Oldenburger Forscher an Entwicklung von Sehprothese beteiligt

Die Ersetzung von Sinnesorganen durch Prothesen – was wie Science Fiction klingt, rückt durch die Fortschritte der biomedizinischen Forschung, besonders der Neurobiologie, zunehmend in den Bereich des Möglichen. Prof. Dr. Ammermüller von der Universität Oldenburg ist an dem von der EU geförderten Projekt „Kortikale Sehprotesen für Blinde“ beteiligt.

Eine blinde Person trägt auf einem Brillengestell eine Mini-Videokamera, deren Bilder in elektrische Impulse umgewandelt und mittels Funk direkt ins Sehzentrum des Gehirns übertragen werden: Was sich wie Science Fiction anhört, könnte eines Tages Wirklichkeit werden, sagt Prof. Dr. Josef Ammermüller von der Universität Oldenburg. Der Neurobiologe forscht mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie aus Spanien, Frankreich, Portugal und Österreich an einem Projekt, das ein Meilenstein in der Behandlung von Sehstörungen werden könnte („Kortikale Sehprothese für Blinde“). Das finanzielle Volumen des Vorhabens beträgt 3,4 Millionen Euro, wovon 2,25 Millionen Euro von der EU gefördert werden. Auf Oldenburg entfallen ca. 360.000 Euro.

In Deutschland leben ca. 155.000 blinde und 500.000 stark sehbehinderte Menschen (in Europa etwa vier bis sieben Millionen Blinde und Sehbehinderte). Während der Anteil der Blinden und Sehbehinderten bei jungen Menschen eher rückläufig ist, steigt er bei älteren Menschen an. Zur Zeit leben in Deutschland mehr als zehn Prozent der blinden Menschen in einem Heim, da sie zu einer eigenständigen Lebensführung nicht mehr imstande sind.

Die Fortschritte in der biomedizinischen Forschung, insbesondere der Neurobiologie, ließen es in den letzten Jahren machbar erscheinen, Sinnesorgane durch technische Prothesen zu ersetzen. Das Cochlea-Implantat als Ersatz für das Hörsystem ist ein erstes, erfolgreiches Beispiel. Im Falle des Sehsystems existieren Ansätze zur Entwicklung von Sehprothesen vor allem in Deutschland und den USA. Dabei werden verschiedene Strategien verfolgt, die von der künstlichen, elektrischen Reizung der Nervenzellen in der Netzhaut über Reizung des optischen Nervs bis zur direkten Reizung der entsprechenden Sehareale im Gehirn reichen.

Letzteren Ansatz verfolgen Ammermüller und seine KollegInnen aus Universitätskliniken und biomedizinischen Firmen. Im Einzelnen geht es darum, den Prototypen einer künstlichen Netzhaut zu entwickeln, dessen Ausgangssignale möglichst genau den Signalen der natürlichen Netzhaut entsprechen. Man hofft, dass diese Signale – in das Sehzentrum eines blinden Menschen eingespeist – zu einem gewissen Sehvermögen verhelfen.

Die Entwicklung einer künstlichen Netzhaut sei durchaus realistisch, sagt Ammermüller. Er und sein Oldenburger Mitarbeiterteam gehören weltweit zu den wenigen WissenschaftlerInnen, die in der Lage sind, die Aktivität von vielen Neuronen der Netzhaut gleichzeitig zu messen. Durch möglichst natürliche Lichtreize kann so die Funktion der Netzhaut und die Umwandlung der Lichtsignale in elektrische Signale detailliert untersucht werden. In Zusammenarbeit mit Theoretikern und Elektronikern der beteiligten Partner soll anschließend eine programmierbare Hardwarelösungen erstellt werden, durch die z.B. das Bild einer Videokamera in elektrische Impulse umgewandelt wird. Parallel dazu werden Fragen der Biokompatibilität, der Operationstechnik, und der Auswahl möglicher Patienten von den beteiligten Partnern untersucht.

Mit einem Aspekt der Funktion der Netzhaut haben sich Ammermüller und weitere Oldenburger NeurowissenschaftlerInnen kürzlich in einem Aufsatz in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature Neuroscience befasst (Martin Greschner, Markus Bongard, Pal Rujan und Josef Ammermüller: „Retinal ganglion cell synchronization by fixational eye movements improves feature estimation“, Nature Neuroscience, Vol.5, 341-347, 2002). Ausgangspunkt für ihre Untersuchung war die schon lange bekannte Tatsache, dass der Mensch während des Sehens andauernd Augenbewegungen durchführt (auch wenn er selbst den Eindruck hat, seine Augen nicht zu bewegen). Die Oldenburger WissenschaftlerInnen kommen zu dem Schluss, dass das Auge durch diese „Fixationsbewegungen“ ein stationäres Bild in ein sich zeitlich änderndes Bild umwandelt, was zu einer Erhöhung des Informationsgehaltes führt. Umgekehrt scheint es so zu sein, dass bei fehlender Bewegung der Informationsgehalt der Signale aus der Netzhaut zu gering wird, so dass das Gehirn keinen Seheindruck mehr konstruieren kann.

Kontakt: Prof. Dr. Josef Ammermüller, Arbeitsgruppe Neurobiologie, Fachbereich Biologie, Geo- und Umweltwissenschaften, Tel. 0441/798-3420, E-Mail: josef.ammermueller@uni-oldenburg.de

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Gerhard Harms idw

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