Kaiserschnitt auf Wunsch: Wenig Bedarf bei deutschen Frauen


Die Diskussion über die „termingerechte“ Schnittentbindung halten manche Experten hierzulande eher für eine Gespensterdebatte: Die meisten Schwangeren wählen nach wie vor die vaginale Geburt. Äußert eine Patientin den Wunsch nach einem Kaiserschnitt, so sei dieser zu achten, empfiehlt der Arbeitskreis Medizinrecht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, er sei aber nicht verpflichtend.

Der Wunsch der Schwangeren war natürlich, seine Erfüllung nicht: Ihr Ehemann sollte bei der Geburt des zweiten Kindes dabei sein. Aber ein Fußballstar wie David Beckham hat einen engen Terminkalender. Also brachte das ehemalige „Spice Girl“ Victoria Beckham ihren Sohn Romeo am 1. September in einer Londoner Privatklinik zur Welt – per Kaiserschnitt, termingerecht zwischen zwei Fußballspielen seines Vaters.

Für die Mehrheit der Frauen, zumal der deutschen, ist die „elektive Sectio“ – der Kaiserschnitt nach Wunsch – allerdings kein Thema. „Man kann nicht von einem allgemeinen Trend zur geplanten Schnittentbindung sprechen“, betont Professor Klaus Vetter vom Vivantes Klinikum in Berlin-Neukölln. Diesen Geburtsmodus wählen nach seiner Einschätzung vielleicht 1,5 Prozent der Schwangeren in Deutschland.

Gleichwohl stieg hierzulande die Zahl der Kaiserschnitte in den Jahren 1991 bis 2000 um 26,8 Prozent auf 160.183. Heute kommt etwa jedes fünfte deutsche Baby auf diesem Weg zur Welt. Diese Zunahme, meint Vetter, sei eher darauf zurückzuführen, dass heute seitens der Geburtshelfer nicht mehr an einer vaginalen Entbindung um jeden Preis festgehalten werde.

Dieses „Festhalten“ scheint im Osten der Republik ausgeprägter zu sein als im Westen. So liegt die Kaiserschnitt-Rate in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bei 14 Prozent, in den alten Bundesländern bei 19 Prozent, am höchsten im Saarland bei 24 Prozent.

Den Wunsch nach einer geplanten Sectio formulierten erstmals britische Ärztinnen. Eine Umfrage unter Geburtshelfern in London im Jahr 1996 ergab, dass 31 Prozent der Ärztinnen einen geplanten Kaiserschnitt für ihre erste Entbindung vorziehen würden. Als Hauptargumente nannten 80 Prozent die Angst vor Verletzungen des Beckenbodens mit nachfolgender Harn-Inkontinenz, 58 Prozent befürchteten negative Auswirkungen auf die Sexualität nach dem Motto „preserve your love channel!“ (schütze deinen Liebeskanal). Weitere Gründe waren die Sorge um die Gesundheit des Kindes sowie die zeitliche Planbarkeit der Geburt.

Hierzulande würden nach einer Umfrage in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2002 hingegen nur 6,1 Prozent der Frauenärztinnen einen geplanten Kaiserschnitt vorziehen und 7,7 Prozent ihrer männlichen Kollegen ihren Partnerinnen dazu raten. Hebammen hingegen lehnen eine „elektive Sectio“ für sich ab. Für sie ist die vaginale Geburt ganz stark mit dem emotionalen Geburtserlebnis assoziiert.

Wunsch in der Bevölkerung nahe Null

Dies gilt auch für die meisten Schwangeren. Wenn sie dennoch einen geplanten Kaiserschnitt in Erwägung ziehen, stehen dahinter häufig persönliche Ängste, etwa nach einer traumatisierenden Geburt. „Das ist aber noch keine Sectio auf Wunsch“, präzisiert Professor Arne Jensen von der Frauen-Universitätsklinik Bochum, Knappschaftskrankenhaus. „Frauen, die vor der Wehentätigkeit unüberbrückbare Ängste entwickeln, haben wir schon immer per Kaiserschnitt entbunden. Der Wunsch nach einer Sectio nach Terminkalender oder Hochzeitstag ist in der Bevölkerung gleich null.“ Sein Kollege Vetter hat die gleiche Erfahrung gemacht: „Den Wunschkaiserschnitt gibt es in unserer Klinik quasi nicht. Die Frauen sind eher enttäuscht, wenn bei ihnen eine vaginale Geburt nicht möglich ist.“ Auswüchse wie in Brasilien – die Sectio-Rate beträgt dort bei Privatpatientinnen 70 Prozent – gibt es hierzulande eigentlich nicht.

Gleichwohl sehen sich auch deutsche Gynäkologen nicht als Sachwalter des biblischen Fluches „unter Schmerzen sollst du deine Kinder gebären“, mit dem Eva weiland aus dem Paradies vertrieben wurde. Bei einer Umfrage aus dem Jahr 2001 räumten 70 Prozent der Geburtshelfer ein, dass sie den Wunsch der Schwangeren nach einem Kaiserschnitt bei unkomplizierter Einlingsschwangerschaft zu einem bestimmten Termin erfüllen würden. Der geplante Kaiserschnitt ist für den Geburtshelfer der weniger aufwändige Geburtsmodus. Die Aufklärung beansprucht mehr Zeit als der Eingriff selbst: Dieser dauert im Idealfall 20 Minuten, und er wird zudem besser honoriert wird als eine vaginale Geburt.

Als Entscheidungshilfe für Geburtshelfer publizierte die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe im Februar 2002 eine Stellungnahme. Demnach sei der Wunsch der Patientin nach einem Kaiserschnitt zwar zu achten, aber er sei nicht verpflichtend.

„Jede Tote ist eine Tote zuviel“

Noch gibt es wenig gesicherte Daten über die Risiken, die ein geplanter Kaiserschnitt mit sich bringt. Bei einer Vaginalgeburt liegt die Sterblichkeit unter 0,02 Promille. Beim Kaiserschnitt ist die Sterblichkeit in den letzten 20 Jahren auf derzeit 0,04 Promille gesunken – wobei natür-lich auch risikoreiche Notfälle in diese Statistik eingehen. „Dennoch ist jede Tote, die infolge eines nicht indizierten Eingriffes verstirbt, eine Tote zuviel“, gibt Professor Jensen zu bedenken. „Am schwersten wiegt das Risiko für eine darauffolgende Schwangerschaft und Geburt“, resümiert Vetter. Die Narbenbildung an der Gebärmutter kann zu Schwangerschaften außerhalb der Gebärmutter, Fehlgeburten, Plazenta-Störungen oder Rissen der Gebärmutter führen. Das Hauptrisiko für das per Kaiserschnitt geborene Kind ist das zwei- bis vierfach erhöhte Atemnotsyndrom.

Rückfragen:
Prof. Dr. med. Klaus Vetter
Leiter der Klinik für Geburtsmedizin
Vivantes Klinikum Neukölln
Mariendorfer Weg 28
12051 Berlin
Tel.: 030/60 04-84 86
Fax: 030/60 04-85 99
E-Mail: vetter@knk-berlin.de

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Dipl. Biol. Barbara Ritzert idw

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