Bei der Warmumformung die Energiebilanz im Blick

Vor allem bei der Produktion crashrelevanter Bauteile wird die Warmumformtechnik eingesetzt. Die besondere Festigkeit der Komponenten sorgt für Sicherheit und bietet gleichzeitig die Möglichkeit, mit dünnwandigen Konstruktionen Gewicht zu sparen. Bei der Warmumformung wird bei Thyssen-Krupp ein speziell für das Verfahren ausgelegter und mit Mangan und Bor legierter Stahlwerkstoff zunächst in einem Ofen auf 880 bis 950 °C erhitzt, dann zu einem Bauteil gepresst und dabei im Presswerkzeug sehr schnell mit einer Abkühlrate von mehr als 30 K/s abgekühlt.

„Die hohe Platinentemperatur bei der Umformung gewährleistet ein sehr gutes Umformverhalten und die anschließende schnelle Abkühlung sorgt dafür, dass im Werkstoff eine extrem harte Gefügestruktur entsteht. Hierdurch ergibt sich eine Zugfestigkeit von rund 1500 MPa. Das ist deutlich mehr, als die derzeit eingesetzten Stähle mit höchsten Festigkeiten für die konventionelle Kaltumformung bieten“, erläutert Sascha Sikora, Projektleiter bei Thyssen-Krupp Steel (TKS).

Doch wie sieht es mit der Energiebetrachtung des Prozesses aus, wenn man diesen mit der herkömmlichen Kaltumformung vergleicht? „Natürlich sind die energetischen Aufwendungen wesentlich höher. Abgesehen von den Einsparungen, die dadurch auftreten, dass Pressen mit einer geringeren Schließkraft verwendet werden können“, lautet die Antwort von Marc Decker. Er ist Vertriebsleiter bei der Gräbener Maschinentechnik GmbH in Netphen-Werthenbach. Die Frage müsse jedoch anders gestellt werden: „Wie können die eingesetzten Stähle so erwärmt werden, dass die geforderten Bauteileigenschaften erreicht werden und die dafür erforderlichen zusätzlichen energetischen Aufwendungen möglichst gering sind?“

Simpler Energievergleich nicht aussagekräftig

Prinzipiell lassen sich die neuen höchstfesten Stähle im kalten Zustand nur sehr schlecht umformen. Außerdem verleiht ihnen gerade die Warmumformung die notwendige Härte und die prozesstypischen Eigenschaften: geringes Gewicht bei optimaler Festigkeit und kein Rückfederungseffekt. Da Warmumformprozesse mit einer sehr hohen Wiederholgenauigkeit durchgeführt werden können, sind überdies erhebliche Einsparungen bei nachfolgenden Prozessen aufgrund von wegfallenden zusätzlichen Richt- und Anpassoperationen möglich.

Ein simpler Energievergleich, der sich lediglich auf die Umformung als solche stützt, würde also bedeuten, Bauteile, die aufgrund der prozesstypischen Rahmenbedingungen weniger zielgerichtete Eigenschaften aufweisen, mit solchen zu vergleichen, die punktgenau Anforderungen erfüllen. Bei einer umfassenden Gegenüberstellung der Prozessführungen sollten also neben der eigentlichen Energiebetrachtung auch der Anspruch an die Bauteileigenschaften und die Prozessfolge im Nachgang der Umformung analysiert werden.

Derzeit werden häufig konventionelle Erwärmungstechnologien wie Rollenherd- oder Hubbalkenöfen verwendet. Diese sind investitionsintensiv, wenig flexibel und benötigen eine große Aufstellungsfläche. Neue Ansatzpunkte zur Energieoptimierung kann die Erwärmung durch induktive und konduktive Systeme liefern. „Beide Techniken können Vorteile in Bezug auf die Investitionskosten und auf den Platzbedarf bieten. Aber auch, wie beispielsweise bei induktiven Systemen, eine hohe Flexibilität“, erläutert Marc Decker.

So könnten durch eine Regelung der Spulenleistung, bezogen auf die Bauteillänge, unterschiedliche Temperaturbereiche im Bauteil ohne bauliche Änderungen an der Erwärmungsanlage erreicht werden. Eine Platine könnte partiell unterschiedlich aufgeheizt werden und somit wäre in Teilbereichen des warmumgeformten Bauteils eine geringere Festigkeit einstellbar. Dies wiederum könnte sich positiv auf nachfolgende Operationen, wie Beschnitt und Fügen, oder auch die Crashperformance auswirken.

Kompetenzen im internationalen Netzwerk

Bei Umformspezialist Gräbener gibt es zum Thema Warmumformung verschiedene konkrete Anfragen, die sich zum überwiegenden Teil auf die Automobilindustrie und deren Zulieferer beziehen. Hierbei handelt sich zum einen um einzeln stehende Pressen, bei denen der Kunde die weiterhin notwendigen Anlagenbestandteile beistellt. Zum anderen wird an kompletten Warmform-Anlagen gearbeitet.

Stahlhersteller Thyssen-Krupp beherrscht nahezu die gesamte Prozesskette der Warmumformung, von der Werkstoffentwicklung bis hin zur Serienfertigung warmumgeformter Bauteile. „Um die Eigenschaften warmumgeformter Bauteile weiter zu verbessern, entwickeln wir nicht nur die Werkstoffe, sondern auch die Prozesstechnologie ständig weiter“, erklärt Sascha Sikora den Blickwinkel der Werkstoffspezialisten.

Auch in der „Premier League“ (Netzwerk Warmumformung), einem Zusammenschluss von Unternehmen und Instituten, wie beispielsweise Gordica, Braun Cartec oder Metform Universität Kassel, welche in den einzelnen Bereichen der Warmumformung führend sind, liegen vielfältige Projekte vor. „In der Warmumformung können Sie nur erfolgreich sein, wenn Sie einen die Fachbereiche übergreifenden Ansatz wählen. Sie können einen Kunden nur umfassend beraten, wenn Sie Spezialisten aus der Materialkunde, der Thermodynamik, der Simulationstechnik, dem Werkzeugbau, aus Automatisierung/Handling und Anlagenbau zusammenbringen“, begründet Decker das Engagement von Gräbener im Netzwerk.

Die Warmumformung wird ihren Platz unter den Fertigungstechnologien weiter festigen – da sind sich die Anlagen- und die Werkstoffspezialisten einig. Bauteile, die „taylor made“ erhitzt und umgeformt werden, sind ein Ansatz, die einzubringende Energie immer weiter zu reduzieren. Hierzu werden die zukünftigen Anlagen entsprechend dem Bauteil aufgebaut beziehungsweise konfiguriert.

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