Gelatine statt Unterarm

Das Hautmodell der Empa: Gelatine auf einem Substrat aus Baumwolle Empa

Der Feuchtigkeitshaushalt der menschlichen Haut ist ein komplexes System. Feuchtigkeitszugabe strafft sie und verändert ihre Eigenschaften. Das lässt sich beispielsweise bei Handwerksarbeiten beobachten: Ein leichter Schweissfilm hilft, Hammer oder Schraubenzieher besser zu greifen; übermässiges Schwitzen lässt die Werkzeuge allerdings abrutschen.

Durch die Feuchtigkeit schwillt die obere Schicht der Haut (Stratum corneum) auf und bietet somit eine grössere Kontaktfläche, was mehr Halt ermöglicht. Zu viel Feuchtigkeit kann aber auch negative Auswirkungen haben. Das Resultat: Blasen an Füssen oder Händen, Reizungen oder Ausschläge. Vor allem in Zusammenhang mit Textilien, die unsere Haut bedecken, sind solche Reaktionen häufig und dementsprechend unerwünscht.

Um das Wechselspiel zwischen Haut und Textilien zu testen, wurden bislang Probanden aufgeboten und gebeten, ihren Unterarm beispielsweise gegen den zu untersuchenden Stoff zu reiben. So konnte eruiert werden, wie die Haut darauf reagiert. Das ist aufwändig, teilweise schmerzhaft und für die Probanden natürlich mit einem gewissen Risiko verbunden.

Auch reagieren Textilien unterschiedlich auf die Feuchtigkeit der Hautoberfläche. Leichtes Schwitzen beim Spazieren, starkes Schwitzen bei Ausdauersport oder das nach Hause rennen bei einem sintflutartigen Sommerregen: Alles hat Einfluss.

Pre-Tests am Modell anstatt am Menschen

In Zukunft wird es nicht mehr nötig sein, dass sich Probanden an einem T-Shirt reiben. Die Empa-Forscherin Agnieszka Dabrowska hat ein Hautmodell entwickelt, das die Eigenschaften von menschlicher Haut exakt simulieren kann und das Reibungsverhalten gängiger Textilien im trockenen, feuchten und nassen Zustand nachstellt.

Und das mit denselben Resultaten wie die menschliche Haut. Das Modell kann künftig eingesetzt werden, um bei der Entwicklung von Textilien zu helfen, die direkt mit menschlicher Haut in Berührung kommen. Dabei verändert das Modell seine Eigenschaften exakt in der Weise wie echte menschliche Haut und kann so erste Erkenntnisse liefern, ohne Menschen dem Risiko auszusetzen, sich zu verletzen oder Schäden davon zu tragen.

Auch verändert sich die Oberfläche des Hautmodells genau wie echter Haut: Sie dehnt sich beim Kontakt mit Wasser aus und wird somit straffer. Natürlich wird ein «Test aufs Exempel» mit echter Haut im späteren Verlauf der Textilentwicklung trotzdem nötig, aber erste untaugliche Textilien lassen sich so günstig, risikofrei und ohne viel Aufwand bereits frühzeitig aussortieren.

Das Gummibärchen macht es vor

Grundlage des Modells ist herkömmliche Gelatine, die Agnieszka Dabrowska auf eine Lage Baumwolle bettet. Normale Gelatine löst sich allerdings beim Kontakt mit Wasser auf. Um das zu verhindern, bearbeitet Dabrowska die Gelatine und umhüllt sie mit einer Art Gitter, das die Moleküle zusammenhält und so ein Auflösen verhindert.

Das passiert durch einen so genannten cross-link, bei dem Polymerketten chemisch miteinander verbunden werden, um die physikalischen Eigenschaften zu verändern. «Zuerst wollte ich mit Keratin arbeiten», so Dabrowska. Keratin ist ein wasserunlösliches Faserprotein der Haut. Das Produkt ist allerdings äusserst teuer.

«Gelatine hat ähnliche Eigenschaften wie Keratin, ist aber deutlich billiger», sagt Dabrowska. «Es gibt auch Forscher, die beispielsweise Versuche mit Gummibärchen gemacht haben.» Auch sie dehnen sich beim Kontakt mit Wasser aus – genau wie die menschliche Haut. Das Modell aus Gelatine kostet nur wenige Schweizer Franken im Vergleich zu einem Modell aus Keratin, das schnell in die paar Tausend Franken gehen kann.

Empa-Forscherin Dabrowska geht allerdings noch einen Schritt weiter: Zurzeit hängt das Modell zur Befeuchtung noch an Kabeln und Schläuchen, das soll sich bald ändern. Ihr Team möchte die künstliche Haut aus eigenen Poren schwitzen lassen, um der Realität noch ein Stück näher zu kommen.

http://www.empa.ch/web/s604/skin-model

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