Künstliche Herzklappen: Neues Beschichtungsverfahren könnte Thromboserisiko senken

Als Vorarbeit werden unterschiedlich große Keramik- und Metallpartikel auf einen Kunststoff aufgebracht. © Julia Siekmann, CAU

Herzklappen regulieren den Blutfluss, um den Körper mit ausreichend Blut zu versorgen. Schließen sie nicht mehr richtig, zum Beispiel aufgrund eines Herzinfarkts, sorgen künstliche Herzklappen für die nötige Leistungsfähigkeit. Doch auf der Metalloberfläche von herkömmlichen Ersatz-Herzklappen setzen sich leicht Blutplättchen fest.

Um die Bildung von Blutgerinnseln zu verhindern, müssen Patientinnen und Patienten daher lebenslang Medikamente nehmen. Bestimmte blutabweisende Kunststoffe könnten ein Alternativmaterial sein. Sie waren für den Einsatz als Herzklappe aber bislang zu weich.

Einem Forschungsteam des Instituts für Materialwissenschaften der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) ist es jetzt in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck, gelungen, einen weichen, blutabweisenden Kunststoff mit einem stabilen Kunststoff zu kombinieren.

Zukünftig könnte die Kombination für biomedizinische Implantate wie künstliche Herzklappen genutzt werden, ist das Team überzeugt. Wie sich mit dem rein mechanischen Verfahren schwer haftende Kunststoffe erstmals dauerhaft miteinander verbinden lassen, stellt das Forschungsteam im Fachmagazin Nanoscale Horizons vor.

Komplexe medizinische Anwendungen verlangen häufig Materialien, die gleichzeitig sehr unterschiedliche oder sogar gegensätzliche Eigenschaften erfüllen. Häufig lassen sich diese Werkstoffe deshalb aber auch nur schwer miteinander verbinden, wie zum Beispiel sogenannte niederenergetische Kunststoffe.

Aufgrund ihrer geringen Oberflächenenergie haftet kaum etwas auf ihnen. Bisherige, chemische Verbindungsmethoden verändern Materialoberflächen chemisch oder zerstören sie sogar ganz – für biomedizinische Anwendungen sind sie daher häufig nicht geeignet. 

Blutabweisende Eigenschaften von niedrigenergetischen Kunststoffen nutzbar machen

Mit einem rein mechanischen Verfahren ist es jetzt dem Forschungsteam der CAU gelungen, den weichen Kunststoff PDMS (Polydimethylsiloxan) mit dem hochstabilen Kunststoff PEEK (Polyetheretherketon) zu verbinden.

„Durch eine verhältnismäßig einfache Beschichtungsmethode konnten wir ein Polymerkomposit herstellen, das die Eigenschaften der beiden Stoffe in idealer Weise kombiniert“, erläutert Leonard Siebert, der in der Arbeitsgruppe „Funktionale Nanomaterialien“ an der CAU promoviert. Dabei werden die Oberflächen der beiden Materialien mechanisch ineinander verhakt.

Durch diese Verbindung wurde der blutabweisende Kunststoff PDMS robust genug, um auch starken Druckbelastungen standzuhalten, wie denen einer sich ständig öffnenden und schließenden Herzklappe.

Erste Labortests an der Klinik für Herz- und thorakale Gefäßchirurgie des UKSH, Campus Lübeck, bestätigten, dass auf dem neuen Kompositmaterial deutlich weniger Blutplättchen anhaften als auf herkömmlichen Materialien wie Titan oder diamantähnlichen Kohlenstoffschichten, die bereits für künstliche Herzklappen genutzt werden.

„Kunststoffe, die gleichzeitig flexibel und robust sind, könnten besonders interessant sein für sogenannte Transkathederklappen. Sie werden durch eine schonende, minimalinvasive Methode ohne Operation in den Körper eingeführt und müssen daher besonderen Materialanforderungen genügen“, unterstreicht Professor Hans-Hinrich Sievers, UKSH, die Bedeutung, die das neue Verfahren für medizinische Anwendungen haben könnte. 

Mechanisches Verbindungsverfahren ohne Chemie

Um die beiden Kunststoffe PDMS und PEEK zu verbinden, machten sich die Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler den Kapillareffekt zunutze. Hierbei steigen Flüssigkeiten in engen Röhren oder Hohlräumen nach oben auf. Das Forschungsteam bestreute die glatte Oberfläche des PEEK-Polymers mit einem Puder aus herkömmlichen Keramikpartikeln verschiedener Größen.

Durch Erwärmen saugten die Partikel den Kunststoff geradezu auf und verschmolzen zu einer extrem rauen Struktur voller Hohlräume. Anschließend gaben die Forschenden flüssiges PDMS auf die „zerklüftete“ Oberfläche, das tief in die entstandenen Hohlräume eindrang.

„Das Entscheidende an unserer mechanischen Methode ist die unterschiedliche Größe der Partikel auf der Nano- und Mikroskala. So kann sich auch aus normalen runden Teilchen eine Hakenstruktur aufbauen, in die sich der weiche Kunststoff passgenau einfügen kann.

