Frühe Metallurgen beschlagener als vermutet

Moderne Werkstoffwissenschaften vermitteln der Archäologie neue Erkenntnisse


Professor Rainer Telle beschäftigt sich in der Regel mit Hochleistungskeramiken. Der Inhaber des Lehrstuhls für Keramik und feuerfeste Werkstoffe im Institut für Gesteins-hüttenkunde der RWTH Aachen pflegt aber neben der anwendungsorientierten Entwicklungsarbeit für namhafte Unternehmen auch archäologische Forschungen. „Der Wandel vom Rohstoff zum Werkstoff hat mich schon immer fasziniert“, gibt der gelernte Mineraloge zu. Und diese Passion führte ihn zurück bis zu den ersten Verhüttungsprozessen der Menschheit ins dritte vorchristliche Jahrtausend. Welche Materialien wurden damals verwendet? Was wurde aus ihnen gefertigt? Bei welchen Temperaturen wurden die Gerätschaften gebrannt und wie lange haben sie gehalten? „Die Beantwortung dieser Fragen gibt Aufschluss über die gezielte frühzeitliche Rohstoffverwendung und den Produktionsprozess“, so Telle. „Damit halten die modernen Ingenieurwissenschaften verstärkten Einzug in die Archäologie.“

Die erste Verwendung feuerfester Werkstoffe lässt sich im jordanischen Fenan als der wohl frühesten Montanregion der Welt über vier Jahrtausende hinweg nachvollziehen. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bergbau-Museum Bochum konnten die Aachener Forscher dort wichtige Aufschlüsse über die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der vorzeitlichen Kupferschmelzer gewinnen. Dünnschliffe der archäologischen Funde, Untersuchungen im Rasterelektronenmikroskop und chemische Analysen ergaben, dass schon damals aus Mangel an natürlichen feuerfesten Rohstoffen keramische Verbundwerkstoffe hergestellt wurden. „Wir konnten nachweisen, dass für den Bau der Öfen spezielle vorgebrannte Komponenten verwendet wurden“, erklärt Professor Telle. Dieses Material wurde in Form von sogenannten Ladyfingern – zigarrengroßen Tonstäben – in die Ofenwände eingebracht und somit mehrmals gebrannt. Dieser Prozess ist in der modernen Hochleistungskeramik als „Faserverstärkung“ bekannt. „Die ersten Metallurgen haben somit Verbundwerkstoffe als verstärkende Elemente bewusst eingesetzt, um die Ofenwände temperaturbeständiger und haltbarer zu machen“, resümiert Rainer Telle.

Im Rahmen von Forschungen an Funden in der Nähe des bekannten keltischen Fürstengrabes von Hochdorf bei Ludwigsburg ergaben sich in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel weitere Hinweise auf fortschrittliche Vorgehensweisen bei der Metallgewinnung. Es konnte nämlich festgestellt werden, dass bis zu 120 Kilometer entfernt vorhandene keramische Rohstoffe Verwendung fanden. „Wir gehen davon aus“, so Professor Telle, „dass der Metallurge des 6. Jahrhunderts vor Christus wertvolle Bestandteile für den Guss von Bronze mit sich führte. Er betätigt sich somit als wandernder Experte, der vermutlich ausgediente Teile auf seiner Wanderschaft einsammelte und dann in größerer Siedlungen in einem Recyclingverfahren zu neuen Bronzeteilen goss.“ Damit fanden die Wissenschaftler heutige Verfahren der Massenherstellung schon in der Hallstattzeit verbreitet.

Ein weiteres Beispiel für hochentwickelte Messingherstellung konnten die Forscher aus Aachen und vom Institut für Vor- und Frühgeschichte der Universität Bonn anhand von Tiegeln aus dem ältesten Militärlager am Nieder- und Mittelrhein, Novaesium bei Neuss, liefern. Die aus der Zeit des Kaisers Tiberius ( etwa 20 – 37 nach Christus) stammenden Tiegel lassen nach Einschätzung von Professor Telle eindeutig erkennen, dass das Messing im Zementationsprozess hergestellt wurde. Dazu wird stückiges Zinkerz mit Holzkohle und metallischem Kupfer in einem geschlossenen Tiegel erhitzt. Danach werden die gewonnenen Messingkörner erneut in einer verlorenen Form erschmolzen. „Dieser Prozess war bei den Römern gängige Technik“, beurteilt Professor Telle das Verfahren. „Leider ging dieses Wissen mit dem Untergang Roms verloren und wurde erst Tausend Jahre später wieder entdeckt.“

Die Forschungen belegen nach Ansicht des Aachener Werkstoffwissenschaftlers eindeutig, dass die Entwicklung feuerfester Materialien zielgerichteter erfolgte als bislang angenommen. „Hier ist noch eine Reihe von Untersuchungen erforderlich, die unsere Kenntnisse von der frühen Metallurgie maßgeblich erweitern und unter Umständen grundlegend revidieren werden.“ Entsprechende Forschungsanträge hat Professor Telle bereits formuliert. Toni Wimmer

Weitere Informationen erhalten Sie bei
Univ.-Prof. Dr. Rainer Telle
Lehrstuhl für Keramik und feuerfeste Werkstoffe
der Rheinisch-Westfälischen technischen Hochschule (RWTH) Aachen
Mauerstraße 5
52064 Aachen
Telefon 0241/80-94968
Fax 0241/80-92226
e-mail: telle@ghi.rwth-aachen.de

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Thomas von Salzen idw

Weitere Informationen:

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