Seegurken liefern Ideen für High-Tech-Material

Seegurken haben die erstaunliche Fähigkeit, innerhalb kürzester Zeit ihre weiche Haut in eine harte steife Oberfläche zu verwandeln, wenn sie bedroht werden. Forscher haben nun das Geheimnis der Seegurkenhaut gelüftet und ein Material erzeugt, das genau auf diesem Wirkprinzip basiert, berichtet das Wissenschaftsmagazin Science. Die Anwendungen für dieses Material sind mannigfaltig und reichen von Elektroden für ein künstliches Nervensystem bis hin zu neuartigen Prothesen.

Der Materialwissenschaftler Christoph Weder von der Case Western Reserve University in Cleveland hat gemeinsam mit seinem Team ein Nanokomposit – das sind Verbundwerkstoffe mit Teilchen im Nanobereich – nach Vorbild der Seegurkenhaut entwickelt. Die Wissenschaftler haben dazu Forschungsergebnisse aus vorangegangenen Untersuchungen von Meeresbiologen genommen, die den Trick der Seegurken bereits gelüftet hatten. In der Haut der Tiere sind starre Nanofasern aus Kollagen in weiches Gewebe eingebettet. Spezielle chemische Substanzen, die das Nervensystem absondert, lässt die Haut der Tiere plötzlich steif werden. Diese Stoffe kontrollieren demnach die Wechselwirkung zwischen den Nanofasern.

Für das künstlich nachgebaute Nanokomposit haben die Forscher einen Kunststoff verwendet, in den Nanofasern aus Zellulose eingebettet sind. Die Fasern kleben an Knotenpunkten zusammen und bilden so ein festes Netzwerk. Das Wasser spielt allerdings im gesamten Kreislauf der Steifigkeit eine wichtige Rolle, denn es agiert sozusagen als chemischer Schalter. Kommt das Nanokomposit mit Wasser in Berührung, saugt es davon ein wenig auf. „Die Wassermoleküle lösen die Klebstellen zwischen den Nanofasern auf“, so Weder. Das Material werde dadurch etwa tausendmal weicher.

Substanzen, die auf diese Weise mit Wasser chemisch schaltbar sind, lassen sich vor allem in der Medizin anwenden. Als erste Anwendung wollen die Forscher daraus Mikroelektroden herstellen, die ein Teil eines künstlichen Nervensystems sein könnten und beispielsweise bei Parkinson-Patienten eingesetzt werden. Bisher scheiterten solche Versuche mit implantierten Mikroelektroden daran, dass das steife Material offensichtlich das weiche Hirngewebe schädigt. Elektroden aus dem Nanokomposit wären zwar beim Implantieren hart, würden dann allerdings weicher werden. Die ersten Untersuchungen zur Biokompatibilität waren jedenfalls viel versprechend, berichten die Forscher. Weder überlegt sich auch den Schaltvorgang von hart zu weich auf elektrisch schaltbare Materialien auszudehnen.

„Das ist eine hervorragende bionische Anwendung“, meint der Bionik-Experte Stanislav Gorb von der Evolutionary Biomaterials Group am Max-Planck-Institut für Metallforschung im pressetext-Gespräch. Er selbst kenne diese Gewebe der Stachelhäuter – zu denen auch die Seegurken und Seesterne gehören – und ihre besonderen Eigenschaften. Bionik kombiniert die Begriffe „Biologie“ und „Technik miteinander“. Als Wissenschaft beschäftigt sie sich mit der Anwendung von „Naturerfindungen“ und ihrer innovativen Umsetzung in der Technik.

Media Contact

Wolfgang Weitlaner pressetext.austria

Weitere Informationen:

http://www.case.edu http://www.mf.mpg.de

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