Neue Therapie stoppt lebensbedrohliche Rheumaform

Prof. Dr. med. Wolfgang Ludwig Gross, Direktor der Poliklinik für Rheumatologie der Universität zu Lübeck und Ärztlicher Direktor der Rheumaklinik Bad Bramstedt

Erste Patienten im Rheumazentrum Lübeck/Bad Bramstedt erfolgreich behandelt

Eine neue Möglichkeit zur Behandlung einer seltenen rheumatischen Erkrankung, der Wegenerschen Granulomatose, wird derzeit am Rheumazentrum Lübeck/Bad Bramstedt erprobt. Sechs Patienten, die auf keine der herkömmlichen Therapien mehr ansprachen und sich in einem lebensbedrohlichen Zustand befanden, erhielten in einer Pilotstudie einen so genannten TNF-alpha-Blocker. Bei allen schlug die neuartige Behandlung an; schwer wiegende Folgen wie der Verlust der Nierenfunktion oder des Augenlichts konnten verhindert werden.
Inzwischen wurden weitere Patienten erfolgreich behandelt. Für Prof. Dr. med. Wolfgang Ludwig Gross, Direktor der Poliklinik für Rheumatologie der Universität zu Lübeck und Ärztlicher Direktor der Rheumaklinik Bad Bramstedt, ist die neue Therapieoption ein „Meilenstein“. Erste Ergebnisse stellt Prof. Gross jetzt beim 31. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie in Berlin (18.-21. September) vor. Die Lübecker Universitätspoliklinik für Rheumatologie und die Bramstedter Rheumaklinik sind durch Kooperationsvertrag verbunden und arbeiten in der Rheumaforschung eng zusammen.
Rheumatische Erkrankungen beschränken sich oft nicht auf die Gelenke, wie das Beispiel Vaskulitis zeigt. Als Vaskulitiden werden entzündliche Veränderungen an den Gefäßen bezeichnet, die zwar auch Gelenkbeschwerden verursachen, vor allem aber innere Organe wie Herz, Lunge oder Niere sowie das zentrale Nervensystem befallen. Häufig betroffen ist auch die Haut: Wunden verheilen schlecht, Ausschlag tritt auf, es bilden sich Geschwüre, und Finger oder Zehen können schwarz verfärben. Verantwortlich für diese Symptomkaskade ist das Immunsystem. Doch warum die Körperabwehr entgleist, ist unbekannt. Untersucht wird derzeit, ob Bakterien (Staphylokokken) oder verschiedene Viren als Erreger in Frage kommen. Betroffen von der Erkrankung sind Erwachsene aller Jahrgänge, einzelne Sonderformen treten gehäuft in fortgeschrittenem Alter auf.
„Die Diagnose einer Vaskulitis ist nicht einfach“, erläutert Prof. Dr. med. Angela Gause, Oberärztin in Lübeck und Bad Bramstedt, „denn die Krankheit lässt sich nicht an einem einzigen Symptom festmachen.“ Vielmehr müssen Zeichen wie Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust oder Nachtschweiß sowie die Ergebnisse von Gewebeproben (Biopsien) und Laborbestimmungen eines Bluteiweißes (ANCA = Anti-Neutrophile-Cytoplasma-Autoantikörper) gemeinsam betrachtet werden. An der Entwicklung der ANCA-Diagnostik war Prof. Gross maßgeblich beteiligt. Sie ermöglicht oft bereits in frühen Phasen der Erkrankung eine schnelle Diagnose. Prof. Gause: „Weil die Erkrankung jedoch relativ selten ist – von den verschiedenen Formen der Vaskulitis sind jährlich etwa 4 000 Menschen in Deutschland (Neuerkrankungen) betroffen – fehlt es Ärzten oft an der notwendigen Erfahrung mit der Erkrankung. Deshalb kann es in Einzelfällen Jahre bis zur richtigen Diagnose und Therapie dauern.“ So werden z.B. Patienten mit Lungenproblemen oft über längere Zeit mit Antibiotika behandelt, weil fälschlicherweise eine Lungenentzündung vermutet, eine Vaskulitis aber nicht in Betracht gezogen wurde.
In Lübeck und Bad Bramstedt hat sich in den vergangenen zehn Jahren ein europaweit einmaliges interdisziplinäres Vaskulitiszentrum entwickelt. Inzwischen werden hier etwa 1200 Patienten regelmäßig mit den seltenen Gefäßentzündungen behandelt und geschult. Außerdem werden in einem speziellen Register alle neu Erkrankten aus Schleswig-Holstein erfasst, um genauere Aussagen über Vaskulitis-Häufigkeit und Verteilung machen zu können.
Hinzu kommt eine enge Verzahnung zu weiteren wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen des Landes: Im Forschungszentrum Borstel und in den Lübecker Uni-Instituten für Physiologie und Mikrobiologie wird anwendungsorientierte Grundlagenforschung betrieben, die Haut-, Augen und HNO-Kliniken der Universitäten Kiel und Lübeck, Radiologen in Kiel sowie Pathologen, Neurologen, Lungen- und Nierenspezialisten in Lübeck sind in Diagnostik und Therapie eingebunden. Spezielle Fragestellungen, die sich mit dem Entzündungsgeschehen befassen, werden im Sonderforschungsbereich der Uni Lübeck, dem SFB 367, behandelt.
