Ein Herz aus Spinnenseide

Spinnenseide ist der Schlüssel zur Wiederherstellung von geschädigtem Herzgewebe. Foto: UBT

Rund 1,8 Millionen Menschen leiden laut deutscher Herzstiftung e.V. in Deutschland unter einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz). Ursache ist meist der irreversible Verlust von Herzmuskelzellen durch Herzerkrankungen, zum Beispiel einen Herzinfarkt. Zurzeit gibt es keine Therapie, die einen solchen Schaden an den Zellen umkehren kann.

Einen vielversprechenden Weg haben die Forscher der Universität Bayreuth um Prof. Dr. Thomas Scheibel (Biofabrikation) zusammen mit Kollegen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg um Prof. Dr. Felix Engel (Experimentelle Nieren- und Kreislaufforschung) eingeschlagen:

Sie entwickeln Herzmuskelgewebe aus Spinnenseide. Ihre Entdeckung, dass sich solch ein künstlich im Labor entwickeltes Seidenprotein für die Produktion von Herzgewebe eignet, haben sie jetzt in der Zeitschrift ‚Advanced Functional Materials‘ veröffentlicht.

Der Schlüssel zu künstlichem Herzgewebe ist aus Sicht der Forscher Seide – oder vielmehr die Proteine, die der Seide ihre Struktur und mechanische Festigkeit verleihen: Fibroine. Prof. Dr. Felix Engel aus der Nephropathologischen Abteilung des Universitätsklinikums der FAU hat gezeigt, dass sich die Seide des Indischen Seidenspinners besonders gut als Gerüstmaterial eignet, um Herzgewebe herzustellen.

Bisher war es aber nicht möglich, das Protein in ausreichender Menge und gleichbleibender Qualität herzustellen. Da kommt die Universität Bayreuth ins Spiel: „Uns ist es gelungen, ein rekombiniertes Seidenprotein der Gartenkreuzspinne in größeren Mengen und bei gleichbleibender hoher Qualität zu produzieren“, sagt Prof. Dr. Thomas Scheibel, Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth.

Spinnenseide eignet sich hervorragend als Material für Biotinte, mit der gewebeähnliche Strukturen im dreidimensionalen Druck hergestellt werden können. Die dabei verwendeten lebenden Zellen von Menschen oder Tieren bleiben in der Regel funktionstüchtig. Deshalb haben sich die beiden  Forscher zusammengetan und die Proteine der Kreuzspinnenseide mit ihren Teams weiter untersucht.

Jana Petzold aus dem Erlanger Team und Tamara Aigner aus der Bayreuther Arbeitsgruppe haben erforscht, wie sich das im Labor konstruierte Seidenprotein eADF4(κ16) für die Herstellung von Herzgewebe nutzen lässt. Hierfür brachten sie einen dünnen Film des Seidenproteins auf einen Glasträger auf, worauf wiederum andere Zellen (Bindegewebszellen oder Blutgefäßzellen) platziert wurden.

Besonderes Augenmerk legten sie bei ihrer Untersuchung auf die Funktion der Herzmuskelzellen: So konnten die Wissenschaftlerinnen nachweisen, dass die für die Hypertrophie (also die Vergrößerung von Herzmuskelzellen zum Beispiel bei Sportlern oder Schwangeren) verantwortlichen Faktoren auch zu einem Volumenwachstum bei den Herzmuskelzellen führen, die auf eADF4(κ16)-Film gezüchtet worden waren.

Die Arbeit der Erlanger und Bayreuther Wissenschaftler sowie die Möglichkeiten, künstliche Seidenproteine im 3D-Verfahren zu drucken, sind somit die ersten Schritte in Richtung künftiger Verfahren zur Produktion funktionellen Herzgewebes. Prof Dr. Thomas Scheibel ist daher optimistisch: „Funktionierendes Herzgewebe kann sehr bald künstlich hergestellt werden. Die Frage ist nun, wann und wie dies in der Klinik ankommt.“

Publikation:

‘Surface features of recombinant spider silk protein eADF4(κ16)-made materials are well-suited for cardiac tissue engineering’ veröffentlicht in der Zeitschrift Advanced Functional Materials (DOI: 10.1002/adfm.201701427).

Kontakt:

Prof. Dr. Thomas Scheibel
Lehrstuhl Biomaterialien
Fakultät für Ingenieurwissenschaften (ING.) der Universität Bayreuth
Tel.: 0921 – 55 7360
E-Mail: thomas.scheibel@uni-bayreuth.de

Prof. Dr. Felix Engel
Experimentelle Nieren- und Kreislaufforschung
Pathologisches Institut der Universität Erlangen-Nürnberg
Tel.: 09131 – 85 25699
E-Mail:felix.engel@fau.de

Media Contact

Christian Wißler Universität Bayreuth

Weitere Informationen:

http://www.uni-bayreuth.de/

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Immunzellen in den Startlöchern: „Allzeit bereit“ ist harte Arbeit

Wenn Krankheitserreger in den Körper eindringen, muss das Immunsystem sofort reagieren und eine Infektion verhindern oder eindämmen. Doch wie halten sich unsere Abwehrzellen bereit, wenn kein Angreifer in Sicht ist?…

Durchbruch bei CRISPR/Cas

Optimierte Genschere erlaubt den stabilen Einbau von großen Genen. Großer Fortschritt an der CRISPR-Front. Wissenschaftlern des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie (IPB) ist es erstmals gelungen, sehr effizient große Gen-Abschnitte stabil und…

Rittal TX Colo: Das neue Rack für Colocation Data Center

Rittal TX Colo: Flexibel, skalierbar und zukunftssicher Mit der zunehmenden Digitalisierung und künftig auch immer mehr KI-Anwendungen steigt der Bedarf an Rechenleistung signifikant – und damit boomt der Colocation-Markt. Unternehmen…

Partner & Förderer