Zehn Billionen Atome in Reih’ und Glied

Mit bloßem Auge erkennbar: Ein hauchdünner Graphen-Flake, der durch Chemical Vapor Deposition gewonnen wurde. Die rote Färbung der Kupferunterlage entsteht, wenn die Probe an Luft erhitzt wird. (Foto: J. Kraus/ TUM)

Eine Atomlage dünn, reißfest,  stabil. Graphen gilt als Werkstoff der Zukunft. Ideal, um beispielsweise ultraleichte Elektronik oder hochstabile mechanische Bauteile zu fertigen. Doch die hauchdünnen Kohlenstoff-Schichten sind schwer zu produzieren.

An der Technischen Universität München (TUM) hat Jürgen Kraus freitragende Graphen-Membranen hergestellt, dafür systematisch das Wachstum der Graphen-Kristalle untersucht und optimiert. Seine Arbeit wurde mit dem Evonik-Forschungspreis ausgezeichnet.

Graphen bricht alle Rekorde. Es ist das dünnste und stabilste Material der Welt, ultraleicht, reißfest, elektrisch leitfähig und extrem belastbar. Seit seiner Entdeckung 2004 beflügeln die zweidimensionalen Strukturen aus Kohlenstoff-Atomen Phantasie und Erfindergeist: Science-Fiction-Autoren halten das Material für geeignet, um daraus Seile für einen Fahrstuhl ins Weltall zu bauen.

Materialforscher experimentieren mit Graphen-Displays, -Transistoren und -Elektroden, welche die Elektronik der Zukunft leichter, stabiler und langlebiger machen sollen. In der Wissenschaft sind Folien aus hochreinem Graphen äußerst gefragt, denn mit ihnen lassen sich Gase sowie Flüssigkeiten ultradicht verpacken.

„Derzeit mangelt es allerdings noch an den Grundlagen. Es gibt verschiedene Herstellungsverfahren, die sich für die Massenproduktion von Graphen eignen. Allerdings ist dieses Material nicht frei von Defekten. Graphen höchster kristalliner Qualität lässt sich so  nicht reproduzierbar herstellen“, erklärt Sebastian Günther, Professor für Physikalische Chemie der TUM.

Seinem Team ist es jetzt gelungen, das Wachstum von Graphen-Kristallen durch Chemical Vapor Deposition, der chemischen Abscheidung aus der Gasphase, kurz CVD genannt, zu analysieren, zu kontrollieren und zu optimieren. Die Ergebnisse sind vor kurzem in den „Annalen der Physik“ veröffentlicht worden.

Theorie und die Tücken der Praxis

Theoretisch ist es ganz einfach, Graphen herzustellen: Benötigt wird nur ein beheizbares Glasgefäß, ein Reaktor, in den kohlenstoffhaltiges Gas, zum Beispiel Methan, geleitet wird sowie Kupfer als Katalysator. Bei Temperaturen von etwa 1000 Grad zersetzt sich das Methan an der Kupferoberfläche in Wasserstoff und Kohlenstoff.

Während der Wasserstoff die Kupferoberfläche wieder verlässt, sammeln sich die Kohlenstoffatome bei der  Chemical Vapor Deposition – an der Oberfläche der verwendeten Kupferfolie. Dort vernetzen sich die Atome und bilden „Graphen-Flakes“, fleckenartige zweidimensionale Gebilde mit der typischen wabenartigen Struktur. Übrig bleibt der Wasserstoff, der abgesaugt werden kann.

Praktisch liegt die Tücke in einer Fülle von Details. „Das größte Problem ist, dass das zweidimensionale Kristallgefüge oft nicht ganz homogen ist, weil das Wachstum an mehreren Stellen gleichzeitig beginnt“, erläutert Jürgen Kraus, der die Untersuchungen durchgeführt hat. „Auf den ersten Blick scheint sich dann auf dem Kupfer zwar ein durchgängiger Film aus Graphen zu bilden, aber die sechseckigen Waben sind nicht alle gleich orientiert und dort, wo sie aufeinanderstoßen, ist die Struktur geschwächt.“ Solche Defekte lassen sich vermeiden, wenn die Oberfläche des Kupfers frei ist von Kristallisationskeimen.

Mit seinen Experimenten konnte der Chemiker zeigen, dass sich Verunreinigungen am besten mit Hilfe von Sauerstoffgas – also durch Oxidation – beseitigen lassen. Zur Vermeidung unerwünschter Nebeneffekte muss jedoch darauf geachtet werden, dass der Kupferkatalysator nur geringsten Sauerstoffmengen ausgesetzt wird.