In getrocknetem Zustand ist er damit fest verankert“, fasst Materialwissenschaftler Siebert die als „mechanisches Interlocking“ bezeichnete Methode zusammen. Damit erzielte das Forschungsteam eine wesentlich höhere Haftung als bei anderen Methoden, bei denen sich die Kunststoffe bereits nach geringer Belastung wieder voneinander lösten.  

Neue Fügemethoden für Metalle und Kunststoffe

In der Arbeitsgruppe „Funktionale Nanomaterialien“ der CAU wird schon lange an Möglichkeiten geforscht, Kunststoffe und Metalle auf Nanoebene dauerhaft miteinander zu verbinden, ohne herkömmliche Schweiß-, Klebe- oder chemische Verfahren der Fügetechnik zu nutzen. „Zuerst hatten wir entdeckt, wie sich über ein ähnliches Prinzip Metalle und Kunststoffe mit mikroskopischen Widerhaken miteinander verbinden lassen“, erläutert Leiter Professor Rainer Adelung.

„Durch die Weiterentwicklung des Verfahrens unter Verwendung von Pulverpartikeln können wir jetzt auch aus Kunststoffen ganz neue Kompositmaterialien mit innovativen Eigenschaften effektiv herstellen.“ Noch ist das allerdings Grundlagenforschung. In einem nächsten Schritt soll – ebenfalls wieder in einem interdisziplinären Zusammenschluss aus der Materialwissenschaft und der Medizin – die Implantation von beschichteten Transkathederklappen näher erforscht werden.

Die Arbeit entstand unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Graduiertenkolleg 2154 „Materials for Brain“ der CAU. Hier forschen rund 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Materialwissenschaft und Medizin an der Entwicklung neuer Materialien für medizinische Neuroimplantate, zum Beispiel für Gehirnerkrankungen.

Originalpublikation:
Perfect polymer interlocking by spherical particles: capillary force shapes hierarchical composite undercuts, Leonard Siebert, Tim Schaller, Fabian Schütt, Sören Kaps, Jürgen Carstensen, Sindu Shree, Jörg Bahr, Yogendra Kumar Mishra, Hans-Hinrich Sievers and Rainer Adelung DOI: 10.1039/C9NH00083F Nanoscale Horizons, 2019, 4, 947-952

Bildmaterial steht zum Download bereit:
www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/237-Herzklappe-1.jpg
Bildunterschrift: Materialwissenschaftler Leonard Siebert hat eine Methode entwickelt, um nicht haftende Kunststoffe auf mechanische Art dauerhaft miteinander zu verbinden.
© Julia Siekmann, CAU

www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/237-Herzklappe-2.jpg
Bildunterschrift: Als Vorarbeit werden unterschiedlich große Keramik- und Metallpartikel auf einen Kunststoff aufgebracht.
© Julia Siekmann, CAU

www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/237-Herzklappe-3.png
Bildunterschrift: Unter dem Rasterelektronenmikroskop werden die Hohlräume auf der Kunststoffoberfläche sichtbar, in denen ein zweiter Kunststoff sich verhaken kann.
© Leonard Siebert

www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2019/237-Herzklappe-4.jpg
Bildunterschrift: Durch Erhitzen verschmelzen die Nano- und Mikropartikel. In den entstandenen Zwischenräumen verhakt sich der flüssige, weiche Kunststoff (PDMS), ganz ohne Klebstoff. 
© bearb., Nanoscale Horizons

Kontakt:
Prof. Dr. Rainer Adelung
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Arbeitsgruppe Funktionale Nanomaterialien
Telefon: +49 431 880-6116
E-Mail: ra@tf.uni-kiel.de
Web: www.tf.uni-kiel.de/matwis/fnano/de

Leonard Siebert
Telefon: +49 431 880-6183
E-Mail: lesi@tf.uni-kiel.de

Prof. Dr. Hans-Hinrich Sievers
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
E-Mail: hanshsievers@googlemail.com

Julia Siekmann
Wissenschaftskommunikation
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Forschungsschwerpunkt Kiel Nano, Surface and Interface Science (KiNSIS)
Telefon: 0431/880-4855
E-Mail: jsiekmann@uv.uni-kiel.de
Web: www.kinsis.uni-kiel.de

Weitere Informationen:
www.grk2154.uni-kiel.de

Details, die nur Millionstel Millimeter groß sind: Damit beschäftigt sich der Forschungsschwerpunkt »Nanowissenschaften und Oberflächenforschung« (Kiel Nano, Surface and Interface Science – KiNSIS) an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). Im Nanokosmos herrschen andere, nämlich quantenphysikalische, Gesetze als in der makroskopischen Welt. Durch eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften und Life Sciences zielt der Schwerpunkt darauf ab, die Systeme in dieser Dimension zu verstehen und die Erkenntnisse anwendungsbezogen umzusetzen. Molekulare Maschinen, neuartige Sensoren, bionische Materialien, Quantencomputer, fortschrittliche Therapien und vieles mehr können daraus entstehen. Mehr Informationen auf www.kinsis.uni-kiel.de

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104, Telefax: (0431) 880-1355

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Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

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