Optimierter Tragekomfort von Chemikalienschutzanzügen

Der Tragekomfort von Chemikalienschutzanzügen, wie Sie von Streitkräften, Rettungsdiensten und in der Industrie getragen werden müssen, lässt sich mit Hilfe durchdachter Materialkombinationen ohne Einbußen bei der Schutzwirkung erheblich verbessern. Da der Tragekomfort entscheidend für die Akzeptanz der Schutzkleidung sowie die physische und psychische Leistungsfähigkeit des Trägers ist, sollte diesem Umstand künftig bei der Entwicklung verstärkt Rechnung getragen werden.

Ihm Rahmen eines Forschungsvorhabens (AiF-Nr. 13294 N) überprüften die Wissenschaftler des Bekleidungsphysiologischen Instituts Hohenstein e.V. (BPI) in Bönnigheim den thermophysiologischen und hautsensorischen Komfort von ABC-Schutzkleidung, Chemiewerkeranzügen, Einweganzügen und Aramidgeweben und erarbeiteten Empfehlungen für deren Optimierung.

Um ihren jeweiligen Einfluss auf den Tragekomfort zu quantifizieren, wurden die Textil- und Nahtkonstruktionen, die Ausrüstungen, der Einsatz von Aktivkohle, Laminaten oder Beschichtungen sowie die Schnittgestaltung gezielt verändert. Dabei wurde zwischen dem thermophysiologischem und hautsensorischem Komfort, der Luftdurchlässigkeit sowie den elektrostatischen Eigenschaften unterschieden. Die Quantifizierung der physiologischen Belastung des Trägers erfolgte anhand bekleidungsphysiologischer Vorhersagerechnungen, die auf den Ergebnissen von Laboruntersuchungen mit dem Hautmodell und der Gliederpuppe „Charlie“ einerseits sowie Trageversuchen mit Testpersonen andererseits basierten.

Allgemein gilt …

Die Untersuchungen ergaben, dass die Erhöhung der Schutzfunktion häufig eine Verschlechterung des Tragekomforts mit sich bringt. Grundsätzlich sollte deshalb vor der Auswahl von Chemikalienschutzanzügen die tatsächlich benötigte Schutzwirkung klar definiert und beim Entscheidungsprozess zugrunde gelegt werden. Eine signifikante Verschlechterung des thermophysiologischen und hautsensorischen Tragekomforts bringt die Hydrophobierung, d. h. wasserabweisende Ausrüstung, der Schutztextilien mit sich. Der Einsatz von Laminaten ist deshalb im Hinblick auf das Feuchtemanagement am Körper häufig eine interessante Alternative. Eine Vielzahl der untersuchten Materialien neigten zu elektrostatischen Aufladungen, die zu gravierenden Problemen in der praktischen Anwendung sorgen können.

ABC-Schutzkleidung

Bei ABC-Schutzkleidung bestimmen sowohl das Filtermaterial wie auch der Oberstoff den Tragekomfort. Die eingesetzte Aktivkohle kann dabei erhebliche Mengen an Feuchtigkeit aus dem Körperschweiss aufnehmen und wirkt sich somit physiologisch günstig aus. Dennoch ist eine niedrigere Aktivkohlebeladung des Materials für den Tragekomfort insgesamt vorteilhafter, da in diesem Fall die geringere Dicke zu einem besseren Wasserdampftransport führt. Da die Filtermaterialien darüber hinaus bisher sehr steif sind, können zusätzlich Hautirritationen verursacht werden. Trägermaterialien aus Filamenten sind sehr glatt und können auf schweissnasser Haut „ankleben“, was vom Träger als sehr unangenehm empfunden wird. Konstruktionen aus Spinnfasern schneiden hier deutlich besser ab.

Chemiewerkeranzüge

Als Schutztextil für Chemiewerkeranzüge ist ein hochwertiges Laminat, z. B. mit PTFE-Membran, eine sinnvolle Alternative zu einem hydrophobierten Gewebe. Bezüglich der Schnittgestaltung zeigten die Untersuchungen der Hohensteiner Wissenschaftler messbare Vorteile für die Kombination aus Jacke und Bundhose oder Overall im Vergleich zu Jacke und Latzhose oder Jacke und Kittel. Allerdings wird der Tragekomfort in erster Linie vom eingesetzten Schutztextil bestimmt, die Schnittgestaltung kann hier nur noch letzte Akzente setzen.

