Strategien gegen den Knochenmangel

Künstliche Zahnwurzeln (Implantate) lassen sich nur dann stabil verankern, wenn im Kiefer genug Knochensubstanz zur Verfügung steht. Da Knochen in zahnlosen Kiefern schrumpfen oder Krankheiten Knochenmaterial zerstören, müssen Zahnmediziner häufig eine zu geringe Knochenmasse zunächst vermehren. Bei dieser Augmentation genannten Maßnahme können Experten unter einer wachsenden Zahl verschiedenartiger Techniken wählen.

Pro Jahr setzten Zahnärzte allein in Deutschland mehr als 200.000 künstliche Zahnwurzeln ein. An diesen stabilen Pfeilern verankern sie Zahnersatz, der auch kräftiges Zubeißen wieder erlaubt. Allerdings lässt sich diese etablierte Methode ausgerechnet bei jenen Betroffenen oft nicht direkt anwenden, die von einer wieder vollständig hergestellten Kaufunktion besonders profitieren würden – Menschen, denen schon seit vielen Jahren Zähne fehlen. Denn „in zahnlosen Kieferabschnitten beginnt der Knochen im Laufe der Zeit zu schrumpfen, weil er nicht mehr ausreichend belastet wird“, erklärt Professor Friedrich W. Neukam, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie.

Wenn Ober- oder Unterkieferknochen nicht mehr genügend Masse für das sichere Verankern künstlicher Zahnwurzeln besitzen, bietet die Augmentation – das Vermehren oder der Neuaufbau des Knochens – einen Ausweg. Dabei greifen Ärzte und Zahnärzte heute auf eine Reihe von Methoden zurück, die auf höchst unterschiedlichen, mehr oder minder erprobten Techniken basieren. Sie können unter anderem

  • die Regeneration geschrumpfter Knochen mit Hilfe so genannter Barrieremembranen steuern. Diese schotten den Knochen gegenüber dem raschen Einwachsen von nicht knöchernem Gewebe ab, so dass sich das langsam vermehrende Knochengewebe regenerieren kann;
  • fehlende Masse durch Knochenstücke aus anderen Körperteilen des Patienten – etwa aus dem Beckenkamm – ersetzen („autologe Transplantation“);
  • Schwachstellen mit Ersatzmaterialien auffüllen, zum Beispiel mit Mineralsubstanz aus Rinderknochen, sowie mit künstlichem Knochenersatzmaterial aus Algenbestandteilen oder unterschiedlich zusammengesetzten Keramik-Werkstoffen, die dann allmählich abgebaut und von natürlichem Knochengewebe ersetzt werden;
  • den zu schmächtigen Kieferknochen-Abschnitt künstlich vertikal oder horizontal auftrennen und dann mit Hilfe technischer Apparaturen langsam auseinanderziehen, so dass Knochengewebe ähnlich wie bei einem Bruch natürlich nachwächst – eine von Fachleuten Kallus-Distraktion genannte Technik.

Wachstumsfaktoren im Test

Darüber hinaus versuchen Zahnmediziner, das erwünschte Wachstum des Kieferknochengewebes mit so genannten Wachstumsfaktoren zu beschleunigen. Solche hormonähnlich wirkende Botenstoffe, welche die Gewebereparatur ankurbeln, kommen natürlicherweise im Blut vor. Deshalb setzen viele Implantologen bei einer Augmentation heute schon zusätzlich „plättchenreiches Plasma“ (PRP) ein, in dem solche Wachstumsfaktoren in bis zu 7,6-fach höherer Konzentration als im Blut enthalten sind. Allerdings konnten wissenschaftliche Untersuchungen bisher keinen eindeutig positiven Effekt des PRP auf die Knochenregeneration belegen. Einzig bei der autologen Transplantation könnte sich die zusätzliche Plasma-Gabe günstig auswirken; die vorliegenden Daten sind jedoch statistisch nicht signifikant.

Größere Hoffnung setzen Forscher in die zukünftige Gabe eines gentechnisch gewonnenen Knochenwachstumsfaktors mit dem Kürzel rhOP-1: In Versuchen mit Ratten und Schweinen beschleunigte und verbesserte rhOP-1 das Einwachsen körpereigener (autologer) Knochentransplantate deutlich; bei Knochenersatzmaterial zeigte der Wirkstoff allerdings ebensowenig einen Effekt wie das parallel getestete PRP.

Auch wenn die autologe Transplantation im Vergleich zu anderen Methoden der Augmentation gute Ergebnisse erzielt: Sie belastet die Patienten mit einer zusätzlichen Operation zur Entnahme des Knochenmaterials aus Becken, Kinn oder anderen Bereichen des Kiefers.

Täglich ein Millimeter Zuwachs.

Hier könnte die Kallus-Distraktion eine ernsthafte Alternative bieten, wie erste klinische Erfahrungen nahelegen. Ist zum Beispiel der Kieferknochen zu kurz für das Einsetzen eines Implantats, spalten die Zahnmediziner den Kieferkamm des Patienten – den obersten Teil des Knochens – horizontal ab. Dann bewegt eine kleine Apparatur, die am Knochen angebracht wird, den oberen Teil langsam vom unteren Teil des Kiefers weg. So entsteht ein künstlicher Spalt, in dem sich wie beim Heilen eines Knochenbruchs neues Gewebe bildet. Das Dehnen („Distraktion“) dieses neu gebildeten, noch weichen Knochens („Kallus“) regt weiteres Wachstum an. Klinische Erfahrungen zeigen, dass täglich ein Millimeter Zuwachs möglich ist. Zudem wächst parallel dazu auch Weichteilgewebe.

Implantologen versprechen sich von dieser Methode eine präzise Kontrolle des Knochenaufbaus, so dass sich die künstlichen Zahnwurzeln optimal einsetzen lassen. Und Menschen, die sich bisher mit unzureichend sitzenden künstlichen Gebissen mehr schlecht als recht durchs Leben mümmeln mussten, können wieder auf einen kräftigen Biss hoffen.

Rückfragen an:

Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake
Klinik für Mund-, Kiefer- u. Gesichtschirurgie
Georg-August-Universität Göttingen
Robert-Koch-Straße 40
37075 Göttingen
Tel. 0551/398343
Fax: 0551/3912653
schliephake.henning@med.uni-goettingen.de

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