah.

Als Datengrundlage dient die „Gelben Liste“, die vom Medizinverlag MediMedia herausgegeben und 14-tägig aktualisiert wird. Im Gegensatz zu anderen elektronischen Systemen erlaubt AID die direkte Kopplung an Wissensdatenbanken und damit die Anbindung hauseigener Informationen. So werden bei Anfragen zunächst die Präparate der Hausliste aufgeführt, die von der Arzneimittelkommission des Klinikums – nach Qualität und Preis – zusammengestellt worden sind und bevorzugt verwendet werden sollen. Darüber hinaus können spezifische Wissensmodule in AID integriert werden, die dem Arzt konkrete Hilfestellungen beim Verordnen geben.

Bereits in Aktion ist das „Niereninsuffizienz-Modul“: Wird ein Wirkstoff hauptsächlich über die Niere ausgeschieden und hängt damit seine Dosierung direkt von der Ausscheidungsfunktion der Nieren ab, so ist das entsprechende Präparat mit „Dosing“ gekennzeichnet. „Etwa 14 Prozent aller Patienten in der Medizinischen Klinik haben eine Niereninsuffizienz“, sagt Prof. Haefeli. Sie benötigen also eine niedrigere Dosis, da solche Arzneistoffe bei diesen Patienten nur noch langsam ausgeschieden werden.

Wie kann nun die optimale Dosis gefunden werden? Die Klinischen Pharmakologen haben eine Datenbank mit Informationen zu den wichtigsten 600 Wirkstoffen aufgebaut, die in mehreren Tausend Präparaten auf dem Markt sind. Diese Datenbank steht nicht nur den Ärzten des Heidelberger Klinikums, sondern allen Interessenten im Internet unter www.dosing.de zur Verfügung. Benötigt werden der „Kreatinin-Wert“, ein routinemäßig bestimmter Laborwert, der die Ausscheidungsfunktion der Niere kennzeichnet, sowie Angaben zu Alter, Geschlecht und Gewicht des Patienten. Gibt man diese Werte ein, errechnet das Niereninsuffizienz-Modul für das ausgewählte Präparat in Sekundenschnelle die individuell erforderliche Dosisreduktion, wodurch Überdosierungen vermieden werden können.

Informationen zu Wechselwirkungen / Eindrückliches Beispiel war Lipobay

Ein weiteres Risiko der Arzneimitteltherapie sind die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Substanzen. „Der durchschnittliche Patient verlässt heute mit fünf Medikamenten unsere Klinik. Daraus ergeben sich bereits 26 verschiedene Kombinationen, die sich gegenseitig beeinflussen können“, sagt Prof. Haefeli. Welche Arzneimittel dies tun, ist aufgrund der Fülle von Möglichkeiten für den Arzt schwer überblickbar. Bis Ende des Jahres 2003 ist deshalb die Ankopplung des zweiten Moduls, das eine Datenbank mit umfangreicher Information über Wechselwirkungen von Arzneimitteln enthält, geplant. Der AID kann mit seiner Hilfe vor gefährlichen Wirkstoffkombinationen warnen. Denn zu selten wird derzeit berücksichtigt, dass sich Medikamente in ihrer Wirkung entscheidend beeinflussen können und es zu schlimmen Nebenwirkungen kommen kann.

Prominentes Beispiel ist der Cholesterinsenker Lipobay, der 2001 wegen gefährlicher Nebenwirkungen vom Markt genommen werden musste. Vor allem die gleichzeitige Einnahme eines weiteren Wirkstoffs (Gemfibrozil), der ebenfalls die Blutfette verringern sollte, hatte zu einem gefährlichen Zerfall der Muskulatur, Muskelschwäche und in einigen Fälle zu tödlichem Nierenversagen geführt. Ein eindrückliches Beispiel für die wachsende Bedeutung aktueller und umfassender Informationssysteme im Bereich der Arzneimitteltherapie.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Walter E. Haefeli
Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik
Abteilung Innere Medizin VI
Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie
Bergheimer Straße 58, 69115 Heidelberg
Tel.: 06221/56-8722
E-Mail: walter_emil_haefeli@med.uni-heidelberg.de

Media Contact

Dr. Annette Tuffs idw

Weitere Informationen:

http://www.dosing.de

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