Ypsilon aus Kohlenstoff


Am Berliner Max-Born-Institut haben Wissenschaftler erstmals Y-förmige einwandige Kohlenstoff-Nanoröhren nachgewiesen/ Mögliche Alternativen für die Elektronik der Zukunft

Erstmals konnten Wissenschaftler vom Berliner Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) das Wachstum von einwandigen Y-förmigen Nanoröhren mit Hilfe eines Rastertunnelmikroskops nachweisen. Die winzigen Kohlenstoffmoleküle haben einen Durchmesser von etwas mehr als einem Nanometer. Die einzelnen Zweige sind ein bis mehrere Mikrometer lang. Die Entdeckung der Y-Röhren könnte besonders für einen Einsatz in der Elektronik – als Schalter, in Transistoren oder zur Vernetzung von Bauteilen – von Bedeutung sein. Grundlage für den Nachweis der Kohlenstoff-Ypsilons ist die Entwicklung eines neuen Herstellungsverfahrens am MBI.

Noch vor 15 Jahren hatten Forscher geglaubt, in der Welt des Kohlenstoffs sei alles geklärt – sie hatten sich gründlich getäuscht. 1995 entdeckten Wissenschaftler eine neue Modifikation des Kohlenstoffs. Neben Diamant und Graphit stellten sie der staunenden Öffentlichkeit die so genannten Fullerene vor. Das sind Kohlenstoffmoleküle, die in der Form eines Fußballs aus Sechs- und Fünfecken aufgebaut sind. Die stabilsten von ihnen enthalten genau 60 Kohlenstoffatome und haben einen Durchmesser von rund einem Nanometer. Ihre Entdecker, Robert F. Curl, Harold W. Kroto und Richard E. Smalley, wurden im Jahre 1996 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.

Winzige Hohlzylinder, vielfältige Anwendungen

1991, nur wenige Jahre nach der Entdeckung der Fullerene, fand der japanische Wissenschaftler Sumio Iijima die so genannten Nanoröhren. Hier bilden die Kohlenstoffatome winzige langgestreckte Hohlzylinder. Sie bestehen aus einem Gerüst von Kohlenstoff-Sechsecken – etwa so, als würde man eine Graphitschicht zusammenrollen. Nanoröhren können Längen bis zu 100 Mikrometern haben. Ihre Durchmesser reichen von weniger als einem bis zu mehreren Nanometern (ein Millionstel Millimeter). Durch Schachtelung mehrerer Röhrchen ineinander können auch Durchmesser weit über 100 Nanometer entstehen. Von besonderem Interesse für die Miniaturisierung in der Mikroelektronik sind die einwandigen Röhren.

Das große Interesse, das die Kohlenstoffzylinder seit ihrer Entdeckung bei den Wissenschaftlern gefunden haben, ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass sie geradezu ideal der Vorstellung eines Quantendrahts entsprechen und deswegen bestens für die physikalische Grundlagenforschung geeignet sind. Auch im Bereich der Anwendung werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert. Aufgrund ihrer hohen Reißfestigkeit könnten sie in starke Verbundmaterialien integriert werden, erste Feldemissionsquellen aus Nanoröhren für Flachbildschirme wurden bereits realisiert. Die Fähigkeit der Nanoröhren, Wasserstoffmoleküle zu speichern, und ihr geringes Gewicht macht sie zu interessanten Kandidaten für Wasserstoffspeicher, die als Tanks für Brennstoffzellen dienen könnten. In der Elektronik diskutieren Wissenschaftler über die Möglichkeit, die Nanoröhren in Bauteilen oder als dünnste Drähte zu verwenden. Dies würde eine weitere Verkleinerung von Schaltkreisen ermöglichen. Bevor diese Ideen verwirklicht werden können, bedarf es allerdings noch ausgedehnter Forschungsarbeiten.

Weltrekord der Dünnwandigkeit

Ein Schritt, der besonders für Anwendungen in der Elektronik von Bedeutung sein könnte, gelang nun einer Forschungsgruppe um Dr. Rudolf Ehlich am Max-Born-Institut. Erstmals konnte sie das Wachstum von Y-förmigen Nanoröhren nachweisen, deren Wand aus nur einer Graphitschicht besteht. „Etwa zur gleichen Zeit berichtete eine andere Arbeitsgruppe über die Herstellung mehrwandiger und damit dickerer Röhren“, erklärt Ehlich. Der Weltrekord bezüglich dünner Y-Röhren bleibt jedoch den Berliner Physikern vorbehalten.

