Massiver Wandel in der Krebsmedizin


In der Krebstherapie verdrängen individuelle Strategien die herkömmlichen „Alle-bekommen-alles-Konzepte“. Heute richten sich Behandlungen zunehmend nach den jeweiligen Bedürfnissen der Frauen und den biologischen Eigenschaften ihres Tumors, betonen Experten auf dem 54. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Düsseldorf.

Jährlich erkranken in Deutschland schätzungsweise 173.000 Frauen an Krebs. Brustkrebs führt mit 45.000 Neuerkrankungen die Liste der Tumorleiden an. Er verursacht 18 Prozent aller Krebstodesfälle bei Frauen. Pro Jahr diagnostizieren Ärzte hierzulande zudem bei 26.500 Patientinnen bösartige Geschwülste der Geschlechtsorgane, zum Beispiel Krebs des Gebärmutterkörpers oder -halses sowie des Eierstocks. Dank effektiver Früherkennung ist Gebärmutterhalskrebs rückläufig. Die Häufigkeit von Gebärmutterkörper- und Eierstockkrebs verharrt seit 20 Jahren auf gleichem Niveau. Dagegen steigt die Zahl der Frauen, die an Brustkrebs erkranken.

Trotz vieler Fortschritte haben Ärzte eine entscheidende Hürde bisher nicht überwinden können: Von wenigen Ausnahmen abgesehen kann ein Krebsleiden nicht mehr geheilt werden, wenn der Tumor Tochtergeschwülste (Metastasen) in anderen Organen bildet. Dies belegt auch die Auswertung der Krankengeschichten von über 15.000 Brustkrebs-Patientinnen, die Ärzte der Universitätsfrauenklinik Tübingen auf dem Düsseldorfer Kongress präsentieren: Von 1942 bis 1985 lebten die Betroffenen im Schnitt noch 20 Monate, nachdem Ärzte Metastasen diagnostiziert hatten; von 1986 bis 1999 verlängerte sich diese Zeit um nur einen Monat.
Enormer Wandel in der gynäkologischen Onkologie
Diese frustrierend langsamen Behandlungsfortschritte bei fortgeschrittenen Tumorleiden hat in der Zunft der Krebsmediziner in den letzten Jahren eine Neuorientierung angestoßen, die sich auf drei Ansätze konzentriert: Früherkennkung, Individualisierung der Therapie und sekundäre Prävention, die Verhinderung erneuten Tumorwachstums nach der Erstbehandlung. „Einen enormen Wandel in der gynäkologischen Onkologie“ beobachten denn auch die Professoren Hans-Georg Bender und Peter Dall von der Universitätsfrauenklinik Düsseldorf. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen haben sich hohe Ziele gesteckt:
Individuelle Therapien sollen die „Viel-hilft-viel-Behandlungen“ oder die „Alle-bekommen-alles-Strategien“ ablösen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sowie wirtschaftliche Zwänge treiben diese Entwicklung voran. Moderne Behandlungen richten sich nach den jeweiligen Bedürfnissen der Patientin und den biologischen Eigenschaften ihres Tumors.
Vorbeugende Konzepte rücken in den Vordergrund. Sie sollen nach einer Primärtherapie – meist einer Operation – Metastasen oder erneutes Tumorwachstum verhindern.
Die Vorhersage (Prädiktion) wird wichtiger. Sie hilft den Ärzten, eine entscheidende Frage zu beantworten: Welche Frau braucht welche Therapie? Es gilt, jene Patientinnen herauszufiltern, die ein hohes Risiko tragen, in den nächsten fünf Jahren Metastasen oder ein Rezidiv – eine Rückkehr des Tumors – zu erleiden. Denn nur diese Frauen profitieren von
einer gezielten Behandlung nach erfolgreicher Primärtherapie.
Das individuelle Abschätzen unerwünschter Nebenwirkungen von Therapien sollte bei jeder Patientin Standard sein.