Einweganzüge

PE-Spinnvliese schnitten bei der physiologischen Beurteilung von Einweganzügen insgesamt gut ab. SMS-Vliesstoffe boten hier aber noch zusätzliche Vorteile. Polymerbeschichtungen der PE-Spinnvliese wurden von den Hohensteiner Wissenschaftlern aufgrund der Wasserdampfundurchlässigkeit und Steifigkeit des Materials sowohl im Hinblick auf den thermophysiologischen wie auch den hautsensorischen Komfort als ungünstig beurteilt. Beispielhaft wurde bei den Einweganzügen der Einfluss der Nahtgestaltung auf den thermophysiologischen Tragekomfort untersucht. Dabei zeigte sich, dass weder eine 3-Faden-Überwendlichnaht noch eine heiss überklebte Naht komfortrelevante Parameter verändern.

Aramidgewebe

Thermofixierte Aramidgewebe weisen einen guten Tragekomfort auf, eine Hydrophobierung verschlechtert diesen aber wieder deutlich. Umgekehrt kann eine Hydrophilierung keine Komfortoptimierung bewirken, da die Aramidfasern bereits von der Grundstruktur her wasserliebend sind. Die elektrostatischen Eigenschaften lassen sich aber durch eine zusätzliche Hydrophilierung wesentlich verbessern. Die Forschungsergebnisse zeigen einen tendenziellen physiologischen Vorteil einer Köperkonstruktion gegenüber einer Leinwandbindung. Da dieser aber zu klein ist, um vom Träger wahrgenommen zu werden, kommen die Hohensteiner Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Ausrüstung für den Tragekomfort wesentlicher ist als die Gewebebindung. Um vom Träger nicht als auf der Haut „klebend“ empfunden zu werden, sollten Filamentkonstruktionen grundsätzlich auf der Innenseite aufgerauht oder durch Spinnfasern ersetzt werden.

Danksagung

Wir danken dem Forschungskuratorium Textil e. V. für die finanzielle Förderung des Forschungsvorhabens AiF-Nr. 13294 N, die aus Haushaltsmitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) über die Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen „Otto-von-Guericke“ e. V. (AiF) erfolgte.

Der ausführliche Forschungsbericht kann beim Bekleidungsphysiologischen Institut Hohenstein unter der Telefonnummer +49 7143 271-632 oder Mail an s.off@hohenstein.de zum Preis von 80 Euro angefordert werden.

Tragekomfort ist meßbar

Mit dem physiologischen Tragekomfort ist die Fähigkeit eines Kleidungsstückes gemeint, die physiologischen Vorgänge im Körper, und hier besonders die Temperaturregelung in Abhängigkeit vom Umgebungsklima und der Tätigkeit, zu unterstützen. Die Hohensteiner Wissenschaftler untersuchen Textilien mit Hilfe eines Hautmodells, der Gliederpuppe Charlie und Trageversuchen mit Testpersonen im Hinblick auf verschiedene Textilkenngrößen, die jeweils eine bestimmte Materialeigenschaft darstellen. Aus diesen Werten kann der thermophysiologische Tragekomfort abgeleitet werden.

Der hautsensorische Tragekomfort umfasst alle Empfindungen, welche die Berührung von Textilien auf der Haut verursacht. Diese lassen sich durch standardisierte Untersuchungen im Labor nachstellen und auf Basis der jahrzehntelangen Erfahrungen der Hohensteiner Spezialisten auf das menschliche Empfinden übertragen.

Media Contact

Rose-Marie Riedl idw

Weitere Informationen:

http://www.hohenstein.de

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Nanofasern befreien Wasser von gefährlichen Farbstoffen

Farbstoffe, wie sie zum Beispiel in der Textilindustrie verwendet werden, sind ein großes Umweltproblem. An der TU Wien entwickelte man nun effiziente Filter dafür – mit Hilfe von Zellulose-Abfällen. Abfall…

Entscheidender Durchbruch für die Batterieproduktion

Energie speichern und nutzen mit innovativen Schwefelkathoden. HU-Forschungsteam entwickelt Grundlagen für nachhaltige Batterietechnologie. Elektromobilität und portable elektronische Geräte wie Laptop und Handy sind ohne die Verwendung von Lithium-Ionen-Batterien undenkbar. Das…

Wenn Immunzellen den Körper bewegungsunfähig machen

Weltweit erste Therapie der systemischen Sklerose mit einer onkologischen Immuntherapie am LMU Klinikum München. Es ist ein durchaus spektakulärer Fall: Nach einem mehrwöchigen Behandlungszyklus mit einem immuntherapeutischen Krebsmedikament hat ein…

Partner & Förderer