Dank neuer Erkenntnisse bald Supraleitung bei Raumtemperatur?

Abbildung einer Zirkonium-Vanadium-Hydrid-Atomstruktur: Das Atomgitter besteht aus Vanadium- (blau) und Zirkoniumatomen (grün), die Wasserstoffatome (rot) einschliessen. Jill Hemman / Oak Ridge National Laboratory, US Dept of Energy

Die Wissenschaftler führten im «Oak Ridge National Laboratory» (ORNL) im US-Bundesstaat Tennessee Neutronenstreuexperimente an Zirkonium-Vanadium-Hydrid bei atmosphärischem Druck und bei Temperaturen von bis zu -23 Grad Celsius durch.

Die Messungen ergaben überraschend kleine Wasserstoff-Wasserstoff-Atomabständen, die nur 1,6 Angström (weniger als ein Millionstel Millimeter) betragen, im Vergleich zu 2,1 Angström, die für diese Metallhydride gemäss Theorie vorausgesagt werden, wie die Forscher in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences» (PNAS) berichten.

Die ungewöhnlich kleinen Atomabstände sind bemerkenswert und vielversprechend, da der in den Metallen enthaltene Wasserstoff ihre elektronischen Eigenschaften beeinflusst. Andere Materialinen mit ähnlicher Wasserstoff-Anordung zeigen bereits supraleitende Eigenschaften, jedoch nur bei extrem hohen Drücken. Dem Forschungsteam gehörten Wissenschaftler der Empa, der Universität Zürich, der Polnischen Akademie der Wissenschaften, der «University of Illinois» in Chicago und des ORNL an.

«Einige der vielversprechendsten Hochtemperatur-Supraleiter wie Lanthandecahydrid werden bei etwa -20 Grad Celsius supraleitend, bilden sich jedoch leider erst bei einem Druck von 1,6 Millionen Atmosphären», sagte Rus Hemley von der «University of Illinois» in Chicago.

«Jahrzehntelang bestand der 'heilige Gral' für Wissenschaftler darin, ein Material zu finden, das bei Umgebungstemperatur und -druck supraleitend ist, so dass Ingenieure es in konventionelle elektrische Systeme und Geräte einbauen können.»

Simulationsrechnung mit einem Supercomputer

Das internationale Team benutzte hochauflösende unelastische Neutronenspektroskopie zur Untersuchung der Wasserstoffwechselwirkungen im Metallhydrid. Das resultierende spektrale Signal, einschliesslich eines markanten Peaks bei etwa 50 Millielektronenvolt, stimmte jedoch nicht mit den Vorhersagen der Modelle überein. Der Durchbruch zum Verständnis der ungewöhnlichen Ergebnisse kam, nachdem das Team die Supercomputer am ORNL für Simulationsrechnungen benutzte.

Diese Computersimulationen sowie weitere Experimente, die alternative Erklärungen ausschlossen, bewiesen, dass die unerwartete spektrale Intensität nur dann auftritt, wenn die Abstände zwischen den Wasserstoffatomen kleiner als 2 Angström sind – was in einem Metallhydrid bei Umgebungsdruck und -temperatur noch nie beobachtet worden war.

Der ermittelte Abstand von 1,6 Angström ist die erste bekannte Ausnahme vom sogenannten Switendick-Kriterium in einer bimetallischen Legierung – ein Prinzip, das für stabile Hydride bei Umgebungstemperatur und -druck gilt, wobei der Wasserstoff-Wasserstoff-Abstand nie weniger als 2,1 Angström beträgt.

«Eine wichtige Frage ist nun, ob der von uns beobachtete Effekt speziell auf Zirkonium-Vanadium-Hydrid beschränkt ist oder nicht», sagt Andreas Borgschulte von der Empa-Abteilung «Advanced Analytical Technologies». «Wenn wir theoretische Berechnungen des Materials unter Einhaltung des Switendick-Limits durchführen, können wir den charakteristischen Peak in den Spektren nicht verifizieren. Dies führte uns zu der Schlussfolgerung, dass zumindest in Vanadiumhydrid Wasserstoff-Wasserstoff-Paare mit Abständen unter 2,1 Angström auftreten.»

In künftigen Experimenten planen die Forscher, Zirkonium-Vanadium-Hydrid bei verschiedenen Drücken mehr Wasserstoff zuzusetzen, um zu bestimmen, wieviel Wasserstoff die Legierung in ihrem Gitter speichern kann. Das Projekt wurde vom US-Energieministerium, dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und dem Nationalen Zentrum für Forschung und Entwicklung in Warschau unterstützt.

PD Dr. Andreas Borgschulte
Advanced Analytical Technologies
Tel. +41 58 765 46 39
andreas.borgschulte@empa.ch

A Borgschulte, J Terreni, E Billeter, L Daemen, Y Cheng, A Pandey, Z Łodziana, RJ Hemley, AJ Ramirez-Cuesta; Inelastic neutron scattering evidence for anomalous H-H distances in metal hydrides; PNAS (2019); doi: xxxxx xxxxxx — https://www.pnas.org/content/early/recent

https://www.empa.ch/web/s604/hydrogen_density

Media Contact

Rainer Klose Empa - Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Neues topologisches Metamaterial

… verstärkt Schallwellen exponentiell. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am niederländischen Forschungsinstitut AMOLF haben in einer internationalen Kollaboration ein neuartiges Metamaterial entwickelt, durch das sich Schallwellen auf völlig neue Art und Weise…

Astronomen entdecken starke Magnetfelder

… am Rand des zentralen schwarzen Lochs der Milchstraße. Ein neues Bild des Event Horizon Telescope (EHT) hat starke und geordnete Magnetfelder aufgespürt, die vom Rand des supermassereichen schwarzen Lochs…

Faktor für die Gehirnexpansion beim Menschen

Was unterscheidet uns Menschen von anderen Lebewesen? Der Schlüssel liegt im Neokortex, der äußeren Schicht des Gehirns. Diese Gehirnregion ermöglicht uns abstraktes Denken, Kunst und komplexe Sprache. Ein internationales Forschungsteam…

Partner & Förderer