Neue Konzepte, andere Strategien
Weltweit tüfteln Forscher an neuen Konzepten, erproben Ärzte neue Kombinationen verschiedener Medikamente und anderer Therapiestrategien. So berichteten Forscher unlängst von einem wesentlichen Fortschritt bei der Behandlung bestimmter Brustkrebs-Patientinnen, deren Tumor „Hormonrezeptor-positiv“ war und bereits Metastasen in den Achsel-Lymphknoten gebildet hatte. Diese Frauen, die ihre Wechseljahre bereits hinter sich hatten, profitierten von einer Behandlung mit Anastrozol – einem so genannten Aromatasehemmer – stärker als von der bisher besten Therapie mit dem Medikament Tamoxifen: Sie blieben länger krankheitsfrei als jene Patientinnen, die entweder mit Tamoxifen oder mit einer Kombination aus Tamoxifen und Anastrozol behandelt worden waren. Noch in diesem Jahr rechnen die Ärzte mit einer Erweiterung der Zulassung von Anastrozol in Deutschland.
Auch bei der Chemotherapie des Brustkrebses gibt es Fortschritte. Wenn die Ärzte das Medikament Docetaxel aus der Gruppe der Taxane in den Behandlungsplan integrieren, verlängert sich ebenfalls das krankheitsfreie Überleben der Patientinnen im Vergleich zur Standard-Chemotherapie. „Allerdings ist noch eine längere Nachbeobachtungszeit erforderlich“, schränkt Dall ein, „um diese Ergebnisse endgültig zu beurteilen.“
Nicht nur die vielen, oft eher kleinen therapeutischen Fortschritte verbessern die Chancen der Patientinnen. Entscheidend wichtig ist ihre Verknüpfung in einer qualitätsgesicherten Versorgungskette – von der effektiven Früherkennung über die Diagnostik und Therapie nach dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis, bei der Ärzte verschiedener Fachrichtungen in Zentren zusammenarbeiten, bis hin zur angemessenen Nachsorge. Diese Versorgungskette wird sich, so hofft Professor Hans-Georg Bender, Präsident des Gynäkologen-Kongresses, in den nächsten Jahren hierzulande fest etablieren.
Für Krebsspezialisten ist die Vorhersage, ob und wie ein Tumor auf eine Behandlung reagiert, von großer Bedeutung. So verrät der klassische „Hormonrezeptor-Status“ bei Brustkrebs, ob eine Patientin von einer Hormontherapie – sie soll Metastasen oder Rezidive verhindern – wahrscheinlich profitieren wird. Inzwischen ermitteln Ärzte auch, ob der Tumor eine bestimmte Bindungsstelle – den Humanen Epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (HER2) – in großen Mengen produziert. Ist dies der Fall, können sie ihre Patientin mit einem Trastuzumab genannten Medikament aus der Gruppe der monoklonalen Antikörper behandeln: Es vermag den Rezeptor und damit das Tumorwachstum zumindest für einige Zeit zu hemmen.
Prognosefaktoren stellen die Weichen für die richtige Therapie

Studien an den Frauenkliniken der Technischen Universität München und der Universität Hamburg belegen die prognostische Bedeutung zweier so genannter tumorbiologischer Faktoren. Diese kurz uPA und PAI-1 bezeichneten Eiweißstoffe spielen bei der Invasion von Tumorzellen in das umliegende gesunde Gewebe sowie bei deren Ausbreitung im Körper eine Rolle. Sie lassen sich mit Labortests im heraus operierten Tumorgewebe bestimmen. Frauen mit hohem uPA- und PAI-1-Gehalt im Primärtumor tragen ein großes Risiko, dass der Krebs zurückkehrt. Sie profitieren jedoch auch deutlich von einer adjuvanten systemischen Chemotherapie.
Auf der Gynäkologen-Tagung wird das Forscherteam aus München und Hamburg Ergebnisse seiner Studien vorlegen. So erlitten 6,3 Prozent der Patientinnen mit niedrigem uPA im Lauf von drei Jahren nach der Primärtherapie ein Rezidiv; bei Patientinnen mit erhöhten Werten lag diese Drei-Jahres-Rezidivrate bei 14,2 Prozent. Durch eine Chemotherapie ließ sich das Rezidiv-Risiko der Patientinnen mit erhöhten Werten um 36,9 Prozent senken. Nun prüfen die Ärzte, ob diese Faktoren auch bei Eierstockkrebs prognostische Bedeutung haben.
Noch unklar ist hingegen die Bedeutung anderer Prognosefaktoren wie etwa der Nachweis einzelner Tumorzellen im Knochenmark. Keine Beziehung fanden die Forscher bislang auch zwischen dem Nachweis von Tumorzellen im Blutserum und dem Tumorstadium oder dem Lymphknotenstatus von Patientinnen.
Gen-Chips noch Zukunftsmusik
Große Hoffnung setzen Wissenschaftler auf so genannte Gen-Chips: Diese mikrominiaturisierten Labors sollen künftig individuelle genetische Profile von Tumoren erstellen. Im Labor können sie schon heute die Erbsubstanz von Tumoren gleichzeitig auf die Aktivität von Tausenden verschiedener Gene testen. Damit hoffen die Forscher Gene zu identifizieren, die für eine Krebserkrankung besonders bedeutsam sind. Aber noch liefern die verschiedenen Testsysteme unterschiedliche Ergebnisse. „Solche Tests sind erst dann in der klinischen Routine sinnvoll einsetzbar“, sagt Dall, „wenn sie den gleichen strengen Anforderungen genügen wie die Testung anderer Prognosefaktoren.“

