Krank durch kniende Tätigkeit?

Menschen, die einen großen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit im Knien ausüben – im Gleis- und Bergbau, als Fliesen- oder Parkettverleger – leiden oft an einem Verschleiß des Kniegelenks (Gonarthrose). Ein ärztlicher Sachverständigenbeirat hat dem Bundesarbeitsminister deshalb im Oktober 2005 geraten, die Gonarthrose in die Berufskrankheitenverordnung aufzunehmen.

Widerstände gibt es vor allem seitens der Berufsgenossenschaften: Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten werden nämlich von den Unfallversicherungsträgern entschädigt – und das sind im gewerblichen Bereich die Berufsgenossenschaften. Die Arbeitsmedizinerin Prof. Dr. Gine Elsner plädiert aufgrund eigener Studien, die einen signifikanten Zusammenhang zwischen kniender Tätigkeit und einer Gonarthrose belegen, für eine Anerkennung dieses Leidens als Berufskrankheit.

Die Berufskrankheitenliste wird laufend erweitert, weil wissenschaftliche Untersuchungen ständig neue Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Arbeitsbelastungen und Krankheiten hervorbringen. Anfang der 1950er Jahre wurden die Meniskusschäden aufgenommen, denn es war aufgefallen, dass insbesondere Bergarbeiter wegen der knienden Tätigkeit in niedrigen Stollen ein erhöhtes Risiko haben, einen Meniskusschaden zu bekommen. Bei einer knienden Tätigkeit wird aber nicht nur der knorpelige Meniskus beeinträchtigt, sondern schließlich auch das gesamte Kniegelenk. Das schließt Elsner aus einer Fall-Kontrollstudie, bei der 295 Patienten mit einer fortgeschrittenen Gonarthrose hinsichtlich ihrer lebenslangen Belastungen mit 328 Kontrollpersonen verglichen wurden. Die Fälle wurden in fünf Kliniken und in fünf Praxen der Stadt Frankfurt am Main, der Stadt Offenbach und des Landkreises Offenbach gewonnen.

Sowohl die Patienten als auch die gesunden Kontrollpersonen wurden zu ihren lebenslangen beruflichen Belastungen und außerberuflichen Faktoren befragt. Im Ergebnis fand sich, dass die Gonarthrose-Patienten deutlich häufiger in ihrem Leben zuvor eine Tätigkeit im Knien, im Hocken oder im Fersensitz ausgeführt hatten. Von den Fällen gaben 21 Prozent an, in ihrem Leben mehr als 10800 Stunden im Knien, Hocken oder im Fersensitz gearbeitet zu haben; im Vergleich dazu gaben nur rund 5 Prozent der gesunden Kontrollpersonen an, so oft in kniebelastenden Positionen tätig gewesen zu sein. Damit ist bei einer Belastungsdosis von fast 11000 Stunden im Knien, Hocken oder im Fersensitz das Risiko, eine Gonarthrose zu entwickeln, mehr als doppelt so groß ist wie bei nicht-belastenden Tätigkeiten. Diese Belastungsdosis kommt der vom Sachverständigenbeirat vorgeschlagenen Belastungsdosis von 13000 Stunden sehr nahe.

Würde die Gonarthrose als Berufskrankheit anerkannt, dann müssten die Renten und Heilmaßnahmen für die Geschädigten aus der Unfallversicherung bezahlt werden. Sie gingen also ausschließlich zu Lasten der Arbeitgeber. „Die Regierung muss sich entscheiden, ob sie die Gonarthrose auch gegen den Widerstand der Berufsgenossenschaften in die Berufskrankheitenliste aufnimmt“, meint Elsner und verweist auf das nördliche Nachbarland Dänemark. Dort kann eine Gonarthrose neuerdings als Berufskrankheit anerkannt werden. „In einem Europa, das zusammenwächst, müssen eines Tages auch die Sozialsysteme angeglichen werden“, gibt sie zu bedenken.

Lesen Sie mehr dazu im Wissenschaftsmagazin Forschung Frankfurt 3/2007

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steier@pvw.uni-frankfurt.de
Nähere Information:
Prof. Dr. Gine Elsner, Institut für Arbeitsmedizin, Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt, Telefon 069/6301-7609,

E-Mail: g.elsner@em.uni-frankfurt.de

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Dr. Anne Hardy idw

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