Medien fließen künftig durch umformtechnisch hergestellte Ventile

Was wir hier sehen, ist der Werkzeugwagen, ein Schlitten, auf dem wir unsere Tischplatte positioniert haben; das Werkzeug sehen Sie hier oben, am oberen Hydraulikkissen, wo es hängend montiert ist“, erklärt Gerd Schulte-Borchers, Service-Ingenieur der FF Fluid-Forming GmbH, und weist mit seinen Händen auf die jeweiligen Stellen. Schulte-Borchers ist gerade dabei, dem Form-Balancer FB 25 bei der Gemü Gebr. Müller Apparatebau in Ingelfingen-Criesbach den letzten Schliff zu geben. Zusammen mit dem künftigen Operator der neuen und neuartigen Presse, Konstantinos Megas, werden die letzten Einstellungen gemacht und Anweisungen gegeben, um in Kürze in Serie zu produzieren.

Rasante Geschäftsentwicklung von hochmoderner Fertigung unterstützt

Der Investor, die Gebr. Müller Apparatebau, gilt als hochinnovatives Unternehmen mit einem umfangreichen Portfolio an Ventilen für unzählige Anwendungen. Hervorstechend sind dabei die Ventilblöcke für sterile Prozesse, die aus Edelstahl hergestellt werden. Durch die Gründung des Unternehmens durch Fritz Müller vor 45 Jahren zählt Gemü mit etwa 1000 Mitarbeitern weltweit (davon rund 600 in Ingelfingen-Criesbach) zu den jüngeren Unternehmen mit einer rasanten Geschäftsentwicklung, die von einer hochmodernen Fertigung unterstützt wird.

„Der Firmengründer ist damals mit dem Ziel angetreten, die hochwertigen und überdurchschnittlich teuren Edelstahlventile durch Kunststoffventile zu ersetzen“, sagt der sympathisch wirkende Hermann Walter, Prokurist und Betriebsleiter bei Gemü. Wie von ihm weiter zu erfahren war, hat es sich schnell gezeigt, dass man ohne die Metallventile nicht auskam und so wurden neben den Kunststoffventilen auch so genannte Schrägsitz-Ventile aus Messing oder Rotguss und Membranventile aus Stahl und Edelstahl gefertigt.

Verkleben der Ventil-Innenwände muss verhindert werden

Gemü-Ventile werden vor allem in der Pharmaindustrie, der Medizintechnik oder Chemieindustrie eingesetzt. „Die Feinheiten“, so Walter, „liegen vor allem im Innenleben der Ventile. Da werden zum Teil auch zähflüssige Medien durchgeleitet, die sich möglicherweise an den Wänden absetzen und verkleben könnten. Im Falle eines Mediumwechsels wäre dies fatal“, macht Hermann Walter verständlich. Deshalb müssen die Ventile so beschaffen sein, dass ein Verkleben der Innenwände schon weitgehend verhindert wird, aber auch ein notwendiger Reinigungsprozess einfach und sicher vonstatten geht.

Die Ventilblöcke muss man sich dabei als ein geschlossenes Gehäuse vorstellen, mit verschiedenen Bohrungen, Ein- und Ausgängen, durch die ein Medium fließt und durch entsprechende Weichen in die richtige Richtung geleitet wird – ähnlich einem Pneumatikventil. „Der feine Unterschied der Gemü-Ventilblöcke zu einem Pneumatikventil ist aber der, dass sie bei letzerem nicht auf Hohlräume, Hinterschnitte oder Toträume achten müssen“, verrät Walter. Toträume oder Hohlräume darf es bei den Ventilblöcken von Gemü nicht geben. Bisher wurden diese Ventilblöcke, die aus Edelstahl bestehen, in Ingelfingen-Criesbach durch spanende Bearbeitung auf Vier- oder Fünf-Achsen-Bearbeitungszentren hergestellt.

„Jetzt wollen wir zumindest einen Teil dieser Ventilblöcke umformtechnisch herstellen“, meint Hermann Walter und er erklärt weiter: „Unser Gedanke ist der, dass wir Ventiel künftig aus Blechteilen herstellen, wo wir weniger Restmaterial haben und nur das Materialvolumen verarbeiten, das wir benötigen.“

