Die perfekte Fadenführung

TU-Wissenschaftler Stefan Demmig zeigt einen Demonstrator, der mit Hilfe der neuentwickelten Blindstich-Nähtechnologie gefertigt wurde. Foto: Diana Schreiterer

Der Einsatz von Textilien als Faserverstärkung im Leichtbau ist bewährt, wie erfolgreiche Anwendungen aus dem Fahrzeug- und Maschinenbau, der Medizintechnik und vielen anderen Branchen zeigen.

Moderne Großraumflugzeuge, Windkraftanlagen oder die Prothesen von amputierten Hochleistungssportlerinnen und -sportlern wären ohne den Einsatz von Faser-Kunststoff-Verbunden nicht denkbar. Die Besonderheit beim Einsatz von Textilien in einem Materialverbund liegt darin, dass sie Stabilität bieten ohne dabei das Gewicht eines Bauteils maßgeblich zu erhöhen.

„Von entscheidender Bedeutung für die Belastbarkeit eines textilverstärkten Bauteils ist die Faserrichtung, da sie einem Werkstoff die nötige Stabilität verleiht. So ist ein Textil beispielsweise in Faserlängsrichtung hochbelastbar, in der Querrichtung jedoch erheblich weniger leistungsstark“, erklärt Stefan Demmig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung der Technischen Universität Chemnitz.

Nun gelang den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der TU Chemnitz in Zusammenarbeit mit der Pfeil GmbH aus dem sächsischen Mühlau die Entwicklung einer neuartigen Verarbeitungsweise textiler Werkstoffe. Dafür entwarfen sie ein neuartiges, robotergeführtes Blindstich-Nähsystem für einseitiges Nähen.

Diese neue Technologie erlaubt es, die Fasern automatisch in die so wichtige lastgerechte Position zu bringen, die maximale Stabilität garantiert – und das nicht nur in 2D, sondern gleich in 3D. Bisher werden 3D-Bauteile umständlicher und ressourcenintensiver aus textilen 2D-Halbzeugen hergestellt. Durch das neue Verfahren lässt sich auf diesen Zwischenschritt verzichten.

Für diese lastgerechte Textilverstärkung eines späteren Leichtbauteils werden Bündel aus Kohlenstoff-Fasern, sogenannte „Rovings“, an der entsprechenden Position aufgelegt und mit einem dünnen Hilfsfaden auf ein spezielles Glasfasergewebe aufgenäht. Da Gewebe und Roving jedoch auf einem Kern fixiert werden müssen, um die gewünschte dreidimensionale Form zu entwickeln, kann die Nähmaschine nur von einer Seite zugreifen.

Herkömmliche Maschinen benötigen zum Nähen jedoch Zugriff von unten und oben. Daher entwarf das Projektteam ein System, mit dem das Textil durch eine gebogene Nadel von nur einer Seite bestickt werden kann. So werden die Rovings direkt und mit einem Polyesterfaden mittels Blindstich auf dem Werkstück fixiert.

Dank des neuen Systems können die Befehle für die Robotersteuerung direkt aus den Konstruktionsdaten abgeleitet werden. So läuft die Herstellung der Verstärkungsstruktur vollautomatisch ab und birgt einen entscheidenden Vorteil: Konstruktion, Simulation und Fertigung werden in Einklang gebracht. Das spart Ressourcen und verbessert den Herstellungsprozess sowie dessen Ergebnisse.

„Für die Fertigung bedeutet das weitaus weniger Faserunterbrechungen und eine automatische lastpfadgerechte Ausrichtung der Fasern, sodass diese nicht mehr vom händischen Drapieren abhängen. Dadurch besitzen diese Faser-Kunststoff-Verbund-Bauteile nicht nur eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit, sondern es werden auch teure Werkstoffe und damit Kosten eingespart. Die aufwändige Technik hinter dem neuen Verfahren macht Bauteile nicht gleich massentauglich, dafür entstehen allerdings Hochleistungsprodukte. Gut geeignet für Einsatzgebiete, die Werkstoffe bis an ihre Belastungsgrenze fordern, wie beispielsweise in der Luft- und Raumfahrt“, prognostiziert Stefan Demmig.

Basierend auf den ersten Entwicklungen zielt die künftige Forschung des Ingenieurs darauf ab, das Vernähen der Rovings durch einen Faden aus Kohlenstofffasern oder Glasfasern zu realisieren, anstatt wie bisher einen Polyesterfaden zu nutzen. Dadurch solle eine Verstärkung der Werkstoffdicke und damit mehr Stabilität erreicht werden.

Auch der spezielle Bindekleber, der den Formkern während des Nähprozesses mit dem Textil verbindet, und das ablösende Trennmittel wollen die Projektpartner in künftigen Studien unter die Lupe nehmen.

Dieser Vorgang soll mit einem speziell für die Luft- und Raumfahrt entwickelten, sogenannten Binderpulver umgesetzt werden, um die bisher verwendeten Materialien durch eine luftfahrtzugelassene Kleber-Trennmittel-Kombination zu ersetzen.

Ein Patent für diese Technologie wurde bereits durch das Deutsche Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 10 2015 110 855 B4 2019.12.05 erteilt. Das ebnet zukünftigen Anwendungen und weiteren Entwicklungen den Weg.

Stefan Demmig, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Strukturleichtbau und Kunststoffverarbeitung, Telefon 0371 531-38387, E-Mail stefan.demmig@mb.tu-chemnitz.de

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Matthias Fejes Technische Universität Chemnitz

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