Eine spezielle, besonders bedrohliche Form der Vaskulitis ist die Wegenersche Granulomatose, die 1935 erstmals von dem Lübecker Pathologen Friedrich Wegener beschrieben wurde. Im Frühstadium machen sich entzündliche Veränderungen der Nasenschleimhaut in Form von blutigem Schnupfen, verstopfter Nase und entzündeten Nebenhöhlen bemerkbar. Oft kommt es zu einer dramatischen Verschlechterung mit Lungenbluten und Nierenversagen. „Noch in den 70er Jahren führte diese Erkrankung rasch zum Tod des Patienten; etwa 80 Prozent der Betroffenen verstarben. Die Erkrankung ist auch heute noch lebensbedrohlich, doch können inzwischen über 90 Prozent der Betroffenen gerettet werden, wenn die Behandlung frühzeitig einsetzt“, erklärt Prof. Gause.
Notwendig für eine Erfolg versprechende Therapie sind aggressive Medikamente aus der Krebsmedizin sowie Cortisonpräparate. Weil diese schwer wiegende Nebenwirkungen wie Blasenkrebs oder Osteoporose verursachen und zu einer deutlich verminderten Infektabwehr führen können, werden die Präparate heute deutlich kürzer als noch vor fünf bis zehn Jahren genommen. Standardmäßig wird in der Akutphase der Erkrankung etwa drei bis sechs Monate das Zellgift Cyclophosphamid in Kombination mit einem Cortisonpräparat gegeben. Ist diese so genannte Induktionstherapie erfolgreich und bei dem Patienten sind keine Krankheitszeichen mehr nachweisbar („Vollremission“), kann auf eine remissionserhaltende Behandlung mit klassischen Rheumamitteln wie Methotrexat umgestiegen werden. Diese ist deutlich milder und mit weniger Nebenwirkungen behaftet.
In den meisten Fällen kann den Betroffenen mit diesem Therapieschema geholfen werden. Bei etwa jedem zehnten Patienten kommt es trotz intensiver Behandlung jedoch nicht zu einer Besserung des lebensbedrohlichen Gesundheitszustands oder sogar zum Fortschreiten der Erkrankung. Bei diesen Patienten haben die Lübecker Spezialisten erstmals einen TNF-alpha-Blocker (siehe Infokasten) eingesetzt, der sich bei schweren Krankheitsverläufen der rheumatoiden Arthritis bereits bewährt hat. Bei dem Präparat handelt es sich um ein gentechnisch hergestelltes (rekombinantes) Medikament, das in den Entzündungsprozess eingreift.
Die neue Therapie erzielte bei den Patienten der Pilotstudie einen durchschlagenden Erfolg. Dauerte es bei der herkömmlichen Behandlung oft lange Zeit, bis sich der Zustand besserte, linderten sich die Beschwerden unter der Antikörper-Therapie bereits nach drei bis sechs Infusionen. Drei Patienten waren zuvor akut von einer Erblindung bedroht, zwei hatten bereits fortgeschrittene Nierenfunktionsausfälle und bei einem drohte ein Lungenversagen. In allen Fällen wurde ein Organverlust vermieden. Prof. Gause: „Ein Patient konnte bereits nach drei Infusionen auf eine mildere Therapie umgestellt werden und befindet sich seit zwei Jahren in anhaltender Remission. Er hat keinerlei Beschwerden mehr und kann ein normales Leben führen.“
In einer zweiten Studie haben die Lübecker Rheumatologen zehn Patienten den TNF-alpha-Blocker als Primärtherapie zusätzlich zu den Krebs- und Kortisonpräparaten verabreicht. Auch hier ist es bei sechs Patienten sehr schnell zu einer geradezu dramatischen Verbesserung gekommen. Da jedoch zwei Patienten während der Behandlung eine schwere Infektion erlitten, wurde die Studie vorzeitig abgebrochen. Jetzt wäre ein naheliegender Ansatz, in einer weiteren Studie auf die aggressiven Krebsmedikamente zu verzichten und nur den TNF-alpha-Blocker in Verbindung mit Cortison einzusetzen.
Grund zum Jubeln gibt es für Prof. Gause jedoch noch nicht: „Wir wissen, dass die Therapie der Wegenerschen Granulomatose sehr riskant und mit Nebenwirkungen behaftet ist. Die TNF-alpha-Blocker ermöglichen uns eine neue Option und es ist sinnvoll, diese weiter zu erproben. Doch Langzeitdaten haben wir noch nicht und sollten deshalb weiterhin sehr vorsichtig sein.“

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Rüdiger Labahn idw

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