Einsatz des Form-Balancers reduziert Rüstzeiten bei Stückzahl 1

Diese neue Gemü-Philosophie wird zu einer Mischfertigung führen, die in absehbarer Zeit aus einem wesentlichen Anteil umformtechnischer Lösungen bestehen wird. Dann sollen die Blechteile mit Rohren zusammen eine Schweißkonstruktion bilden, die die gleichen Funktionen wie ein gefräster Ventilblock erfüllt und zudem noch weniger Volumen und Gewicht aufweist. „Unsere Konstrukteure und Entwickler sind derzeit dazu angehalten, zu prüfen, welche Ventile sich umformtechnisch umsetzen lassen“, konstatiert Hermann Walter. Denn schließlich soll der neue Form-Balancer FB 25 sich irgendwann auch amortisieren. „Das jedoch“, so Walter, „wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, weil wir erst am Anfang der Umform-Philosophie stehen.“

Dass er und seine Mitarbeiter sich dennoch für die Fluid-Forming-Lösung entschieden, lag in erster Linie daran, dass sich damit auch die Stückzahl eins ohne große Rüstzeiten realisieren lässt. Der Form-Balancer selbst kann sowohl für das Außenhochdruckumformen (AHU) als auch zur Hochdruckblechumformung (HBU) eingesetzt werden. Dabei wird mit Hilfe eines Wirkmediendruckes das Blech aktiv in die Werkzeugnegativform gedrückt. Dazu ist nur noch eine Werkzeughälfte notwendig und es ergeben sich dadurch spürbare Einsparungen bei den Werkzeugkosten.

Im Form-Balancer können auch bereits oberflächenbearbeitete, beispielsweise beschichtete, gebürstete oder polierte Bleche aus Aluminium, Edelstahl oder Titan umgeformt werden. Als weiterer Vorteil zeigt sich auch die ausgeglichene Blechstärkenverteilung. Das bedeutet, anders als beim normalen Tiefziehen gibt es keinerlei stärkere lokale Ausdünnungen. Je nach Material und Geometrie kann der Form-Balancer mit einem maximalen Schließdruck von 4000 bar aufwarten.

Mit Form-Balancer gefertigtes Teilespektrum soll ausgebaut werden

Beachtung sollte auch der Gesamtkonstruktion dieser neuartigen Presse gelten. In diesem Zusammenhang betont FF- Fluid-Forming-Vertriebsleiter Jörg Ostermann: „Das Spannende an der Ständerwangenkonstruktion ist, abgesehen von der Variabilität bezüglich des Aufstellplatzes, dass die Maschine genauso an Punkt A wie innerhalb kürzester Umstellzeit an Punkt B produzieren kann – ohne aufwändige Fundamentkonstruktion.“ Die Ständer sind dabei völlig variabel und können sowohl in der Höhe als auch in der Breite, also praktisch in allen Dimensionen, modulartig wachsen um die Größe der Presse zu verändern. Wie die Zahlen von Fluid-Forming belegen, misst der Werkzeugtisch 800 mm × 800 mm und die Ausformtiefe 230 mm.

Hermann Walter hat mit seinen Mitarbeitern bereits die ersten Teile auf dem Form-Balancer gefertigt. „Damit haben wir bereits einen Schritt in die Richtung gemacht, die wir uns als Ziel gesetzt haben.“ Er ist sich sicher, dass ganz schnell weitere Teile folgen werden. Fündig geworden ist Gemü auf einer Blechmesse. „Dann haben wir uns die Maschine einmal genauer angesehen und festgestellt, dass es recht einfach ist, nur ein Teil oder eine ganze Serie umzuformen“, sagt Walter. Noch werden die Blechzuschnitte, so genannte Ronden, von Hand in den Tisch des Form-Balancers eingelegt und das Fertigteil aus der Maschinen entfernt. Aber in absehbarer Zeit soll dies durch eine entsprechende Automatisierungslösung passieren.

Die Randabtrennung des umgeformten Ventilgehäuses wird anschließend durch einen Laserschnitt erledigt. Diese Lasertrennung und die Fluid-Balancer-Umformung sind für den Betriebsleiter Hermann Walter der Einstieg in einen komplett neuen Fertigungsprozess, der sukzessive aufgebaut werden soll.

In der Zwischenzeit haben Fluid-Forming-Ingenieur Gerd Schulte-Borchers und Maschinenoperator Konstantinos Megas im Form-Balancer ein neues Teil gefertigt – ein Einzelteil. „Dafür haben wir 1800 bar benötigt“, erklärt Schulte-Borchers. „Dieses Teil aus 2 mm Edelstahl hat Gemü bereits selbst entwickelt. Das wird bald ein Serienteil werden, aber momentan stehen wir noch in der Entwicklungsphase“, sagt der Service-Ingenieur. Künftig wird der Weg von der Idee zum Serienteil mit dem Fluid-Balancer wesentlich kürzer. „Der Weg zur Form ist relativ kurz“, sagt Schulte-Borchers, „weil wir dafür nur noch eine Werkzeugform benötigen.“

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Dietmar Kuhn MM MaschinenMarkt

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