Material mit Formgedächtnis hilft bei Herzfehlern

Ein Loch in der Herzscheidewand gehört zu den häufigsten angeborenen Herzfehlern. Mittlerweile hat sich mit der minimalinvasiven Behandlung ein sehr schonender Eingriff etabliert, bei dem das Loch im Gewebe mit einem Doppelschirmchen, dem sogenannten Okkluder, verschlossen wird. Über einen Katheter wird dieser durch eine Vene oder Arterie bis an die entsprechende Stelle im Herzen geschoben, um dort schließlich seine ursprüngliche Form zu entfalten und die Lücke zu schließen.

Dort muss der Okkluder enormen Leistungen standhalten, immerhin pumpt das Herz in jeder Minute etwa fünf Liter Blut durch den Körper – ein Leben lang. Das stellt hohe Ansprüche an das Material. Als besonders geeignet haben sich Titan-Nickel-Legierungen erwiesen. „Zusammen mit der guten Biokompatibilität sind ihre superelastischen Eigenschaften die ideale Voraussetzung für den Einsatz als Implantatmaterial“, sagt Prof. Dr. Markus Rettenmayr von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bei allen Vorteilen – einen Haken hatte ihr Einsatz bislang jedoch: Wie ist es möglich, nickelhaltige Werkstoffe im Körperinneren zu verwenden, gleichzeitig jedoch die bei Kontakt mit menschlichem Gewebe häufig auftretenden allergischen Reaktionen des Patienten zu unterbinden?

Zum Verständnis dieses kontrovers behandelten und viel diskutierten Problems haben die Jenaer Materialwissenschaftler um Prof. Rettenmayr jetzt entscheidend beigetragen. Sie optimierten die Implantatoberfläche so, dass Nickel nicht nach außen dringen kann. „Die Oberfläche des Okkluders ist mit Titanoxid überzogen“, erklärt Mitarbeiter Andreas Undisz. Dadurch wird der Kontakt des Nickels mit dem umliegenden Gewebe normalerweise verhindert. Die elastische Verformung während der Implantation und die hohe Beanspruchung im schlagenden Herzen können jedoch, so Undisz, zu Rissen und Abplatzungen der äußeren Schicht führen. Damit würde auch das Risiko einer Nickelfreisetzung steigen.

Im Rahmen seiner Doktorarbeit untersuchte Andreas Undisz die Mechanismen, welche zu den Schäden in der Schutzschicht führen. Außerdem entwickelte er erstmals ein Verfahren, mit dem man die mechanische Stabilität der Titanoxidschicht optimieren kann. Das gelang dem Jenaer Materialwissenschaftler mit gezielter Wärmebehandlung und elektro-chemischen Reaktionen. Seine Ergebnisse werden demnächst in der renommierten Fachzeitschrift „Journal of Biomedical Materials Research“ veröffentlicht, die sich derzeit im Druck befindet.

Nachdem die Wissenschaftler von der Universität Jena das Material des Okkluders für den medizinischen Einsatz optimiert hatten, unterstützten sie die Jenaer Herstellerfirma auch beim Zulassungsverfahren: Dafür hat Prof. Rettenmayr mit seinen Mitarbeitern ein Testgerät zur Charakterisierung des Ermüdungsverhaltens der Okkluder entwickelt. „Wir können mit dem Gerät die Belastungen und Verformungen eines implantierten Okkluders nachstellen“, erläutert der Jenaer Professor für Metallische Werkstoffe. Die Wissenschaftler können mit ihrem Gerät gleichzeitig 16 Implantate in einem Durchgang prüfen – das dauert etwa sieben Wochen. Der Grund: Zehn Millionen Mal am Stück simuliert das Gerät den Herzschlag. „Hält ein Implantat das durch, gilt es als dauerfest“, so Rettenmayr. Der Jenaer Experte plant jetzt Untersuchungen mit noch höheren Belastungen. „Ein Herz schlägt in einem Jahr etwa 40 Millionen Mal. Das Implantat sollte im Idealfall viele Jahrzehnte unbeschadet überdauern“, so Rettenmayr. Sein langfristiges Ziel es ist, das Implantatmaterial für den lebenslangen Einsatz verlässlich zu machen.

Schon jetzt ist die Jenaer Occlutech GmbH, die die Implantate produziert, mit ihrem Produkt ein führender Hersteller auf dem europäischen Markt. Prof. Rettenmayr ist sich sicher, dass die kleinen Jenaer Doppelschirmchen, an deren Optimierung seine Arbeitsgruppe maßgeblich beteiligt war, genauso schnell auch den Weltmarkt erobern werden. „Sie bestehen“, so Rettenmayr, „einfach aus dem besten Material.“

Auch auf der 42. Metallographie-Tagung, die vom 17. bis 19. September an der Universität Jena stattfindet, werden die Jenaer Materialwissenschaftler ihre aktuellen Forschungsergebnisse einem breiten Fachpublikum vorstellen.

Kontakt:
Prof. Dr. Markus Rettenmayr / Andreas Undisz
Institut für Materialwissenschaft und Werkstofftechnologie der Universität Jena
Löbdergraben 32, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 947791
E-Mail: m.rettenmayr[at]uni-jena.de

Media Contact

Manuela Heberer idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-jena.de

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

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