Schiffe im "Strom-Mantel" gegen Seepocken

Rostocker Firmen testen Alternative zu giftigen Bewuchsschutzsanstrichen

Rostocker Wissenschaftler testen derzeit eine Alternative zu giftigen Schiffsanstrichen. Die Forscher umhüllen den Schiffsrumpf eines Marineschleppers mit einem schützenden, für unbeteiligte Organismen ungefährlichen „Strom-Mantel“. Das System könnte 2003, pünktlich zum weltweiten Verbot Tributylzinn(TBT)-haltiger Schiffsanstriche, in Serie gehen. Unterwasseranstriche sollen Seepocken, die binnen weniger Tage die Schiffsrümpfe mit einer zentimeterdicken Kruste überziehen und bei voller Fahrt die Wirkung eines Bremsklotzes haben, abhalten.

„Der Besiedlungsdruck unter Wasser ist enorm. Weltweit sind Larven und Sporen von rund 6000 Arten mariner Lebewesen auf der Suche nach einem Siedlungsplatz“, erklärt Stefan Sandrock vom privaten Forschungsinstitut Bioplan bei Rostock. Gemeinsam mit der Forscherin Eva-Maria Scharf entwickelte Sandrock eine Methode, den pH-Wert des Wassers unmittelbar am Schiffsrumpf ständig zu verändern. Den Lebewesen ist das „zu anstrengend“, sich ständig neuen Lebensbedingungen anzupassen. Sie halten sich deswegen von der Bordwand fern.

Schiffe bekommen nach der Rostocker Entwicklung eine fünffache Beschichtung, deren Herz eine leitfähige Graphitfolie ist. Diese graue, durchlöcherte Folie wird von einer äußerst robusten, ebenfalls leitfähigen Kunstharzschicht überdeckt. Wird über diese Oberfläche Gleichstrom geschickt, findet wenige Millimeter über der Schiffswand eine Elektrolyse, eine Zerlegung des Wassers statt. Je nach Stromrichtung pendelt der pH-Wert zwischen basisch und sauer. Da das Stromfeld aber sehr gering ist, sind außer der abschreckenden Wirkung für die Larven keine Folgeschäden bei den Organismen zu erwarten, berichtet ddp.

„Vorteil ist, dass der Bewuchsschutz nur bei Bedarf eingeschaltet werden kann“, erklärte Sandrock. Während der Fahrt finden Organismen wegen der Strömung sowieso keinen Halt an der Schiffswand. Auch im Winter braucht man in Nord- und Ostsee kein Antifouling. Das elektrische System steuert der Kapitän von der Brücke. Er schaltet den Strom für den Schiffsmantel an, wenn er im Hafen liegt. Giftanstriche dagegen geben ständig ihre unheilvollen Stoffe in das Meer ab, ob es nötig ist oder nicht.

Dass das pH-Antifouling System pHAS prinzipiell funktioniert, bewiesen Plattenversuche in der Nordsee und ein Langzeittest an einem Ponton in der Ostsee. Seit Juni wird nun erstmals ein Schiff mit der neuen Methode sauber gehalten. Ein in Rostock stationierter Schlepper der Marine wurde links und rechts des Kiels großflächig nach Vorschlägen der Biologen beschichtet. Nicht eine einzige Seepocke hat sich laut Forschern dort bisher angesiedelt. Zum Vergleich wurde am selben Unterboden auch eine kleine Stelle unbehandelt gelassen, der Rest des Schiffsrumpfes ist mit einer herkömmlichen Farbe gestrichen. Eineinhalb Jahre soll das Testschiff unter den Augen der Wissenschaftler im Routinebetrieb arbeiten.

Die Zeit braucht das Team, um die neue Methode dem Werftbetrieb anzupassen. Bei diesen praktischen Tests kooperiert Bioplan mit Rostocker Beschichtungsexperten, einer Firma im Korrosionsschutz, Energieberatern und mit Werften in Barth und Rostock. Der „Strom-Mantel“ für ein Schiff soll nicht wesentlich teurer sein als andere zinnfreie Antifouling-Systeme. Die entscheidende Graphitfolie ist handelsüblich und leicht klebbar.

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Sandra Standhartinger pte.online

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