Bremer Experiment für die ISS: Wie verhält sich Flüssigkeit im Weltall?

Am 5. April 2010 startete um 12:21 Uhr Mitteleuropäischer Sommerzeit das Space Shuttle Discovery vom Kennedy Space Center in Cape Canaveral (Florida) zur Internationalen Raumstation ISS: Mit an Bord ist eine Forschungsapparatur für ein Experiment, das von Wissenschaftlern der Universität Bremen und der Portland State University (USA) im Rahmen des bilateralen Kooperationsprojekts „Capillary Channel Flows“ (CCF) entwickelt worden ist.

Bei dem Experiment, das im Laufe des Jahres in der ISS durchgeführt wird, soll untersucht werden, wie sich Flüssigkeiten in einer spezifischen geometrischen Anordnung – in kapillaren Kanälen – unter Schwerelosigkeitsbedingungen verhalten. Die Klärung dieser Frage ist für die technische Auslegung von künftigen Treibstofftanks für Raketenoberstufen und Satelliten von besonderem Interesse.

Wie kam die Zusammenarbeit zwischen NASA und ZARM zustande?

Die NASA hatte weltweit Experimentiermöglichkeiten für die Raumsstation ISS ausgeschrieben. Die Wissenschaftler Dr. Michael Dreyer (Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation ZARM, Universität Bremen) und Professor Mark Weislogel (Portland State University, USA) erhielten für ihr Projekt zum Thema „Strömungen in Kapillarkanälen“ den Zuschlag – Beleg für die international anerkannte Forschung des ZARM über das Verhalten von Flüssigkeiten unter Schwerelosigkeit. Die Arbeiten werden seit Jahren mit Bundesmitteln durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR / Förderkennzeichen 50 WM 0845) unterstützt. Das DLR-Raumfahrtmanagement förderte neben den Bremer Forschungsaktivitäten zugleich – mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie – die Entwicklung und den Bau der Forschungsapparatur CCF durch die deutsche und europäische Raumfahrtindustrie (Astrium). In einer multilateralen Zusammenarbeit kam das konkrete Projekt „Capillary Channel Flows“ heraus. Konkret vereinbart ist: Die NASA ist im Wesentlichen für den Transport der Apparatur zur ISS, deren dortigen Betrieb und das Astronautentraining verantwortlich. Die deutsche Seite stellt die Apparatur für den Bordeinsatz sowie ein Ingenieur- und ein Trainingsmodell zur Verfügung. Das Flugmodell wird in der „Microgravity Science Glovebox“ (MSG) der NASA im Columbus-Modul der ISS installiert.

Hintergrund zur Flüssigkeitshandhabung unter Schwerelosigkeit

Ob Raumsonde, Fernsehsatellit oder auch ein zukünftiger bemannter Mond- oder Mars-Flug: An Bord von Weltraumfahrzeugen ist es von entscheidender Bedeutung, Flüssigkeiten unter den schwierigen Bedingungen der Schwerelosigkeit sicher und effektiv zu handhaben. Das gilt sowohl für Treibstoffe als auch für Wasser und flüssige Gase. Auf der Erde ist dies kein Problem. Benzin in einem Autotank beispielsweise schwappt dank der Erdanziehung immer am Boden. Unter Schwerelosigkeit hingegen verteilt sich der Treibstoff überall im Tank. Eine große Herausforderung für Raumfahrttechniker ist es nun, den Raketentreibstoff im Tank zur Auslassöffnung zu fördern und den Raketentriebwerken blasenfrei zur Verfügung zu stellen. Eine besonders viel versprechende und elegante technische Lösung ist der Einsatz von seitlich offenen Leitungen, so genannten Kapillarkanälen.

Dabei strömt eine Flüssigkeit zwischen zwei parallel zueinander angeordneten, schmalen Platten. Dieser Kapillarkanal ist also oben und unten begrenzt, links und rechts dagegen offen. Die strömende Flüssigkeit wird durch ihre Oberflächenspannung und die gute Benetzung zum Wandmaterial zwischen den beiden Platten gehalten. Welche Kräfte dabei wirksam sind und wie sie interagieren, wird aktuell mit den Gleichungen der Strömungsmechanik mathematisch modelliert. Eine Verifizierung (oder Validierung) der theoretischen Berechnungen kann jedoch nur an Experimenten durchgeführt werden.

Diesem Ziel dient ein Raumstationsexperiment, das mit einem Kapillarkanal aus zwei parallelen Glasplatten durchgeführt wird. Die Breite der Platten beträgt 25 Millimeter, ihr Abstand 5 Millimeter, und die Länge des Kanals sowie der Volumenstrom können während der Mission variiert werden. Als Flüssigkeit wird ein sehr dünnflüssiges Fluid verwendet, dessen Stoffeigenschaften wie Zähigkeit, Dichte und Oberflächenspannung in Kombination mit der Geometrie des Testkanals realen Treibstoffen sehr ähnlich sind. Die Ergebnisse können somit vom Modell auf ein Raumfahrzeug übertragen werden. Eine hochauflösende Kamera filmt das Experiment und sendet ihre Daten direkt zur Bodenstation, von wo aus die Versuchsleiter sofort in den Ablauf eingreifen können.

Universität Bremen
Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM)
Privatdozent Dr.-Ing. Michael Dreyer
Tel. 0 421 2184038
E-Mail: michael.dreyer@zarm.uni-bremen.de

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