Schwarzer Stickstoff: Bayreuther Forscher entdecken neues Hochdruck-Material und lösen ein Rätsel des Periodensystems

Dr. Dominique Laniel, Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung, am Bayerischen Geoinstitut (BGI) der Universität Bayreuth. Foto: Christian Wißler

Stickstoff – eine Ausnahme im Periodensystem?

Ordnet man die chemischen Elemente aufsteigend nach der Anzahl ihrer Protonen und achtet dabei auf ihre Eigenschaften, dann fällt auf, dass bestimmte Eigenschaften in größeren Abständen („Perioden“) wiederkehren.

Das Periodensystem der Elemente macht diese Wiederholungen sichtbar: Elemente mit ähnlichen Eigenschaften sind jeweils in der gleichen Säule untereinander platziert und bilden so eine Elementgruppe.

Am Kopf einer Säule steht dasjenige Element, das im Vergleich mit den anderen Gruppenmitgliedern die wenigsten Protonen und das geringste Gewicht hat. Stickstoff führt die Elementgruppe 15 an, galt aber bisher als „Schwarzes Schaf“ dieser Gruppe.

Der Grund: Stickstoff zeigte bei früheren Hochdruck-Experimenten keine Ähnlichkeiten mit Strukturen, welche die schwereren Elemente dieser Gruppe – insbesondere Phosphor, Arsen und Antimon – unter Normalbedingungen aufweisen. Genau solche Ähnlichkeiten konnten bei hohen Drücken in den benachbarten, von Kohlenstoff und Sauerstoff angeführten Elementgruppen beobachtet werden.

„Schwarzer Stickstoff“ – ein Hochdruck-Material mit technologisch attraktiven Eigenschaften

Tatsächlich stellt Stickstoff jedoch keine Ausnahme dar. Dies konnten die Forscher am Bayerischen Geoinstitut (BGI) und am Labor für Kristallographie der Universität Bayreuth jetzt mit Hilfe eines von ihnen kürzlich entwickelten Messverfahrens nachweisen.

Unter der Leitung von Dr. Dominique Laniel haben sie eine ungewöhnliche Entdeckung gemacht: Bei sehr hohen Drücken und Temperaturen bilden Stickstoffatome eine Kristallstruktur, die für Schwarzen Phosphor – eine spezielle Modifikation des Phosphors – charakteristisch ist und ebenso bei Arsen und Antimon vorkommt.

Diese Struktur setzt sich aus zweidimensionalen Schichten zusammen, in denen Stickstoff-Atome nach einem einheitlichen Zick-Zack-Muster vernetzt sind. Diese 2D-Schichten ähneln hinsichtlich ihrer elektronischen Eigenschaften dem Graphen, das ein starkes Potenzial für Hightech-Anwendungen hat.

Daher wird zurzeit untersucht, ob Schwarzer Phosphor künftig als Material für hocheffiziente Transistoren, Halbleiter und andere elektronische Bauteile infrage kommt.

Für die von ihnen entdeckte Stickstoff-Modifikation schlagen die Bayreuther Forscher eine analoge Bezeichnung vor: Schwarzer Stickstoff. Einige technologisch attraktive Eigenschaften, insbesondere deren Richtungsabhängigkeit (Anisotropie), sind hier noch stärker ausgeprägt als beim Schwarzen Phosphor.

Allerdings kann der Schwarze Stickstoff nur dank der außergewöhnlichen Druck- und Temperaturverhältnisse existieren, unter denen er im Labor entsteht. Unter Normalbedingungen löst er sich sofort auf.

„Wegen dieser Instabilität sind industrielle Anwendungen derzeit ausgeschlossen. Dennoch bleibt Stickstoff ein für die Materialforschung hochinteressantes Element. Unsere Studie zeigt beispielhaft: Hohe Drücke und Temperaturen können Materialstrukturen und -eigenschaften hervorbringen, von denen die Forschung zuvor nicht wusste, ob es sie überhaupt geben kann“, sagt Laniel.

Strukturaufklärung mit Teilchenbeschleunigern

Es bedurfte geradezu extremer Bedingungen, um Schwarzen Stickstoff zu erzeugen: Der Kompressionsdruck war 1,4 Millionen mal höher als der Druck der Erdatmosphäre, die Temperatur überstieg 4.000 Grad Celsius.

Um herauszufinden, wie sich die Atome unter diesen Verhältnissen anordnen, haben die Bayreuther Wissenschaftler mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg und der Advanced Photon Source (APS) am Argonne National Laboratory in den USA kooperiert. Hier trafen durch Teilchenbeschleunigung erzeugte Röntgenstrahlen auf die Materialproben.

“Wir waren überrascht und fasziniert, als die Messdaten uns plötzlich die für Schwarzen Phosphor charakteristische Struktur lieferten. Weitere Experimente und Berechnungen haben diesen Befund mittlerweile bestätigt. Damit steht zweifelsfrei fest: Stickstoff ist kein Ausnahme-Element, sondern folgt ebenso wie Kohlenstoff und Sauerstoff der gleichen Goldenen Regel des Periodensystems”, sagt Laniel, der 2019 als Forschungsstipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an die Universität Bayreuth gekommen ist.

Internationale Kooperationen:

Als Forschungspartner der Universität Bayreuth haben neben dem Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg und der Advanced Photon Source (APS) in Illinois/USA auch die Goethe Universität Frankfurt am Main und das internationale Software-Unternehmen BIOVIA an der neuen Studie mitgewirkt.

Forschungsförderung:

Die Forschungsarbeiten an der Universität Bayreuth wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Alexander von Humboldt-Stiftung gefördert.

Dr. Dominique Laniel
Labor für Kristallographie
Universität Bayreuth
Dominique.Laniel@uni-bayreuth.de

Prof. Dr. Leonid Dubrovinsky
Bayerisches Geoinstitut (BGI)
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)92155 -3736 oder -3707
Leonid.Dubrovinsky@uni-bayreuth.de

Prof. Dr. Natalia Dubrovinskaia
Labor für Kristallographie
Universität Bayreuth
Telefon: +49 (0)92155 -3880 oder -3881
Natalia.Dubrovinskaia@uni-bayreuth.de

Dominique Laniel et al.: High-pressure polymeric nitrogen allotrope with the black phosphorus structure. Physical Review Letters (2020), DOI: https://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.124.216001

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Christian Wißler Universität Bayreuth

Weitere Informationen:

http://www.uni-bayreuth.de/

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