Strömungsschleifen ermöglicht flexible Endbearbeitung komplexer Strukturen

In der Industrie haben Bearbeitungsmaschinen manuelle Tätigkeiten in vielen Bereichen ersetzt. Doch gerade bei komplexen Arbeiten zeigt sich, dass automatisierte Abläufe schnell an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Filigrane Werkzeuge zum Umformen von Aluminium- oder Kunststoffprofilen werden daher oft noch von Meisterhand poliert. So können ein bis zwei Tage vergehen, bis ein Werkzeug fertig bearbeitet ist.

Durch Strömungsschleifen können derart komplexe Bauteile mit schwer zugänglichen Kavitäten, Innenkonturen, Bohrungen und Hinterschneidungen innerhalb weniger Minuten reproduzierbar nachbearbeitet werden. Das Endbearbeitungsverfahren ist ebenso unter dem Namen Druck-Fließ-Läppen oder Hubschleifen mit viskosen Medien bekannt.

Den Hauptunterschied zu konventionellen Schleifverfahren stellt das beim Strömungsschleifen eingesetzte Werkzeug dar. Im Gegensatz zur gebundenen Schleifscheibe ist die Schleifkörnung in einer polymeren Kunststoffmasse definierter Viskosität eingebettet.

Das Schleifmedium tendiert abhängig von der Belastungsgeschwindigkeit bei langsamer Belastung zum Fließen. Unter schneller Beanspruchung zeigt es hingegen elastische Eigenschaften und sorgt durch Versteifung für den mechanischen Widerstand, der notwendig ist, um den ritzenden Eingriff des Schleifkorns zu ermöglichen.

Schleifmedium strömt beim Strömungsschleifen alternierend am Werkstück entlang

Das Schleifmedium strömt zyklisch und alternierend an den zu bearbeitenden Flächen des Werkstücks entlang und trennt dabei aufgrund seiner abrasiven Wirkung Material ab.Der untere Zylinder der Maschine ist mit Schleifmedium befüllt.

Werkstücke werden innerhalb einer Vorrichtung aus Polyamid zwischen die beiden Hochdruckzylinder geklemmt, so dass ein in sich geschlossenes System entsteht. Die Aufnahmevorrichtung erfüllt mit dem Spannen der Werkstücke und der Steuerung des Medienflusses zwei wesentliche Funktionen.

Während des Bearbeitungsvorgangs sorgt eine Heiz-/Kühlvorrichtung für eine konstante Prozesstemperatur und gleich bleibende Abtrennbedingungen. Der untere Kolben schiebt das Schleifmedium durch die Aufnahmevorrichtung entlang der zu bearbeitenden Werkstückoberflächen in den oberen Zylinder. Bei Erreichen des oberen Totpunkts wird der Vorgang in entgegengesetzter Richtung fortgesetzt.

Strömungsschleifen wurde in den 60er Jahren erfunden

Die einstellbaren Prozessgrößen sind außer dem Arbeitsdruck die Arbeitstemperatur und die Bearbeitungszeit. Die Werkzeugspezifikation leitet sich aus der Viskosität des Trägermaterials, aus der Korngröße sowie dem Mischungsverhältnis ab.

Das Strömungsschleifen wurde in den 60er-Jahren durch zwei verschiedene US-amerikanische Firmen entwickelt. Die ersten Anwendungen dienten der aufstrebenden Luft- und Raumfahrttechnik. Insbesondere im Apollo-Programm wurde die Endbearbeitung an hochlegierten Bauteilen durch Strömungsschleifen vorgenommen. Mit dem Verfahren können aufwändige manuelle Polier- und Entgratoperationen, die eine geringe Reproduzierbarkeit des Arbeitsergebnisses aufwiesen, ersetzt werden.

Das Endbearbeitungsverfahren entfernt mit geringen Abtrennraten schichtweise Oberflächen und erzeugt dadurch hohe Oberflächenqualitäten mit weitestgehend schädigungsfreien Randzonen. Daher kommt es im Werkzeug- und Formenbau immer häufiger zum Einsatz. Extrusionswerkzeuge und Strangpressmatrizen müssen im industriellen Einsatz in regelmäßigen Intervallen nachbearbeitet werden.

Strömungsschleifen entfernt Materialreste an Extrusionswerkzeugen in zwei Minuten

In Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass innerhalb von zwei Minuten Bearbeitungszeit an Extrusionswerkzeugen Materialreste rückstandsfrei entfernt, scharfe Kanten verrundet und eine Verbesserung der Oberflächengüte von Ra = 2 µm auf Ra = 0,2 µm erzielt werden. Heute wird das Strömungsschleifen ebenso in den Bereichen Feinwerktechnik, Kraftfahrzeug-, Werkzeug- und Maschinenbau sowie bei Bauteilen der Hydraulik und Pneumatik eingesetzt.