Entscheidend für den Erfolg: Gas-Konzentration und Temperatur

Im zweiten Teil seiner Arbeit hat Kraus analysiert, wie sich unterschiedliche Partialdrücke und Temperaturen auf die Graphen-Bildung bei der Chemical Vapor Deposition auswirken: Ist die verwendete Gaszusammensetzung zu wasserstoffreich, wächst überhaupt kein Graphen, ist sie zu wasserstoffarm, werden die Schichten zu dick. Nur wenn alle Parameter so gewählt werden, dass sich ein Wachstum „genügend nahe“ des thermischen Gleichgewichts einstellt, bildet sich hochreines Graphen ohne Defekte im Kristallgitter.

Qualitätscheck in Italien

Um die Qualität der Flakes zu überprüfen, reisten die Münchner Forscher mit ihren Proben nach Italien. Am Research Centre Elettra Sincrotrone Trieste, das über einen ringförmigen Teilchenbeschleuniger verfügt, konnten sie die  Graphenschichten mit einem speziellenMikroskop, das dank der energiereichen Synchrotron-Strahlung eine hohe Auflösung hat, chemisch und strukturell charakterisieren.

„Das Ergebnis der Machbarkeitsstudie war sehr ermutigend“, berichtet Günther. „Die Bilder haben bewiesen, dass sich durch Auswahl der Parameter bei der Chemical Vapor Deposition reproduzierbare Ergebnisse erzielen lassen.“

Der bisherige Qualitätsrekord der TUM Forscher: Ein Quadratmillimeter große Graphen-Flakes, die zehn Billionen exakt gleich ausgerichteter Kohlenstoff-Atome enthalten. „Der Vorteil gegenüber anderen Studien liegt hier nicht so sehr auf dem erzielten ‚Größenrekord’, sondern in der Tatsache, dass sich die Flakes bei geeigneter CVD-Parameterwahl mit einer vorhersagbaren Wachstumsgeschwindigkeit bilden und somit geschlossene, höchstkristalline Graphenschichten mit einer Dicke von nur einem Atom innerhalb weniger Stunden herstellen lassen“, resümiert Günther.

Minifolien für neue Anwendungen

Graphen eröffnet vor allem in der Grundlagenforschung eine Vielzahl neuer Anwendungen: So lassen sich die ultradünnen Graphenfilme beispielsweise vom Kupfer ablösen und als Abdeckfolien verwenden. Diese eignen sich, um Flüssigkeiten in einem Container einzuschließen. Da die Folien für langsame Elektronen transparent sind, können die Proben mit Elektronenspektroskopie und -mikroskopie untersucht werden, obwohl diese Techniken typischerweise im Ultrahochvakuum beziehungsweise im Hochvakuum durchgeführt werden.

Mit Hilfe der Folien wollen die Forscher künftig auch lebende Zellen, flüssigkeitsbedeckte Elektroden oder Katalysatoren unter hohem Druck mittels Photoelektronenspektroskopie untersuchen. Bei diesem Verfahren übertragen Photonen, die die Folie durchdringen können, ihre Energie auf die Elektronen in der Probe, sodass diese frei werden  und durch die Folie nach außen dringen. Aus ihrer Energie lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die chemische Zusammensetzung der Probe.

Preisgekrönte Forschung
Für seine Arbeit erhielt Jürgen Kraus den Forschungspreis 2017 der Firma Evonik Industries AG.

Gefördert wurde die Forschung durch das DFG-Schwerpunktprogramm Graphen SPP 1459.

Publikation:

Jürgen Kraus, Lena Böbel, Gregor Zwaschka, and Sebastian Günther: Understanding the Reaction Kinetics to Optimize Graphene Growth on Cu by Chemical Vapor Deposition, Annalen der Physik  2017, 1700029, DOI: 10.1002/andp.201700029.
LINK: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/andp.201700029/abstract

Kontakt
Prof. Sebastian Günther
Technische Universität München
Lehrstuhl für Physikalische Chemie
Tel.: +49 (89) 289 – 13403
E-Mail: sebastian.guenther@tum.de

Die Technische Universität München (TUM) ist mit mehr als 500 Professorinnen und Professoren, rund 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 40.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.

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Prof. Sebastian Günther Technische Universität München

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