Beratung bei familiärem Brustkrebs hat sich bewährt
Etwa fünf Prozent aller Brust- und Eierstockkrebse sind erblich bedingt. Eine intensive Beratung der Betroffenen über Früherkennung und Präventionsmöglichkeiten, die bundesweit an zwölf Kliniken angeboten wird, hat sich bewährt. „Die Patientinnen vertrauen dem Konzept“, berichtet Peter Dall. Bislang wurden mehrere tausend Frauen beraten. In 3023 Familien haben die Forscher 77 verschiedene Mutationen des BRCA1-Gens und 63 Mutationen des BRCA2-Gens nachgewiesen. Sind in einer Familie jeweils ein Fall von Brustkrebs und ein Fall von Eierstockkrebs oder zwei Fälle von Brustkrebs vor den Wechseljahren aufgetreten, ist eine Beratung besonders zu empfehlen. Die Familiengeschichte liefert bislang bessere Informationen zur Abschätzung des Risikos als verschiedene Rechenmodelle, welche die Forscher noch erproben.

Therapie-Trend: An der Tumorbiologie orientieren

Auch auf therapeutischem Gebiet zeichnen sich deutliche Trends ab: „Die Zukunft“, erklärt Dall, „liegt in der intelligenten Nutzung effektiver Standardtherapien, also etwa einer Opera-tion, in Verbindung mit Strategien, die sich an der jeweiligen Tumorbiologie orientieren.“ Dazu gehören beispielsweise Immuntherapien. So testen Ärzte bei Gebärmutterhalskrebs verschiedene therapeutische Impfstrategien. Andere Immuntherapien erlitten hingegen klinische Misserfolge; nun versuchen Forscher, ihre Strategien in Laborversuchen weiter zu optimieren.
Gentherapie-Studien geplant

Rückschläge mussten auch die Gentherapeuten einstecken. In der Krebsbehandlung blieben die erhofften Wirkungen aus. Schlimmer noch: Ein Todesfall vor zwei Jahren führte den Forschern vor Augen, dass bestimmte virale Gentransporter („Vektoren“) keineswegs so harmlos sind wie zuvor angenommen. Die US-Mediziner hatten so genannte Adenoviren eingesetzt.
Nach dem Todesfall erhielten drei US-Labors von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA den Auftrag, die Vektoren weiterzuentwickeln, darunter das Gentherapie-Zentrum der Universität von Alabama. Mit ihm arbeitet das Gynäkologen-Team um Dall eng zusammen. Noch in diesem Jahr sollen zunächst in den USA klinische Studien mit Adenoviren der dritten Generation anlaufen. Die speziell konstruierten Viren sollen sich beispielsweise nur in den Zellen von Eierstocktumoren vermehren und diese dabei abtöten. Zumindest bei Nagern ließ diese Strategie Geschwülste verschwinden. Das Düsseldorfer Team konnte darüber hinaus bei Versuchen mit Mäusen belegen, dass eine Kombination von Gen- und Chemotherapie sinnvoll ist.
Rückfragen:
Univ.-Prof. Dr. med. Peter Dall
Oberarzt der Frauenklinik Universität Düsseldorf
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf
Tel.: 02 11/81-1 75 18
Fax: 02 11/81-1 60 23
E-Mail: dall@uni-duesseldorf.de

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Dipl. Biol. Barbara Ritzert idw

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