Um einerseits eine wirtschaftliche Technologie für den industriellen Einsatz bereitzustellen und andererseits die Potenziale dieses Verfahrens ausschöpfen zu können, wurden am PTZ in verschiedenen Projekten die Grundlagen des Strömungsschleifprozesses untersucht. Bestandteil aktueller Forschungsarbeiten ist es, eine Steigerung der Reproduzierbarkeit von Ergebnissen sowie der Maßhaltigkeit am Bauteil herbeizuführen.

In der Praxis erfolgt eine technologische Verfahrensauslegung immer noch in aufwändigen Vorversuchen und steht in Abhängigkeit zur Erfahrung des Fachpersonals. Eines der übergeordneten Projektziele ist es daher, die Bestimmung der funktionalen Zusammenhänge zwischen den Einflussgrößen, dem Prozess und dem Arbeitsergebnis zu ermitteln. Weiterhin stehen die Entwicklung geeigneter Bearbeitungstechnologien sowie die Bereitstellung von Bearbeitungsstrategien im Mittelpunkt. Weil das Verfahren nahezu für jede duktile bis hochharte Werkstoffspezifikation geeignet ist, besitzt es ebenso großes Potenzial bei der Bearbeitung von Hartmetallen und Hochleistungskeramiken.

Die Optimierung der Fertigung kann mit Hilfe moderner Rechner- und Simulationstechniken wesentlich beschleunigt werden. Langfristiges Ziel ist es, durch eine Verbesserung des Prozessverständnisses den experimentellen Aufwand auf ein Minimum zu begrenzen, Entwicklungskosten zu reduzieren und Prozessgrenzen zu definieren. Beispielsweise lässt sich das Abtrennverhalten an beliebigen Bauteilgeometrien nur auf numerischem Wege lösen.

Technologiebanken helfen bei der Simulation des Strömungsschleifens

Zu diesem Zweck werden Technologiedatenbanken entwickelt, in denen Korrelationen aus lokalen Strömungsgeschwindigkeiten am Bauteil und den Abtrennergebnissen vorliegen. Ein Anwendersystem soll schließlich dabei helfen, durch eine CFD-Simulation (Computational Fluid Dynamics) lokale Geschwindigkeiten zu ermitteln und über die Technologiedaten ein Arbeitsergebnis zu antizipieren.

Im industriellen Einsatz ist es häufig erforderlich, ein Schleifmedium durch vielfachen Wechsel zu bearbeitender Werkstücke verschiedensten Belastungen auszusetzen. Dadurch ist eine Vorhersage der Standzeit mit dem bisherigen Kenntnisstand nur schwer durchführbar.

Auch hierfür stellt der Einsatz der numerischen Simulation ein geeignetes Werkzeug zur Verfügung. Über die Schadensakkumulation von Belastungszuständen lassen sich Aussagen zum Verschleißzustand und der noch verbleibenden Standzeit des Schleifmediums machen. Im Rahmen aktueller Grundlagenuntersuchungen werden numerische Verschleißmodelle durch experimentelle Untersuchungen validiert.

Strömungsschleifen kann Werkzeug-Standzeiten deutlich erhöhen

Eine deutliche Reduktion von Hauptzeiten in der Fertigung kann unter anderem durch eine Erhöhung der Standzeiten von Zerspanungswerkzeugen erreicht werden. Forschungen zeigen, dass durch eine definierte Kantenverrundung eine Standzeiterhöhung bis Faktor 4 erreicht werden kann. Hochharte Schneidwerkstoffe lassen sich jedoch nur durch den Einsatz hochharter Schleifkornwerkstoffe bearbeiten. Machbarkeitsuntersuchungen zur Optimierung der Hauptschneidenmikrogeometrie mittels Strömungsschleifen mit Diamantschleifkörnung haben erst begonnen, zeigen jedoch aufgrund der Flexibilität des Verfahrens ein hohes Potenzial auf, Standwege zu verlängern.

Des Weiteren werden Zerspanungswerkzeuge häufig einem Beschichtungsprozess unterzogen. Noch ist ungeklärt, in welcher Weise Strömungsschleifen die Schichtverklammerung im Substrat durch die Bereitstellung einer definierten Schneidkante sowie einer homogenen Substratoberfläche unterstützt. Auch hierbei sind deutliche Standzeiterhöhungen zu erwarten.

Dipl.-Ing. Vanja Mihotovic ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Werkzeugmaschinen und Fabrikbetrieb (IWF), Produktionstechnisches Zentrum PTZ, 10587 Berlin. Prof. Dr.-Ing. Eckart Uhlmann ist Leiter des Fachgebiets Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik am IWF der TU Berlin sowie Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK).

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