Bekannte Arzneimittel – neue Wirkung im Kampf gegen Infektionen?

Mit Bioinformatik auf der Suche nach wirksamen Arzneimitteln gegen Grippe Quelle: PEI

Influenza-A-Viren gehören zu den gefürchteten Krankheitserregern. Sie verursachen regelmäßig Grippewellen. Ihre Hülle enthält das Ionenkanal-bildende M2-Protein sowie die Oberflächen-Glykoproteine Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase (NA). Aufgrund der Antigen-Eigenschaften dieser Glykoproteine werden sie in verschiedene Subtypen unterteilt.

Bis heute wurden 18 unterschiedliche Hämagglutinin- und 11 Neuraminidase-Subtypen identifiziert. Die Influenzaimpfstoffe enthalten Antigenbestandteile der verschiedenen zirkulierenden Subtypen. Die hohe genetische Variabilität der Influenza-Virusstämme macht jedoch jährliche Stammanpassungen in den Grippeimpfstoffen erforderlich.

Tritt ein neues Influenzavirus auf, brauchen Entwicklung und Herstellung eines Impfstoffs mehrere Monate. Daher stehen zunächst als Behandlungsoption für Erkrankte nur Medikamente zur Verfügung, die das Virus bekämpfen (Virustatika).

Allerdings kommt es bei den bisher verfügbaren antiviralen Arzneimitteln – M2-Protein-Ionenkanal-Blockern und Neuraminidase-Hemmstoffen – häufig zur Entwicklung von Resistenzen, sodass sie ihre Wirksamkeit verlieren.

Ein als Repurposing (Umnutzung) bekannter Ansatz besteht darin, bereits für andere Anwendungen zugelassene Arzneimittel hinsichtlich ihrer Wirksamkeit gegen andere Krankheiten, hier die Influenza-A, zu untersuchen.

Neu ist hier, dass, anders als bei den bisherigen antiviralen Arzneimitteln, nach Wirkstoffen gesucht wurde, die zelluläre Proteine des Menschen adressieren, die das Virus für seine Vermehrung im Körper benötigt.

Zum einen lassen sich so Resistenzen durch Veränderung der Virusproteine, gegen deren Funktion ein Wirkstoff gerichtet ist, vermeiden. Zum anderen verspricht man sich hiervon eine Wirksamkeit gegen ein breiteres Spektrum von Virusstämmen.

Mit sogenannten genomweiten Screens der „small interfering“ RNAs (siRNAs) wurden vielversprechende Kandidaten-Proteine und -Signalwege identifiziert, die am Influenzavirus-Vermehrungsszyklus beteiligt sind.

Forscher des Paul-Ehrlich-Instituts um Prof. Veronika von Messling, bis September 2018 Leiterin der Abteilung Veterinärmedizin des Paul-Ehrlich-Instituts, haben in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus verschiedenen Forschungseinrichtungen in Singapur diese Zielstrukturen mit den Angriffspunkten bereits zugelassener Wirkstoffe abgeglichen, die bei einer Infektionswelle sofort zur Verfügung stünden.

Die dabei identifizierten vielversprechendsten Kandidaten wurden im Anschluss zunächst in vitro (in Zellkultur) getestet und schließlich in Tierversuchen mit Mäusen und Frettchen in vivo auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

Von 15 Kandidaten-Wirkstoffen waren vier in der Lage, in vitro eine Influenza-A-Infektion einzudämmen. In Wirksamkeitsstudien an Mäusen führte der Wirkstoff Dextromethorphan zu einer signifikanten Abnahme der Erregermenge in der Lunge und verstärkte zudem die Wirksamkeit des Virustatikums Oseltamivir.

Bei mit dem Influenza-A-Virusstamm H1N1 infizierten Frettchen führte die Gabe von Dextromethorphan zudem zu einer Verminderung des Schweregrads der Grippeerkrankung, senkte allerdings hier nicht den Virustiter.

„Unsere Daten geben Hinweise darauf, dass Dextromethorphan eine Therapieoption für Influenza sein könnte“, sagt von Messling. Darüber hinaus zeigte die Studie, dass es mit Bioinformatik-basierten Verfahren durchaus möglich ist, die Umnutzung bereits zugelassener Arzneimittel für Infektionskrankheiten zu testen.

Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt am Main ist als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel eine Bundesoberbehörde im Geschäfts­bereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Es erforscht, bewertet und lässt bio­medizinische Human-Arzneimittel und immunologische Tierarzneimittel zu und ist für die Genehmigung klinischer Prüfungen sowie die Pharmakovigilanz – Erfassung und Bewertung möglicher Nebenwirkungen – zuständig.

Die staatliche Chargenprüfung, wissenschaftliche Beratung/Scientific Advice und Inspektionen gehören zu den weiteren Aufgaben des Instituts. Unverzichtbare Basis für die vielseitigen Aufgaben ist die eigene experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin und der Lebenswissenschaften.

Das Paul-Ehrlich-Institut mit seinen rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nimmt zudem Beratungsfunktionen im nationalen (Bundesregierung, Länder) und inter­nationalen Umfeld (Weltgesundheitsorganisation, Europäische Arzneimittel­behörde, Europäische Kommission, Europarat und andere) wahr.

Enkirch T, Sauber S, Anderson DE, Gan ES, Kenanov D, Maurer-Stroh S, von Messling V (2018): Identification and In Vivo Efficacy Assessment of Approved Orally Bioavailable Human Host Protein-Targeting Drugs with Broad Anti-Influenza A Activity.
Front Immunol Jun 5 [Epub ahead of print]
DOI:

https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fimmu.2019.01097/abstract – Abstract der Originalpublikation

https://www.pei.de/DE/infos/presse/pressemitteilungen/2019/13-bekannte-arzneimit… – Diese Pressemitteilung auf den Seiten des Paul-Ehrlich-Instituts

Media Contact

Dr. Susanne Stöcker idw - Informationsdienst Wissenschaft

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (1)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Bakterien für klimaneutrale Chemikalien der Zukunft

For­schen­de an der ETH Zü­rich ha­ben Bak­te­ri­en im La­bor so her­an­ge­züch­tet, dass sie Me­tha­nol ef­fi­zi­ent ver­wer­ten kön­nen. Jetzt lässt sich der Stoff­wech­sel die­ser Bak­te­ri­en an­zap­fen, um wert­vol­le Pro­duk­te her­zu­stel­len, die…

Batterien: Heute die Materialien von morgen modellieren

Welche Faktoren bestimmen, wie schnell sich eine Batterie laden lässt? Dieser und weiteren Fragen gehen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit computergestützten Simulationen nach. Mikrostrukturmodelle tragen dazu bei,…

Porosität von Sedimentgestein mit Neutronen untersucht

Forschung am FRM II zu geologischen Lagerstätten. Dauerhafte unterirdische Lagerung von CO2 Poren so klein wie Bakterien Porenmessung mit Neutronen auf den Nanometer genau Ob Sedimentgesteine fossile Kohlenwasserstoffe speichern können…

Partner & Förderer