Ihr Erfolg beruht vor allem auf einem neuen Herstellungsverfahren, das sich grundlegend von den heute üblichen Methoden unterscheidet und gemeinsam mit dem ungarischen Wissenschaftler Dr. L. P. Biró vom Institut für Technische Physik und Materialforschung, Budapest, entwickelt wurde. Bei Standardverfahren wird gepresstes Graphitpulver, meist zusammen mit einem metallischen Katalysator, in einer Gasentladung oder mit einem Laserstrahl verdampft. Die Nanoröhren entstehen in einer Reaktionskammer bei Temperaturen um etwa 1000 °C. Zusammen mit Resten von amorphen Kohlenstoff schlagen sie sich auf einer Trägerscheibe nieder. Nanoröhren und amorpher Kohlenstoff werden dann in einem Reinigungsprozess unter Einsatz chemischer Lösungsmittel voneinander getrennt. Einwandige Y-Röhren konnten bei diesem Verfahren noch nie gefunden werden.

Die am MBI entwickelte Methode arbeitet anders. Die Nanoröhren wachsen auf einer Graphitschicht, die durch ihre ebenfalls sechseckige Grundstruktur quasi als Schablone für die Kohlenstoffröhrchen dient. Als Ausgangsmaterial verwenden die MBI-Physiker Fullerene, die zusammen mit katalytisch wirkendem Nickelpulver bei etwa 400 °C aus einem Tiegel verdampft werden. Durch das Nickel werden die Kohlenstoff-Fußbälle zum Teil zersetzt. Der Kohlenstoff trifft auf das Graphitsubstrat, auf dem er sich in Form von Nanoröhren abscheidet. Durch die von der Graphitunterlage vorgegebene Sechseckstruktur bilden sich wesentlich leichter Röhren. Die Anlagerung von amorphen Kohlenstoffpartikeln wird drastisch reduziert. Bringt man diese Graphitscheiben unter ein Rastertunnelmikroskop, so kann neben den bekannten ein- und mehrwandigen Nanoröhren auch die einwandige Y-förmige Variante nachgewiesen werden.

„Wir sind noch ganz am Anfang mit diesen Arbeiten“, erklärt Ehlich. In weiteren Experimenten wollen die Wissenschaftler nun erforschen, warum die Verzweigungen auftreten und ob die so hergestellten Y-Röhren unbeschadet von den Graphitsubstraten abgelöst werden können.

In einer Weiterentwicklung dieses Verfahrens werden Nanoröhren durch Verwendung einzelner Laserpulse an einem durch den Laser-Fokus definierten Ort hergestellt. Das Ziel besteht darin, Nanoröhren so zu arrangieren, dass sie auf einem Substrat alle gleich ausgerichtet sind. Das Verfahren der Laserpuls-gesteuerten Deposition könnte auch zur Herstellung geordneter Matrizen von Nanoröhren dienen, die als Elektronen-Emitter für Flachbildschirme eingesetzt werden. Erste Flachbildschirme wurden zwar schon produziert, das neue Verfahren dürfte aber effektiver und damit wirtschaftlicher sein.

Röntgenlicht mit Nanoröhrchen?

Die Arbeiten am MBI beschränken sich nicht nur auf Untersuchungen zum Wachstum von Nanoröhren. In einem weiteren Projekt erforschen Wissenschaftler die Möglichkeit, mit Hilfe von Nanoröhren Licht im Röntgenbereich zu erzeugen. „Theoretische Untersuchungen von Dr. J. Herrmann am MBI haben gezeigt, dass parallel angeordnete Röhrchen eingestrahltes intensives Laserlicht mit einer veränderten Frequenz wieder abstrahlen. Dabei kann es bis zur Verhundertfachung der Frequenz kommen“, erklärt Ehlich. Solche Arrangements könnten die Grundlage zur Entwicklung effektiver Strahlungsquellen im Röntgenbereich (bis etwa 2 nm) bilden.

Kontakt im Berliner Max-Born-Institut: Dr. Rudolf Ehlich, Tel.: 030 6392 1213; E-Mail: ehlich@mbi-berlin.de

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Joachim Moerke idw

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